Diskurs

27. Februar 2013
(Bild: © Marek Novotny)

Schöner Text. Nicht ganz d'accord mit der Art der Kritik am FAS-Artikel. Bereits die Maßgabe "nicht weiter als 2 Autostunden von NYC entfernt" zeigt, dass das Ganze nicht als Groß- versus Kleinstadtleben zu diskutieren ist. Die Headline "Vergesst die Großstadt!" führt also vollständig in die Irre; und wer sich die Mühe macht, nachzuschauen, wo Hudson, Beacon usw. gelegen sind (nämlich entlang der MetroNorth Railroad, des Hudson River, der E 87), kapiert schnell, dass es nicht um Landleben geht. Es ist in erster Linie eine neue und nicht ganz freiwillige Form von vintage urbanism. Dirk E. Haas

Antwort: Dass der Fall aus den USA eigentlich ein anderer ist, ist richtig. Aber gerade dies bedenkend, scheint mir der Autor selbst in die Irre geführt worden zu sein – denn er ist es, der das Beispiel USA explizit auf den ländlichen Raum Deutschlands bezieht. Da heißt es: "Es gab vielleicht immer wieder Versuche von verschiedenen Gestalten der Berliner Kunstwelt, halb verfallene Straßendörfer in Brandenburg zu übernehmen, aber das hat nicht funktioniert, auch weil die von allgemeiner Perspektiv- und Arbeitslosigkeit geplagte Dorfbevölkerung es nicht sonderlich schätzte, zuzuschauen, wie jedes Wochenende eine Armada von weißbehosten Städtern mit KaDe-We-Tüten aus ihren dunkelbraunen Range-Rovern stolperte und sich über die authentisch kaputten Fassaden freute." Und: "Auch in Deutschland gibt es, wie auch der Erfolg der seltsamen Zeitschrift 'Landlust' belegt, unter den um 1970 geborenen Stadtbewohnern offenbar eine große Sehnsucht nach dem Landleben." Und warum funktioniert es nicht? Weil Deutsche keinen Pioniergeist haben: "Echte Pioniere on a mission haben keine Angst vor ein paar herumstehenden Neonazis oder übriggebliebenen grimmigen Ostrentnern. Die Deutschen, die diesen robusten Kolonialisierungsgeist der amerikanischen Siedler nicht mitbringen, sollten besser auf dem städtischen Balkon bleiben." Von "nicht ganz freiwillig" ist da keine Rede. Es ist einfach ein ziemlich schiefer Wunsch, das missverstandene Beispiel der USA lasse sich in ein normatives Modell für Berlin und Brandenburg übertragen. Ganz zu schweigen davon, dass er eine ganze Menge übersieht, was sich hier im Sinne einer alternativen und produktiven Neuaneignung von Räumen abseits der Großstadtzentren vollzieht – ich denke da gerade auch an das, was sich bei euch im Ruhrgebiet tut. Aber das sieht er eben nicht, weil er selbst im Schema Großstadt vs. Kleinstadt gefangen ist. Christian Holl


Mir scheint, der Autor, Ralph Martin, Ex-New Yorker, Seit-einer-Weile-Berliner, führt sich selbst in die Irre. Du hast natürlich recht damit, dass die Situation in und um NYC nicht mit Berlin gleichzusetzen ist. Aber schon für New York stimmt diese Entgegensetzung von Groß- und Kleinstadtleben ja nicht. Ich will den gegenwärtigen Berlin-Hype der internationalen Immobilienwirtschaft nicht unterschätzen, aber in Berlin gibt es – noch – gar keinen Grund, als Hipster auf umliegende Kleinstädte auszuweichen. Martins Thema hat Moritz von Uslar mit "Deutschboden" schon vor einer Weile durchgekaut.Und im Ruhrgebiet? Die Gegend ist ohnehin ein Durcheinander aus Großstadt, Kleinstadt und Dorf. Das Regionalmarketing schreit "Gentrify me!" und die wenigen Hipster sitzen in den vielen zentral abgelegenen Orten, die es halt gibt. Dort trinkt man, wie echte Hipster, natürlich keinen Cappuccino, sondern Getreidekaffee. Dirk E. Haas (via facebook)

In den Ausgaben 6/2013 und 7/2013 berichteten wir über Romantik-Sehnsucht und Immobilienmarkt. (Bild: Ursula Baus)
# 7|2013 und www.bkult – Immobilien, Architektur und Großprojekte

"Kann es sinnvoll sein, Großprojekte zu stoppen?" Diese Frage wirft gleich vorausgehende und anliegende auf: Was ist ein Großprojekt? Ich meine, was unterscheidet ein Großprojekt von einem "einfachen" Projekt? Die Investitionssumme? Wenn ja, welche? Wo ist die Abgrenzung zu setzen? Bei den im Beitrag zu "Quo Vadis" genannten 300 Millionen Euro? Und die "Entscheider" der Immobilienbranche, sind sie dann besser Groß-Projektemacher zu nennen? Zu diesen Fragen habe ich ein Buch zur Hand genommen, das ich wärmstens empfehlen möchte: Markus Krajewski (Hg.): Projektemacher. Zur Produktion von Wissen in der Vorform des Scheiterns. Kulturverlag Kadmos Berlin, 2004. ISBN 3-931-659-56-9. Gleich in der Vignette zur Einleitung heißt es dort übrigens aus einem württembergischen Volkslied von 1737 zitiert: "Er zeigte wohl Projecten vor, die Geld eintragen müssen; sie fielen trefflich in das ohr, doch mußt der burger büssen." Im Buch wird nachgewiesen, dass schon etymologisch in der Bezeichnung "Projekt" die Möglichkeit, ja eine unbestimmbare Wahrscheinlichkeit des Scheiterns inbegriffen ist. Mich verleitet das Nachdenken nun über den Neologismus "Großprojekt" zu der Annahme, dass die Voransetzung des "Großen" diese Scheiteranfälligkeit semantisch aufheben soll. Seine vorangestellte Großartigkeit soll also das Projekt vom Vorwurf des Scheiterns erlösen, und tatsächlich schützt der Horror vor dem Aufgeben eines Großprojektes es dann vor seinem Abbruch. Koste es was es wolle; was nicht sein kann, das nicht sein darf.
Sicher wäre es sinnvoll, Großprojekte zu stoppen, bei denen absehbar ist, dass sie, sobald sie zu einem gewissen materiellen Point of No Return gelangen, zu einem Desaster werden müssen. Fraglich dabei, für wen. Es ist schon seltsam: Dem verlorenen Groschen wirf man noch gern das Dreifache hinterher, anstatt danach zu trachten, wie man künftig erst garnicht einen verliert. Besonders freudvoll ist das Verschwenden aber immer dann, wenn es nicht auf eigene Kosten geschieht. Letzteres ist Projekten, erst recht Großprojekten eingeschrieben. Weil die Projektemacher, die Entscheider, dabei profitieren. Christian Wolter

Die Preise in den Ballungszentren hierzulande sind im vergangenen Jahr so stark gestiegen wie noch nie. Aber auch wenn in Deutschland die Angst vor einer Überhitzung des Wohnungsmarkts wächst. Und jeder dritte Bundesbürger es für möglich hält, dass es in den kommenden zwei Jahren zu einem Einbruch kommen mag, wie eine Umfrage des Marktforschungsinstituts TNS Infratest ergab. Die Situation ist noch nicht so dramatisch wie sie es in Spanien oder den USA war. Dennoch: Die Furcht ist berechtigt. Eine Blase offenbart sich erst, wenn sie platzt, wenn die Mietpreiserhöhungen nicht mehr mit den gestiegenen Kaufpreisen mithalten. Eigentümer, die auf Kredit ihr Haus finanziert haben, können dann ihre Kreditkosten nicht mehr vollständig über die Mieteinnahmen decken, in der Folge beginnen der Preisabschwung und das Platzen der Blase. Um so mehr ist die Politik gefordert.
Wird sich der deutsche Wohnimmobilienmarkt 2013 beruhigen? Möchte kaum jemand möchte jetzt noch sein Haus verkaufen? Wird wegen Wirtschaftsabschwung und unsicheren Zeiten weniger gekauft? Werden die Mieten auch wegen der geplanten gesetzlichen Deckelung der Mietpreissteigerungen weniger steigen? Werden verstärkt öffentliche Wohnbauprojekte den Wohnraummangel in den Städten abmildern?
Schon wird auch in der Immobilienbranche von einer richtungweisenden Bundestagswahl 2013 gesprochen. Eine Super-Lobby für Immobilien hat sich aufgestellt, die Verbände wollen mit einer neuen Organisation politischen Einfluss gewinnen: In der BID Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland arbeiten die Verbände BFW, BVI, DDIV, GdW, IVD, vdp, VGF und ZIA zusammen, um mit gebündelten Kräften gemeinsam inhaltliche Positionen effektiver in der Öffentlichkeit zu vertreten. "Mit der BID – so der Verband - steht der Politik und anderen Wirtschaftszweigen sowie weiteren Verbänden ein unterstützender und durchsetzungsfähiger immobilienwirtschaftlicher Partner zur Seite." Jan Esche (via Facebook)

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