Nie wieder keine Ahnung

Ursula Baus
23. Februar 2011
Joachim Gauck und Roland Ostertag klärten die Bedeutung von Orten, an denen sich Geschichte wach halten und vermitteln lässt. (Foto: Wilfried Dechau) 

An einer der ganz wenigen Stellen in der kommerzialisierten Stuttgarter Innenstadt, an der Architektur noch Geschichte(n) erzählen kann, droht ein erneuter (Architektur-) Verlust dramatischer Größenordnung. Das Kaufhaus Breuninger möchte eine Einkaufswelt der Luxusklasse bauen, um im Umsatz-Wettlauf mit den erwarteten Kommerztempeln auf dem neuen S21-Gelände die Nase vorn zu haben. Und da stört das ehemalige Hotel Silber – wir berichteten, die Stadt droht ihren Ruf als Abrissmeister der Republik also wieder mal zu bestätigen. Roland Ostertag kämpft derweil unermüdlich um die wenigen Zeugnisse der gebauten Stadtgeschichte, und es gelang ihm, in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Stuttgart, Joachim Gauck auf die einstige Gestapoleitstelle im ehemaligen Hotel Silber aufmerksam zu machen. Gauck hat sein Büro im Bendlerblock in Berlin, wo die Widerständler vom 20. Juli 1944 ermordet wurden, und weiß um die generationsübergreifende Bedeutung von Orten, an denen Menschenschicksale entschieden werden. Jahrzehntelang lebte Gauck in einer Diktatur, heute stützt er als Vorsitzender der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie bürgerliches Engagement, wo er kann – getragen von der Überzeugung, dass die Gesellschaft nicht nur durch ihre gewählten Vertreter repräsentiert wird, sondern durch engagierte Bürger. Von Architektur im engeren Sinne – so stellte man bei seinem Besuch in Stuttgart fest – versteht Gauck nicht viel, ohne einen Hehl daraus zu machen. Wohl aber von Geschichte und Demokratie und der Bedeutung von Orten, die er nicht primär wegen ihrer architektonischen Qualität schätzt – die sei weitgehend abhängig vom Zeitgeschmack –, sondern aufgrund ihrer Authentizität, ihrer Erzählkraft. Aber, so Gauck (und das ist dann doch sehr kompetent in der Einschätzung von Architektur): Auch Zeitgeist und Zeitgeschmack brauchen ihre authentischen Orte. Hier argumentiert der Historiker, klug und relevant für Architektur. Ach, der Südwesten! "Nie wieder keine Ahnung" ist der in diesem Zusammenhang passende und kecke Titel einer neuen Sendereihe des SWR, in der auch Architektur auf dem Programm steht. Populär soll mit zwei Experten vermittelt werden, "was das Wichtigste (ist), was man über Architektur wissen muss". Die zwei Experten sind der Archäologe Raimund Wünsche und der Architekt Andreas Hild. Tritt Christoph Mäckler beim Hessischen Rundfunk missionarisch auf, um gegen "Architektursünden" zu wettern, mag Andreas Hild mutmaßlich mit offenem Sinn und gehörigem Humor andere Aspekte des Bauens präsentieren – wir sind gespannt. Trailer künden von einer mutigen Mischung aus Comic, Simulation und Experten, die sich aufs Populäre einlassen. Am 10., 17. und 24. März, jeweils um 22:30 Uhr im SWR Fernsehen. ub

Foto: Wilfried Dechau
Vor der Fernsehkamera: Andreas Hild und die neugierige Enie van de Meiklokjes (Foto: SWR) 

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