Natur als Bild und Vorbild

Christian Holl
25. Januar 2012

Erderwärmung, Klimaveränderungen, Katastrophenszenarien: Das derzeitige Interesse an der Natur als Vorbild der Architektur scheint sich aus aktuellen Bedrohungen zu speisen. Diesen Eindruck gewinnt, wer die Einleitung von Wilfried Wang zu Form Follows Nature liest. Dort ist von der 2000-Watt-Gesellschaft die Rede und von Meinungsmachern, die Vorteile der Atomenergie vortäuschten. "Die grüne Bewegung, die Rückkehr zur Natur als einer Matrix für menschliches Handeln, erfordert eine grundlegende Kritik an allem, was sich in den letzten drei Jahrhunderten fehlerhaft entwickelt hat." Gut gebrüllt – doch mit Fundament! Was der Leser nämlich auf den etwa 500 folgenden Seiten findet, ist eine dichte und sorgfältig zusammengestellte Sammlung von Texten über architektonische Forschung, die nach den Möglichkeiten fragt, Gesetze und Regeln, denen die Natur folgt, für das Bauen fruchtbar zu machen. Nicht modisch, nicht oberflächlich: Mit zahlreichen älteren und historischen Texte (von Frei Otto, Manfred Speidel, aber auch Ernst Haeckel und Johannes Kepler) wird hier eine bis in die Gegenwart reichende wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit "Natur als Modell für Formfindung in Ingenieurbau, Architektur und Kunst" ausgebreitet. (Zu vermissen ist allerdings ein Quellennachweis).Vollständigkeit im Hinblick auf die geschichtliche Perspektive darf nicht erwartet werden, aber darum geht es ebensowenig wie um Neuheiten – das Buch appelliert, den Faden dieser Architekturgeschichte aufzunehmen und an ihm weiterzuspinnen.

Auf eine andere Weise nehmen Stan Allen und Marc McQuade den Bezug zur Geschichte auf. In Landform Building, verlegt bei Lars Müller, wird die Analogie zu Natur über den Begriff der Landschaft gesucht. Architektur wird darin thematisiert als eine bewusste und gezielte Methode, Landschaft zu gestalten, zu überhöhen, zu inszenieren – und zu schaffen: Landschaft als per se konstruiert und menschengemacht. Das Vorbild der Natur ist hier viel eher kulturwissenschaftlich verstanden, als Referenzrahmen der Positionierung in der Welt und der Aneignung von Welt durch Architektur – auch im Sinne einer ästhetischen und berechtigten Versöhnungsstrategie. Das schließt ein, dass das Verständnis von und das Verhältnis zu Natur sich darin wiederfindet, und so können auf nachvollziehbare Weise aktuelle Beispiele (SANAA, BIG, Perrrault ...) eingeordnet werden. Etwas überraschend ist, dass in historischer Perspektive beispielsweise Staudämme oder Vergnügungsparks auftauchen, ohne dass für die thematische Relevanz von Infrastruktur und ubiquitärer Architektur in der Gegenwart gefragt wird. Anregend und nachdenklich machend sind die Beiträge aber allemal, in ihnen kommen unter anderem immerhin Kenneth Frampton und Reyner Banham zu Wort. Beachtenswert ist auch die These von David Gissen, mit der Rekonstituierung von Topographie und Natur sei auch ein Element der Rekonstruktion und Geschichtlichkeit verbunden – in dem Sinne, dass ein vermeintlich geschichtliches Verhältnis der Stadt zur Natur wachgerufen werde. Das würde die Frage stellen, ob hier mit Gebäuderekonstruktionen nicht vergleichbares geschieht und nur der Referenzrahmen gewechselt wird?

Zum Schluss sei noch auf eine Veröffentlichung der Universität Stuttgart verwiesen, die sich einem in Bezug auf unsere Naturauffassung aufschlussreichen Ort in einem für unsere Wahrnehmung maßgeblichen Medium widmet. Mit der Fotografie haben Studenten sich, den Ergebnissen nach zu urteilen unter hochkompetenter Anleitung, daran gemacht, die Räume des Schwetzinger Schlossgartens zu untersuchen. Die Ergebnisse – in Collagen Räume und Raumwahrnehmung reflektierend – sind teils poetisch, teils humorvoll, andere legen den Schwerpunkt auf den analytischen Aspekt; sehenswert sind sie alle. Das Medium wird, wie es Clement Greenberg für Kunst gefordert hatte, durch die Collage sichtbar gemacht und kann so Qualitäten ausspielen, die nicht zu nutzen wären, wollte man das Medium hinter dem Inhalt verstecken. Den Katalog kann man sich über das Internet bestellen – ausgestellt sind die Arbeiten noch bis zum 2. März in der Architektenkammer Baden-Württemberg.

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