Meisterwerke und ein Manifest

Christian Holl
24. Oktober 2012
Haus Hölzinger (1975-77), im Hintergrund Wohnbebauung Höhenweg 11 (Planungsgemeinschaft Goepfert-Hölzinger, 1969-72), Bad Nauheim (Foto: Norbert Miguletz, 2012) 

Schon seine ersten Gebäude, noch deutlich an Le Corbusier orientiert, offenbaren bereits die Lust am skulpturalen Ausdruck. Johannes Peter Hölzinger, 1936 in Bad Nauheim geboren, ist vor allem wegen seines eigenen Hauses in Bad Nauheim bekannt, das er sich 1975 bis 77 am Ortsrand in einer Reihe von Villen aus dem späten 19. Jahrhundert errichtet hatte. Hier ist ein eigenständiges Meisterwerk entstanden, in dem die wichtigen Themen, die Hölzinger sein Leben lang verfolgte, zusammengeführt sind: das skulpturale Architekturverständnis, die Wechselwirkung zwischen Raum und geknickten oder einfach gekrümmten zweidimensionalen Flächen, die Kombination, Addition und Variation von wenigen Elementen. Dieser konzeptionelle Ansatz dominiert aber weder die Raumqualitäten, die dabei entstehen, noch entstehen dabei selbstreferentielle, autistische Objekte – das Haus in Bad Nauheim nimmt die räumlichen Prinzipien der Volumengestaltung seiner Nachbarn auf und interpretiert sie neu. Andere Häuser nehmen stark Bezug auf die Landschaft, aus ihr leitet Hölzinger die Formen ab, aus denen er den Entwurf entwickelt. So wird auch die Erdoberfläche als zweidimensionales Element verstanden, in die eingeschnitten werden kann, die sich hochklappen und falten lässt – Vorstellungen, aus denen Hölzinger Gebäude wie das Erdkeilhaus Anthes in Liederbach (87-94) entwickelt hat. Es ist eine Freude, in der von Yorck Förster sorgfältig kuratierten Ausstellung im DAM in Frankfurt den Weg Hölzingers nachzuverfolgen. Eine maßgebliche Strecke dieses Wegs hat ihn der früh verstorbene Künstler Hermann Goepfert begleitet. Und so sind neben Gebäuden auch eine ganze Reihe Plastiken im öffentlichen Raum entstanden, die aufschlussreich die in den Gebäuden zu entdeckenden Gestaltungsideen auf eine eigene, unmittelbare Weise sichtbar machen.

Wohnanlage Hochwaldstraße 44, Planungsgemeinschaft Goepfert-Hölzinger (1979-83) Bad Nauheim (Foto: Norbert Miguletz, 2012) 

Drei Stockwerke höher ist eine Ausstellung zu sehen, die ein einziges Gebäude in den Mittelpunkt stellt: Es ist der von Druot, Lacaton & Vassal 2009–11 umgebaute Tour Bois Le Prêtre, in den 1960er Jahren am nördlichen Rand von Paris errichtet und Anfang der 1980er durch energetische Sanierung banalisiert. Umlaufende Fototapeten im Maßstab 1:1 geben Einblick in die durch die Transformation deutlich vergrößerten Wohnungen und zeigen die fantastischen Blicke auf Paris, die nun, dank neuer Balkone und vorgehängter Wintergärten, besser als zuvor genossen werden können. Im DAM ließen die Kuratoren Ilka und Andreas Ruby Möbel und Pflanzen, wie sie in diesen Wohnungen stehen könnten, vor den Tapeten platzieren, so dass man meint, sich in einem Bühnenbild oder einem Filmset zu bewegen – man ist Akteur und Betrachter zugleich.
Dieser Tour Bois Le Prêtre ist die gebaute Aufforderung, sich auf die Qualitäten des Bestands einzulassen: "Es geht darum, sich auf eine positive Revolution einzulassen, die sich der gegenwärtigen Abriss- und Neubau Politik mit Entschiedenheit widersetzt", wie es in einem mit "Haltung" betitelten Statement zu lesen ist. Dabei überzeugt das Konzept nicht nur, weil gezeigt wird, wie dieser Gebäudetyp technisch, funktional und ästhetisch verbessert werden kann. Auch die sensible Art, mit Bewohnern umzugehen, ist beispielhaft: Die Neueinteilung der Wohnung wurde mit den Bewohnern geplant, keinervon ihnen musste seine Wohnung nach dem Umbau verlassen, durch Umzüge innerhalb des Hauses konnten Bedürfnisse besser als zuvor berücksichtigt werden. Anhand eines aktuellen Frankfurter Beispiels auf dem Campus Bockenheim wird dem Betrachter nahegelegt, die Arbeit von Druot, Lacaton & Vassal auf lokale Architektur zu übertragen und sich vor Ort der "gegenwärtigen Abriss- und Neubau Politik mit Entschiedenheit" zu widersetzen.

Deutsches Architektur-Museum
Johannes Peter Hölzinger: Psychodynamische Raumstrukturen, bis 13. Januar 2013. Der Katalog (400 Seiten) ist in der Edition Axel Menges erschienen.

Druot, Lacaton & Vassal, Transformation eines 60er Jahre Wohnhochhauses, bis 13. Januar 2013. Der Katalog ist bei Ruby Press erschienen.

Druot, Lacaton & Vassal: Transformation eines 60er Jahre Wohnhochhauses (Bild: Uwe Dettmar) 

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