Mehr als nur Krise

Simone Hübener
19. Oktober 2011
"After the Crash 11.08." (Bild: Gudmundur Ingólfsson)

Über Island weiß ein Durchschnittseuropäer eher wenig, Kenntnisse über die Architektur dürften sich auch in Fachkreisen rar machen. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt die Gelegenheit beim Schopf gepackt hat und über die Architektur des diesjährigen Gastlands der Frankfurter Buchmesse noch bis zum 13. November eine Ausstellung zeigt. "Island und Architektur?" lautet der Titel, in dem ebenfalls mitzuschwingen scheint, dass hier Nachholbedarf besteht. Gibt es in Island überhaupt eine eigenständige Architektursprache? Wie kann es nach dem großen Crash Ende 2008 weitergehen? Wie prägen die schroffe Landschaft, das raue Klima die Gebäudeformen? Auf diese Fragen will die Ausstellung mit zwei einleitenden Texten, sieben Einzelinterviews, großformatigen Fotografien und einem Film Antworten geben. Und dies gelingt ihr zweifelsohne. Denn die Interviewpartner von Peter Cachola Schmal, dem leitenden Direktor des DAM, sind alle tief mit ihrer Heimat verwurzelt und Experten auf ihrem Gebiet. So sprach er beispielsweise mit den beiden Inhabern des Studio Granda, des im Ausland wohl bekanntesten Architekturbüros Islands, mit Sigrídur Sigthórsdóttir, die sich ganz dem Bau von Thermalbädern widmet, und Pétur H. Ármannsson, der die erste und einzige Architektursammlung Islands aufgebaut hat und um deren Fortführung er nun bangen muss. In der Ausstellung werden Ausschnitte dieser Gespräche gezeigt, der Katalog enthält in deutsch und englisch die kompletten Texte. Großformatige Aufnahmen von Gudmundur Ingólfsson rahmen die sieben Monitore, verbildlichen zumindest einen Teil dessen, was der Besucher gehört hat, vermitteln einen Eindruck einer Architektur, die sich oftmals auf ihre Umgebung einlässt und aus den teils widrigen Bedingungen Positives herauszuziehen vermag. Zum Abschluss der Ausstellung kann sich der Besucher den Festivaldokumentarfilm "Future of Hope" des britischen Regisseurs Henry Bateman anschauen. "Anschauen" war zumindest bei meinem Besuch der Ausstellung leider auch das richtige Wort, denn das Gesprochene war viel zu leise, ich konnte ihm kaum folgen. Doch anstatt diesen Eindruck von der ansonsten sehr gelungenen Ausstellung mit nach Hause zu nehmen, sollte man sich am Ausgang lieber den umfangreichen Katalog besorgen, der alle Besucher dazu einlädt, sich zu Hause tiefergehend mit diesem interessanten Kapitel der europäischen Architekturgeschichte zu befassen. sh

Island und Architektur?, Deutsches Architekturmuseum, 3. Obergeschoss, bis 13.11.2011, Schaumainkai 43, Frankfurt, Di, Do-Sa 11-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr, So 11-19 Uhr
www.dam-online.de

Der deutsch-englische Katalog zur Ausstellung ist erschienen bei Jovis.
256 Seiten mit 150 farbigen Abbildungen, 38 Euro (in der Ausstellung 29,95 Euro), ISBN: 978-3-86859-121-7

Geothermisches Spa Blaue Lagune, Grindavík, Reykjanes-Halbinsel, Sigrídur Sigthórsdóttir für VA Arkitektar, 1995-98/ 2005-07 (Bild: Gudmundur Ingólfsson) 

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