Eine Fachzeitschrift weniger

Ursula Baus
9. November 2011

Ein scheinbar nur optisches Indiz dessen, was sich beim 1902 gegründeten Fachblatt Baumeister mit der Novemberausgabe 2011 geändert hat, deutet die inhaltliche Veränderung an: Das einsilbige Wort "neu" wird auf dem Titel der Novemberausgabe in Versalien gesetzt und dann auch noch umbrochen. Schlimmer kann man mit der Sprache und ihrer Bedeutung für unsere intellektuellen Maßstäbe nicht umgehen. Wer solch einen typografischen Unsinn duldet oder gar initiiert, manövriert sich ins inhaltliche Abseits und betont diese Verabschiedung aus dem fachrelevanten Diskurs obendrein durch ein unbeschriebenes Blatt, das ein Mensch (Chefredakteur?) mit halbiertem Gesicht (lächelnd?) in Händen hält. "Selbst-Neuerfindung" heißt die Parole, mit der die Relaunch-Ausgabe von Alexander Gutzmer, der neuer Chefredakteur ist, online präsentiert wird. Welches "Selbst" wurde hier "neu erfunden"? Den "Baumeister" hat auf jeden Fall eine Zahlenneurose erfasst, die auf fast allen Seiten erkennbar wird und nervt. Außerdem ist der Chefredakteur offenbar mit gmp nach China gereist und hat nun seine liebe Mühe zu erläutern, was gmp-Bauten zur Identität ihrer Orte beitragen. Das Magazin möchte jetzt den Architekten aber schwerpunktmäßig erklären, "wie Architekten ticken", wie sie "fühlen, leben, arbeiten". So weiß man, dass eine neue Leserschaft mit Plauderjournalismus angesprochen werden soll. Das Namedropping beginnt schon auf der Titelseite, und genau so macht es ja auch "build".

build bezeichnete sich von Beginn an als "Magazin" und imitiert das Talkshow-Prinzip im Schriftlichen, angereichert mit zum Teil hochwertigen Fotoserien: Architekten werden vor ein Mikrofon gesetzt und antworten mehr oder weniger artig auf mehr oder weniger kluge Fragen – dieses Mal ist auch das enfant terrible der Franzosen, Odile Decq, dabei, die den French-Dutch-Stil einiger ihrer französischen Kollegen "zum Kotzen" findet. So manifestiert sich die Zeitschrift als irgendwie verlängerter PR-Arm der Architekturbüros und Firmen, die redaktionell berücksichtigt beziehungsweise porträtiert werden.

Und arch+? Die Zeitschrift, die unter dem Titel "Krise der Repr#sentation" (das # ist kein ä!) in ihrer aktuellen Ausgabe Nr. 204 die Felder 1. Rekonstruktion, 2. Stadtbild und Gesellschaftsbild und 3. performative Demokratie ins Visier nimmt, lohnt das Lesen am meisten. Man könnte die Ausgabe auch "Rückkehr des Utopischen" taufen, denn Ausgangsthese ist die Überlegung, dass Architektur nicht die Gesellschaft oder Gesellschaftliches repräsentiert, sondern aktiv in der Gesellschaft und auf die Menschen wirkt (Heike Delitz). Damit würde Architektur in eine ungewisse Zukunft weisen, das "Gespenst der Utopie" ließe sich beschwören (Reinhold Martin). Neu ist diese These nicht gerade, aber arch+ nutzt sie, um eine Reihe von großteils bekannten "Fallstudien" neu zu präsentieren. Kritische Rekonstruktion, Stadtbild und Gesellschaftsbild und performative Demokratie geben thematisch die Gliederung vor. Bemerkenswert noch eine ausfaltbare Zusammenstellung der Ereignisse von Stuttgart 21 seit den frühen 1990er Jahren. Es ist ja bekannt, dass die Bürger dieser Tage befragt werden. Nicht vorenthalten möchten wir Ihnen die Frage, um die es dabei geht: "Stimmen Sie der Gesetzesvorlage 'Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21 Kündigungsgesetz)' zu?" Ob Sie nun Gegner oder Befürworter sind: Wüssten Sie, was Sie ankreuzen sollen? Heiliger Strohsack, wenn das direkte Demokratie sein soll ...  ub

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