Fünf-Themen-Talk

Ursula Baus
11. Januar 2012
Bild: ancb.de

Am 29. November 2011 traf man sich in der Niederländischen Botschaft in Berlin, um einem Gespräch zwischen Rem Koolhaas und Peter Sloterdijk zu lauschen. Es moderierte Stephan Trüby – alle drei kannten sich schon von früheren Gesprächsrunden. Im Programm von "aedes network campus" war dieses Gespräch in merkwürdigem Zusammenspiel von Adverb und Adjektiv als "architektonisch-philosophischer Dialog" angekündigt, ein konkretes Thema gab es für die eloquenten Herren nicht. Stephan Trüby versuchte jedoch redlich, entlang von Publikationen seines prominenten Diskussionsduos einen roten Debattenfaden zu spinnen. Macht und Architektur beziehungsweise Philosophie, die Verwandschaft von Architektur und Philosophie, die Rolle des Staates für unseren öffentlichen Raum, Europa, Metropolen und Landschaft, das Schiffshafte in der Architektur, der Metabolismus – da lenkte der Moderator die Aufmerksamkeit auf vieles, um die Ansichten seiner Gesprächspartner zu "kontrastieren". Doch während der fernseherfahrene Philosoph Sloterdijk beredt aus dem Fundus seines philosophischen und anekdotischen Wissens schöpfen konnte, unterhielt der kluge und schlagfertige Architekt die Zuhörerschaft mit dem, was ihn, Koolhaas, gerade interessiere. Das war unterhaltsam und auch aufschlussreich – in einen Disput gerieten die beiden jedoch nicht.
In dieser kurzen Meldung muss vieles unerwähnt bleiben – man hat im Internet die Gelegenheit, das ganze Gespräch anzuhören, siehe unten. Benannt sei hier eine heitere Episode, die das Verhältnis von Architektur und Philosophie betraf: Stephan Trüby fragte Rem Koolhaas dazu: "Welche Rolle spielt die Philosophie in dem Panorama des polymorph Perversen bei Ihrer Arbeit?". So ratlos wie das Publikum war auch Koolhaas, der antwortete: "I studied philosophy for one week. Than I became a journalist". Man schob das "polymorph Perverse" rasch zur Seite und widmete sich den gegenwärtigen Sorgen: zum Beispiel der europäischen Befindlichkeit und der Rolle eines "starken Staates". Europa, der "Club gedemütigter ehemaliger Imperien" (Sloterdijk), sei im Projekt "Multikulti" viel weiter als die Politik es erkenne – und könne diese Identität viel besser als die USA in die Zukunft führen. Das könne gemäß der vergilischen Idee gelingen, dass das Leben aus einer zweiten Chance erwachse. Und Rem Koolhaas bescheinigte den Europäern obendrein eine klare Dominanz in Fragen des Geschmacks. Bemerkenswert war – nachdem Stephan Trüby den Aufenthalt des Philosophen in Indien angesprochen hatte – Sloterdijks Erklärung, dass Indien für ihn keine Raum-, sondern eine Klimaerfahrung geboten habe. Den Beginn der europäischen Architekturmoderne sieht Sloterdijk folgerichtig im Treibhaus um 1800, als England tropischen Pflanzen Gastfreundschaft anbieten wollte. Der "Klimaimperativ" eigene sich als Basis einer Architekturtheorie. In Indien war es heiß. So dürfen wir als Folge von Sloterdijks Indienreise einmal mehr feststellen, dass die Architekturgeschichtsschreibung stets eine Frage des Blickwinkels ist.
Rem Koolhaas jüngstes Interesse an der Landschaft – wo er doch bislang als Megacity-Experte galt – erklärt sich nicht zuletzt aus der Erkenntnis, dass Städte wie Dubai von nur rund 10 Prozent eigener Bevölkerung bewohnt werden und ansonsten so etwas wie eine Schlafstadt für die Karawane der Geldverdiener sein mag.
Fasst man "architektonisch-philosophische Dialoge" so weit, wie sie Sloterdijk und Koolhaas zu erzählen wussten, eignen sie sich weniger für den wissenschaftlichen Disput als dafür, größere Teile der Bevölkerung für Grundlagen unseres Zusammenlebens zu begeistern.

Das Gespräch sehen Sie online unter diesem Link.

Zum Weiterlesen der angesprochenen Bücher:
Rem Koolhaas und Hans U. Obrist: Project Japan. An Oral History of Metabolism. Köln 2011
Rem Koolhaas: Content. Köln 2004
Rem Koolhaas: Delirious New York. 1994
Doug Saunders: Arrival City. Aus dem Englischen von Werner Roller, München 2011
Peter Sloterdijk: Die nehmende Hand und die gebende Seite. Frankfurt 2010.
Peter Sloterdijk: Falls Europa erwacht. Frankfurt 2002
Peter Sloterdijk: Im selben Boot. Versuch über die Hyperpolitik. Frankfurt 1995
Peter Sloterdijk: Sphärentrilogie. 3 Bde., 1998-2004

Bild: ancb.de
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