Keine Angst vor dem Wohnen im Alter

Christian Holl
20. Februar 2013
In der Stadt: genossenschaftliche Wohnanlage "Drei Höfe" in München von bogevischs buero architekten & stadtplaner (Bild: DAM/ Jens Masmann, München)

Der Sachverhalt hat als immer und immer wieder wiederholtes Mantra uns schon ermüdet, bevor die Zeit gekommen ist, da er für uns Konsequenzen hat. Ja, wir werden immer älter. Wissen wir. Aber nur sehr schwerfällig wird das architektonisch berücksichtigt. 93 Prozent aller über 65-jährigen leben in normalen Wohnungen, die in der Regel weder behindertengerecht ausgebaut sind, noch in sonst einer Form die Bedürfnisse älterer Menschen berücksichtigen. Um Schwung in die Diskussion zu bringen, gute Beispiele zu zeigen, zum Nachdenken anzuregen, zeigt das DAM nun mit Netzwerk Wohnen eine Ausstellung, die sich nicht auf die trockenen soziologischen Zusammenhänge konzentriert, wie man das sonst oft bei diesem Thema gewohnt ist. Es geht ums Wohnen im Alter, auch wenn es der Untertitel der bis zum 19. Mai laufenden Ausstellung – Wohnen für Generationen – politisch korrekt verschleiert. 35 aktuelle Bauten aus Europa, Chile und Japan werden gezeigt (wobei "aktuell" einen Zeitraum der letzten 15 Jahre umfasst), fünf Beispiele von großen Architekten des 20. Jahrhunderts (Richard Rogers, Robert Venturi, Richard Neutra, Le Corbusier und Philip Johnson) zeigen, dass man sich auch Anregungen aus der Architekturgeschichte holen kann. Denn wenn auch die Menschen schon immer alt wurden, so stellt sich das Thema in mehrfacher Hinsicht anders: zum Ersten wird es durch die quantitative Verschiebung immer wichtiger werden, dass sich neue Gemeinschaften von älteren Menschen ebenso wie von Menschen aus verschiedenen Generationen bilden, ob sie sich nun aus der Familienzugehörigkeit entwickeln oder aus andern Gemeinschaften wie Genossenschaften oder Vereinen. Zum Zweiten sind Familienbindungen schon lange nicht mehr so, dass die Älteren von den Jüngeren gepflegt werden könnten – andere Netzwerke werden wichtig (deswegen auch der Ausstellungstitel Netzwerk Wohnen). Zum Dritten bildet sich auch hier die Pluralisierung der Lebensstile ab: ältere Menschen unterscheiden sich in ihren Wünschen, Ansprüchen, Vorstellungen vom guten Leben voneinander wie alle anderen Altersgruppen auch. Verbunden mit der im Alter eingeschränkten Mobilität heißt das: Quartiere und städtebauliche Komponenten sind anders zu berücksichtigen, über das Wohnen in der Stadt wird anders nachzudenken sein und die Frage, wie überkommene Siedlungsstrukturen sich ändern müssen, wird dringender. Und nicht zuletzt wird man davon ausgehen müssen, dass nicht in naher, aber doch in absehbarer Zeit Senioren deutlich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung haben werden, als das heute der Fall ist.
Bemerkenswert ist, dass es die Frankfurter Ausstellung schafft, diese Themen über die Beispiele gebauter und guter Architektur zu transportieren, ohne den Finger heben zu müssen. Ob die sanierte Prager Zeile in Dresden, die Siedlung Steinäcker in Zürich oder das ein oder andere spektakuläre Einfamilienhaus, ob in der Stadt, auf dem Land, für gut Betuchte oder wenig Vermögende, zur Miete, im Eigentum oder als genossenschaftliches Wohnen, ob das Häuschen für die Oma auf dem Grundstück des Einfamilienhauses, der mittels Altenwohnen wieder belebte Ortskern in Tiedoli (Emilia Romagna), ob umgebautes Kaufhaus, Kloster oder sanierte, denkmalgeschützte Wohnsiedlung – die Mischung stimmt. Die Grundrisse, in diesem Fall besonders wichtig, sind fast durchweg gut lesbar, ergänzende Information verortetet das Thema in allgemeinen Sachzusammenhängen. Man könnte höchstens fragen, ob im Hinblick auf die zu erwartenden Entwicklungen Einfamilienhäuser etwas überrepräsentiert sind. Aber egal: viel Inspiration fürs Leben im Alter. Und nicht nur dafür.

Der reich bebilderte Katalog (darin auch ein Beitrag unserer Redakteurin Simone Hübener) mit ergänzenden Informationen zum Thema ist im Prestel-Verlag erschienen und kostet in der Ausstellung 36 Euro.

Und auf dem Dorf. Antonio Pellegrini: Le Case di Tiedoli (Bild: DAM / Wolfgang Krammer, Wien)

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