Eliten und Pure Hardcorism

Ursula Baus
18. Juli 2012
 

Es ist ja nicht so, dass sich in der Tagespresse niemand ums Alltagsgeschäft in der Architektur kümmere. Für München hatte am 10./11.9.2011 Winfried Nerdinger über das "Kartell der Mittelmäßigkeit" geklagt und vorgeschlagen: "Die Stadt München könnte durchaus ihre Position als Auftraggeber, Grundstücksbesitzer und oberste Genehmigungsbehörde stärker einsetzen, um den Bauträgern höhere Qualitätsvorgaben zu machen. Man weicht viel zu sehr vor dem Druck des Kapitals zurück". Niklas Maak war kurz darauf, am 27.11.2011, in der FAS ebenfalls den Übeltätern des Bauens auf der Spur: Die Diskussion fahre sich "im Sumpf schwer verallgemeinerbarer Geschmacksurteile" fest, man müsse aber fragen, welche Lobbys und Machtinteressen sich in welchen Bauformen abzeichneten.
Jetzt holten Hanno Rauterberg (DIE ZEIT, 5.7.2012) und Alex Rühle (Süddeutsche Zeitung, 14./15.7.2012) wieder mal aus, um das Elend zu analysieren. Rauterberg schaut sich die Luxusimmobilien an, "vulgär verwachsene Protz- und Motzgebilde", um zu behaupten, dass Deutschland ein "Architektur- und vor allem Eliteproblem" habe. Erstaunen darf hierbei, wieso Rauterberg ausgerechnet dort, "wo das Geld wohnt", die "Elite" des Landes sieht und sich allen Ernstes wundert, dass dort wenig Bildung und ästhetisches Empfinden anzutreffen sei. Es liege, so kommt er zum Schluss, am mangelnden Geschmack, um anschließend zu erläutern, was es mit dem Geschmack auf sich hat, der – hier wird der Soziologe Klaus Theweleit zitiert – das "diskreditierteste aller Orientierungsmittel" sei. Rauterberg sieht Geschmack als "eine Form sozialer Intelligenz", beruft sich dabei auf Kants "sensus communis" und beharrt auch darauf, sich darüber mit wohlgewählten Worten verständigen zu müssen – genauer: mit neuen Begriffen. Vielleicht helfe es, sich zu fragen, "wie wir von der Architektur angesehen werden wollen: nachsichtig, herausfordernd, grimmig, kalt? Vielleicht hilft es, sich zu fragen, wie die gebauten Charaktere sein sollen, mit denen wir uns umgeben, um mit ihnen zu leben: Sollen sie gesellig sein? Oder möglichst cool? Aufschneiderisch? Bieder? Ordentlich? Gemütvoll? Vertraut wie ein alter Freund? Oder unbedingt schön?". In der ästhetischen Debatte stecke ja auch stets ein ethischer Kern.
Dazu passte prompt, wie Alex Rühle in der SZ-Wochenendausgabe bei einem "Streifzug durch die bizarre Welt der Maklersprache" das Metier auf die Schippe nahm. Man kennt es: Premium-Immobilien für handverlesene Klientel mit exklusivem Geschmack, Toscana-Villa in Toplage mit Lifestyle-Ambiente usw. – ja, schlimm, schlimm, dass die Reichen so einen schlechten Geschmack haben ...
Die Argumentation wird dann allerdings etwas komplexer: Denn es ist nicht mehr der böse Immobilienhai, der des Geldes wegen sein Unwesen treibt, sondern die Klientel selber. Oder beide sind in Tateinheit schuld am Elend unserer Wohnungsentwicklung. Geschmacksbildungskurse für "Eliten" – ein Thema für die Architektenkammern?

Aufmerksamkeit zog dann noch ein Hinweis im Internet auf sich: wai architecture think tank – think tank ist Neudeutsch für Ideenspielwiese – kommt mit einem Manifest unter dem Titel "Pure Hardcorism" danieder. Oha, was das wohl ist? WAI ist ein 2008 in Brüssel gegründetes Architekturbüro, dem es nicht aufs herkömmliche Bauen ankommt, sondern um alles drumrum: eben auch um Manifeste. Und in Manifesten geht es nun mal streng und rigid zu: "Hardcorism is pure form unconcealed. It is blunt, straightforward, explicit, up front. It presents itself as it is, and represents what it presents. No decoration. No crime. No ornament. No structure. No distractions. No program. No excuses. No dialectics. No post-occupancy. No hat-tricks. No diagrams. Archetypes of Jungesque proportions, Hardcorism is pure imagery embedded in the Collective Unconscious. Hardcorism is architecture made for photography, for engraving, for model making. Hardcorism is emphatic; final. Hardcorism is reductionist. It is architecture as architecture." Und zur Theorie des Hardcorism heißt es: "Hardcorism is a call for the objectification of the shapes. It asks for the recognition of the oldest architectural 'tradition'. The vernacular of nowhere. Criticism without critic. Hardcorism represents the most basic possibility of architectural existence: architecture as form. It defies utilization and style. It is colorless and egalitarian. It is retrospective, contemporary and projective. It represents the ultimate architectural hardliner: form as essence, essence as form." Tja, die Hardliner. Auch die sterben nicht aus.

Eine Montage aus Aldo Rossis Friedhof in Modena, 1971, dem "Raumschiff Erde", Walt Disney Imagineering, Orlando, 1983, und dem Palace of Peace and Reconciliation, Foster + Partners, Astana, 2006 (Bild: waithinktank.com) 

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