Nicht alles, was Gold ist, glänzt

Christian Holl
5. Oktober 2011
Erhielt ein DGNB-Zertifikat in Gold: Shoppingcenter in Sofia. Nicht bewertet wurden unter anderem Gestaltung, Verkehrsinduzierung und Flächeneffizienz. (Bild: ECE Projektmanagment G.m.b.H. & Co. KG) 

Die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen hat "ein Zertifizierungssystem zur Bewertung besonders umweltfreundlicher, ressourcensparender, wirtschaftlich effizienter und für den Nutzerkomfort optimierter Gebäude entwickelt – das DGNB Zertifikat." Soweit so gut. Stolz verkündete sie dieser Tage, dass ihr Zertifizierungssystem international an Fahrt gewinne. Auch gut. Als erstes Gebäude in Bulgarien habe man das landesweit größte Shoppingcenter mit dem DGNB-Zertifikat in Gold ausgezeichnet – ein durch ECE mitfinanzierter Klotz mit mehr als 210 Geschäften und 30000 Quadratmetern "hochwertiger" Bürofläche. Wie konnte das passieren? Das Serdika Center, so heißt es in der Pressemitteilung, "besticht durch den Einsatz regenerativer Energien, die ressourcenschonende Verwendung von Materialien, die Sicherstellung von funktionaler Vielfalt sowie intelligente Wasserkreislaufsysteme und eine effiziente Abfallwirtschaft." Das mag alles stimmen. Es fragt sich nur, welches Signal davon ausgeht, ein (soweit die Bilder eine Beurteilung zulassen) ästhetisch anspruchsloses Shoppingcenter als leuchtendes Beispiel für Nachhaltigkeit auszuzeichnen. Dass Shoppingcenter alles andere als Garanten für eine lebendige und funktionsdurchmischte Stadt der kurzen Wege sind, dass sie damit kalkulieren, dass Menschen weite Anfahrtswege in Kauf nehmen, dass sie vormals öffentlichen Raum in privaten verwandeln, all dies sind Kriterien, die es eigentlich verbieten sollten, diesen Typ als besonders nachhaltig zu klassifizieren. Einer DGNB sollte man eigentlich nicht ins Stammbuch schreiben müssen, dass sich Nachhaltigkeit nicht in quantifizierbaren technischen Maßstäben erschöpfen darf, soll sie Leitbild verantwortungsvollen Handelns sein. Nachhaltig ist in diesem Fall nur der Schaden, dem man dem Begriff der Nachhaltigkeit als Maßstab kritischen architektonischen und stadtplanerischen Handelns zufügt.

In Stuttgart wurde jüngst eine Stiftungsprofessur der Wüstenrot-Stiftung ausgeschrieben. In der Ausschreibung heißt es: "Dabei gilt es insbesondere, im Lebenszyklus eines Gebäudes alle Stationen zu berücksichtigen – von der Auswahl der Baustoffe und ihrer Transportwege über die Reduktion von Energieverbrauch und Emissionen im Betrieb bis hin zur rückstandsfreien Beseitigung beziehungsweise Rückführung der verwendeten Baustoffe in den natürlichen Kreislauf oder eine geeignete Nachnutzung. Ebenso ist es Aufgabe der Stiftungsprofessur, die integrale Zusammenarbeit der Planenden mit dem Ziel zu fördern, eingefahrene Handlungsweisen zu überdenken, Argumente anderer Disziplinen anzunehmen sowie aktuelle technische Neuerungen und Forschungsergebnisse der berührten Fachdisziplinen einzubeziehen, um höchstmögliche ökologische, wirtschaftliche, soziale und gestalterische Qualität im Planungs- und Bauprozess zu erreichen." Vielleicht wird diese Stelle mit einer Persönlichkeit besetzt, die den Diskurs wieder stärker gesellschaftlichen, sozialen und stadtentwicklungspolitischen Kriterien öffnet. Das wäre wichtig, soll das Prädikat nachhaltig nicht zu einem Label des Immobilienmarketings degenerieren. ch

Andere Artikel in dieser Kategorie