Notes from the Archive

Christian Holl
5. Oktober 2011
James Stirling (Bild: Ray Williams) 

Es ist die zweite von drei Ausstellungsstationen: Nach dem Yale Centre for British Art in New Haven und vor dem CCA in Montréal bietet Stuttgart in der Staatsgalerie einen profunden Einblick in Stirlings Werk. Die Ausstellung schöpft aus dessen umfangreichem Nachlass und gibt so Einblick in die Denk- und Arbeitsweise, auf der sein Werk beruht. Sie ist nicht der Dokumention und dem heutigen Zustand von Stirlings Gebäuden verpflichtet; dass die teilweise schon nicht mehr stehen, wird nur ganz nebenbei erwähnt. Hier wird Stirlings bis zum Schluss anhaltendes Ringen sichtbar gemacht, aus historischen Quellen zu schöpfen, um Architektur in den Bestand einzufügen und mit ihr das Bestehende sinnvoll weiterzuschreiben. Der Titel "Notes from the Archive" ist wörtlich zu verstehen: Aus den über 40.000 Zeichnungen des Nachlasses hat der Kurator Anthony Vidler in einem jahrelangen Prozess letztlich etwa 300 ausgesucht, ergänzt durch Fotos und Modelle, Aufzeichnungen, Referenzen, Vorlesungsnotizen, auch sie größtenteils dem Archiv entnommen. Die Staatsgalerie steuerte aus dem eigenen Archiv korrespondierende Exponate bei.
Von Studienarbeiten über die erste Werkphase, die den Schwerpunkt auf den Wohnungsbau legte, führt die Ausstellung zu den Verwaltungs- und Universitätsbauten, den großen Museumsprojekten und Kulturbauten sowie dem Braun-Firmenkomplex in Melsungen. Die meisten Exponate sind Zeichnungen – in jeder Größe, von der schnellen Handskizze, von Sequenzen, in denen er Entwurfsvarianten durchspielte, bis zu großen Präsentationstableaus, darunter jene für die Ausstellung Roma Interrotta von 1979, anlässlich derer Stirling eigene Entwürfe in den historischen und zeitgenössischen Kontext Roms integrierte.
Stirlings konsequenter Weg beginnt mit seiner Auseinandersetzung mit der Krise der funktionalen Moderne der 1950er Jahre, die ohne theoretische Fundierung in eine Sackgasse naiven Fortschrittsglaubens geraten war; wie die Mitglieder des Team X suchte Stirling daraus einen Ausweg mit Hilfe von regionalen Traditionen; in anderen Arbeiten ist Stirlings Beschäftigung mit Le Corbusier, dem Brutalismus und dem Strukturalismus offensichtlich. Skizzen zu seinen Museumsentwürfen Köln und Düsseldorf zeigen, wie er nach stimmigen Raumfolgen und Wegeverbindungen suchte, Qualitäten, die dann in Stuttgart so großartig verwirklicht werden sollten. Mit dem Entwurf für die Nationalbibliothek in Paris, komponiert aus Zitaten der Revolutionsarchitektur Boullées, wird ein Ende der langen Reise markiert, ein Ende auch insofern, als hier die Grenze erkennbar wird, bis zu der historischen Zitate noch offen genug für neue Interpretationen sind, jenseits derer die Monumentalität des Zitierens dominiert.
Es könne in Deutschland keinen geeigneteren Ort für eine Ausstellung über James Frazer Stirling geben, heißt es im Begleitheft – gezeigt wird sie gleichwohl nicht in der Neuen Staatsgalerie, sondern in der Alten. Vielleicht zeigt sich darin, dass Stirlings Werk das Sensationelle verloren hat. Dass ihm dies nicht im Mindesten schadet, dass es sich aber umso mehr lohnt, es neu zu sehen, neu auf die Gegenwart zu beziehen, zeigt die Ausstellung eindrucksvoll. ch

Die Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart ist zum 15. Januar 2012 geöffnet. Der Katalog in englischer Sprache kostet in der Ausstellung 39,90 Euro

James Stirling, Michael Wilford und Partner, Bibliothèque de France, Paris, 1989 (Bild: James Stirling/ Michael Wilford fonds, Collection Centre Canadien d’Architecture, Montréal) 

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