Flagge gezeigt

Wolfgang Kil
7. November 2012
Am Tag der Eröffnung: Architektur muss auch bei Regen bildtauglich sein (Bild: Wolfgang Kil) 

Gerade bei den brisanten Fragen unserer Gesellschaft ist auf die Kulturstiftung des Bundes Verlass. Ob schrumpfende  Städte, Zukunft der Arbeit, Überlebenstechniken für den Planeten, unser Verhältnis zu Osteuropa oder – ganz aktuell – zu Afrika: Die vor zehn Jahren nach Halle (Saale) gezogene Förderanstalt nahm sich mutig noch unbearbeiteter Themen an, gab selbst waghalsigen Projekten eine Chance und scheute sich nie, Farbe zu bekennen.
Das gilt auch für den Neubau, den die Stiftung sich dank Konjunkturpaket II leisten konnte. Zum Bauplatz wurde eine kleine Baulücke gleich neben dem bisherigen Dienstsitz in den "Franckeschen Stiftungen". Immerhin ein Areal mit UNESCO-Ambitionen, doch auch hier wollte man Flagge zeigen und sich nicht dem neudeutschen Mainstream anschließen, der aus Dresden, Potsdam, Frankfurt oder sonst woher nach historisierender Verkleidung ruft. Der Wettbewerb 2009 wollte eindeutig heutige Formen, die sich mit dem barocken Kontext arrangieren, aber Eigensinn behaupten: unauffällig auffallen! Wer die Besonderheit und das Wirken der Institution ein bisschen näher kennt, wird ihr den leicht koketten Auftritt gönnen. Ganz ohne Provokation ist der Laden einfach nicht vorstellbar.
Die heftigen Debatten, die der Siegerentwurf des Münchner Büros Dannheimer & Joos natürlich hervorrief, ebbten irgendwann ab. Eine überlange Bauzeit – Grund waren Probleme mit der Fassadenfertigung – hat die Gemüter abgekühlt. Nun steht das Ergebnis da, brav in die Reihe der Nachbarn gerückt, ein bisschen verspielt und ganz schön weiß. Ein "Gewebe" aus lackierten Edelstahlbändern verschleiert zur Straße hin, dass es sich bei dem Bau eigentlich um ein Betonskelett mit üppig verglasten Gefachen handelt. An den freigerückten Giebelseiten lässt die vorgezeigte Tragstruktur tatsächlich an massives Fachwerk denken.
Der erste Eindruck: Für einen Solitär erstaunlich klein! Doch im Inneren überrascht ein gegenteiliger Eindruck: Welch großzügige Räume! Die gesamte Belegschaft hat hier Platz gefunden, vierzig Mitarbeiter erstmals unter einem Dach vereint – Hortensia Völkers, künstlerische Direktorin der Stiftung, verspricht sich davon ein inspirierendes Miteinander. Gemeinsam mit den Architekten wurde eine irritierend offene Bürolandschaft entwickelt, in der Arbeits- und Kompetenzbereiche mal ineinanderfließen, ein andermal nur durch Regale, seltener durch Glaswände gegliedert sind. Für den kreativen Ernstfall stehen pro Geschoss zwei "Rückzugskämmerchen" bereit. So wenig Hierarchie ist selten im Verwaltungsbau. Besucher werden sich durchfragen müssen, dabei immer gleich einen Gesamteindruck der Stiftung gewinnen. Und sie werden die hier Beschäftigten um ihre Ausblicke beneiden – nach jeder Himmelsrichtung ein anderes Stück malerische Altstadt-Idylle, raumhoch und zum Greifen nah.
Ein Zehntel der Bausumme von viereinhalb Mio. Euro kam aus einem Programm des Bundes für energiesparende Maßnahmen. Gefördert wurde, was man so kennt: Solarpaneele auf dem Dach, Dreifachverglasung, komplette LED-Ausleuchtung, kontrollierte Lüftung mit Wärmetauschern. "Es scheint, als sei alles eingesetzt worden, was der Markt an energetischem Rüstzeug hergibt", frozzelte die lokale Presse, die auch in dieser Zukunftsfrage wohl gern etwas mehr "Fantasie, Mut, Entschlossenheit" (Hortensia Völkers) gesehen hätte. 
Doch vielleicht sollte man der Hallenser Stiftung nicht gleich sämtliche Weltprobleme aufbürden. Es gibt ja noch diese entfernte Verwandte in Potsdam, die unter dem Label "Baukultur" landauf, landab über das Bauen in Zeiten der Energiewende diskutieren lässt. Auch die Potsdamer Stiftung schmückt sich mit einem Dienstgebäude, das programmatisch Flagge zeigt – für eben jenes "Reduce/Reuse/Recycle", das weniger auf High-Tech, dafür aufs Schonen und Vermeiden setzt. Natürlich haben beide Häuser auf ihr je eigenes Profil zu achten, aber es gibt Konkurrenzen, die fordern einen Austausch der Ideen und Erfahrungen geradezu heraus.

Bild: Wolfgang Kil
Bild: Wolfgang Kil
Bild: Wolfgang Kil

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