Ingenieure als Ästheten

Ursula Baus
28. November 2012
 

Karlsruhe ist derzeit eine üble Baustelle: Die Straßen- und S-Bahnen werden unter die Erde verbannt, das Flanieren ist eine Tortur. Wen es trotzdem nach Karlsruhe verschlägt: Dort wird im "Architekturschaufenster", das in in einer zentral gelegenen Seitenstraße liegt, bis Ende der Woche noch die Ausstellung "Ästhetik des Gleichgewichts" gezeigt. Dahinter steckt ein interdisziplinäres Konzept: Die Fakultäten Informationsmanagement und Medien sowie Architektur und Bauwesen kooperieren bereits seit 2011 und spüren dem Wirken von herausragenden Persönlichkeiten der Ingenieurbaukunst nach. Meisterwerke von Vladimir Šuchov, Robert Maillart, Pier Luigi Nervi und Jörg Schlaich werden mit Bildern, Erläuterungen und Tragwirkungsmodellen präsentiert, man erfährt auch Einiges zu den Ingenieurpersönlichkeiten. Man erinnert sich zugleich an die Erkenntnis der Künstler Peter Fischli und David Weiss: "Am schönsten ist das Gleichgewicht, kurz bevor's zusammenbricht". So weit lassen es die Ingenieure natürlich nicht kommen. Zur Ausstellung ist auch das Portal www.ingenieurbaukunst.comangekündigt, das die Grundlage für weitere Projekte zum Ingenieurbauthema bilden soll – bislang erscheint es als "forbidden". Dort wird man vielleicht auch etwas über andere Meister des Gleichgewichts erfahren: Frei Otto oder Werner Sobek. (Architekturschaufenster e. V., Waldstraße 8, 76133 Karlsruhe, 9-12 Uhr und 14-16 Uhr)

Logo der "Ästhetik des Gleichgewichts" und darunter ein Rendering zum Zukunftshaus (Bild: Büro Werner Sobek) 

Werner Sobek engagiert sich bekanntlich zunehmend im Energiebereich. Nun hat er in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, jenem bahnbrechenden IBA-Projekt der 1920er Jahre, auf dem Grundstück eines ehemaligen Döcker-Hauses ein "Zukunftshaus" ins Gespräch gebracht. Es darf als Weiterentwicklung des "Effizienzhauses Plus mit Elektromobilität" in der Berliner Fasanenstraße 87 (vor dem BBR) gesehen werden – wir berichteten im eMagazin #50|11. Die Landeshauptstadt Stuttgart scheint ein idealer Standort für derart ambitioniert konzipierte Häuser in Kombination mit einer neuen Individualmobilität werden zu können. In Kürze startet hier nämlich auch Car2go mit Elektroautos, wir werden berichten. Zum Stuttgarter Zukunftshaus heißt es: "Es soll mit Fotovoltaikanlagen garantiert 70 oder 80 Prozent mehr Strom herstellen, als es selbst benötigt. Außerdem will Sobek hier die Verbindung mit intelligenten Stromnetzen, mit Nachbarhäusern und mit Elektromobilen vorexerzieren. Das Ziel: Schnittstellen und Steuerungsgeräte sollen dafür sorgen, dass erzeugter Strom nicht nur ins allgemeine Netz eingespeist, sondern auch in Autobatterien zwischengespeichert und in Nachbarhäusern abgerufen werden kann. Im Auto können Daten und Informationen aus dem Haus abgerufen werden – und anders herum. Die Geräte liefern auch Daten über den Stromverbrauch an die EnBW, damit man eines Tages die Stromproduktion an den Bedarf in den Wohngebieten anpassen kann. Oder umgekehrt: Ist in der Siedlung genügend Ökostrom verfügbar, soll sich die rechtzeitig befüllte Waschmaschine anstellen." Weil der Eine oder Andere viel Verkehr wegen neugieriger Besucher befürchtet, werden auch andere Standorte geprüft. Aber nun ja: Verkehrsbelastung ist in Stuttgart ein ganz anders verursachtes Problem! An den Investitionen werden sich viele beteiligen – nicht nur das Land Baden-Württemberg, die Daimler AG, sondern auch die Werner Sobek Group. Und wichtig: Eine Probewohnfamilie wird beizeiten gesucht. Die Zeit drängt: Es geht um einen Wissens- und damit Wirtschaftsvorsprung, der im Erfindungsland des Automobils die Revolution im Verkehrswesen einleiten soll.

Das Stadion in Warschau von Schlaich Bergermann & Partner und gmp, ausgezeichnet mit dem Ingenieurbaupreis 2013 (Bild: Ernst & Sohn/ Marcus Bredt) 

Entschieden ist jetzt auch der von Ernst & Sohn ausgelobte Ingenieurbau-Preis 2013. Er geht an Schlaich Bergermann und Partner sowie gmp mit JSK Architekci sp. z o.o., die gemeinsam das Nationalstadion in Warschau gebaut haben. 37 Projekte aus 13 Ländern waren eingereicht worden. Zum Stadion heißt es: "Mit dem polnischen Nationalstadion in Warschau wurde ingenieurtechnisches Neuland betreten. Herausragend ist der Entwurf einer Multifunktionsarena mit wintertauglichem wandelbarem Innendach und die Umsetzung in ein komplexes Gesamttragwerk, dessen statisches System verschiedene Prinzipien des Speichenrades synthetisiert. [...] Ausgezeichnet werden die ungewöhnliche Konstruktion und die ingeniöse Beherrschung des Spiels der Grundbeanspruchungen von Druck und Zug in der Planung und Ausführung. Das Ergebnis ist eine bis ins Detail gestalterisch durchdachte strukturale Komposition, die ästhetisch und konstruktiv überzeugt." Auszeichnungen erhielten außerdem das Stahlviadukt Binnenhafenbrücke in Hamburg sowie die Sanierung des Hamburger Hauptbahnhofes. Die Preisverleihung ist für den 25. Januar 2013 vorgesehen.

Hamburgs Innenhafenbrücke von WTM Engineers (Massivbau) und Ingenieurbüro Grassl (Stahlbau) mit den Architekten Grundmann + Hein (Bild: Ernst & Sohn) 
Der sanierte Hamburger Hauptbahnhof, Ingenieurbüro A. Elsner (Bild: Ernst & Sohn) 

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