Nachkriegsmoderne

Ursula Baus
14. März 2012

Die Abrissbirne als Vorhut fragwürdiger Investoren, gepaart mit einer infamen üblen Nachrede, die in der Nachkriegsmoderne den Feind jeglicher Baukultur ausmacht, rückt den schönen Bauten aus den Jahren nach 1945 immer öfter zuleibe. Neben dem anerkennenswerten Engagement der professionellen, leider machtlosen Denkmalpflege ist zu beobachten, dass sich jeweils vor Ort Menschen mit bedrohten Nachkriegsbauten sehr stark identifizieren und deswegen auch für ihren Erhalt kämpfen – in diesem eMagazin berichten wir regelmäßig über solche Fälle, genannt sei die Kölner Aktion "Liebe Deine Stadt".
So hatte man sich im November 2011 an der TU Braunschweig zu Kolloquien über "Nachkriegsmoderne kontrovers" getroffen, und jetzt sind die Beiträge in einem lesenswerten Buch zusammengefasst (initiiert vom "Netzwerk Braunschweiger Schule" und unterstützt von der Wüstenrot Stiftung), um das Thema in breiteren Kreisen wach zu halten.
Neben grundlegenden Aspekten zur Rolle der Kritik, der Denkmalpflege, der gesellschaftlichen Kräfte allgemein, wird konkreten Fällen in Braunschweig, Berlin, Heidelberg, Münster, Kiel u.a. angemessene Aufmerksamkeit geschenkt. Auch die bautechnischen Aspekte werden angesprochen, die in der Nachkriegsarchitektursanierung nicht weniger kompliziert als in der mittelalterlichen Architektur oder der des 19. Jahrhunderts sind. Und eben genau dort, wo die Auseinandersetzung mit der Bausubstanz handfest, sichtbar, substanziell wird, treten auch die Qualitäten dieser Architektur in Erscheinung. Noch ging es der Nachkriegsarchitektur wie der Baukunst aller vorangegangener Epochen: Vernachlässigt und verpönt von den Nachfahren, wiederentdeckt von den "Nachnachfahren". Einen solchen fahrlässigen Umgang mit vorhandener Bausubstanz können wir uns überhaupt nicht mehr erlauben. Nachhaltigkeit gebietet Hege und Pflege, entkräftet Abriss- als Wegwerfmentalität. So darf in der nächsten Runde die Nachkriegsarchitektur vielleicht gar nicht mehr "kontrovers" gesehen, sondern als Wendepunkt im Epochenwechsel der Architekturgeschichte gefeiert werden.

Olaf Gisbertz für das Netzwerk Braunschweiger Schule (Hrsg.): Nachkriegsmoderne kontrovers – Positionen der Gegenwart, 208 S. mit 60 s/w und 61 farb. Fotos und Zeichnungen, Jovis, 32 Euro.

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