Die Zukunft der Zukunft

Claus Käpplinger
5. September 2012
Modell der Gropiusstadt (Bild: degewo, Berlin) 

Ein Stararchitekt, eine Drogenabhängige und die Berliner Mauer prägten lange Zeit das Bild der Gropiusstadt, einer Großsiedlung im Süden Berlins, die, hoffnungsvoll geplant, an ihrer Zeit scheiterte. Wo der frühere Bauhausdirektor Walter Gropius ab 1958 eine aufgelockerte Stadtlandschaft mit 14.500 Wohneinheiten geplant hatte, entstand bis 1975 eine Großsiedlung mit 18.500 Wohneinheiten, die der Architekt schon 1966 als "das Enttäuschendste, mit dem ich je zu tun hatte" bezeichnete.
Was unter dem Slogan "Urbanität durch Dichte" verkauft wurde, war allein Massenwohnungsbau, der von der Politik nach dem Bau der Mauer bedenkenlos forciert wurde. Solitäre Zeilenbauten und Hochhäuser traten an die Stelle offener Wohnhöfe, Dreiviertelkreise und eingestreuter Zeilenbauten, mit denen Gropius ursprünglich an Bruno Tauts Hufeisensiedlung hatte anknüpfen wollen. PKW-Stellplätze für jeden statt nur jeden dritten "Gropiusstädter" führten zu Parkhäusern statt zu Grün. Hier wuchs Christiane F. auf, die 1978 mit ihrem Roman "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" der Siedlung ein schauriges Zeugnis ausstellte.
Doch Gropiusstadt ist kein sozialer Brennpunkt mehr. Nicht mehr an der Mauer endet sie heute, sondern leitet zum Berliner Umland über. Quartiersmanagement und die Aufhebung der Wohnungsberechtigung 2001, aber auch die steigenden Mieten in Berlin verändern allmählich ihr soziales Profil. Die Arbeitslosenrate ist heute hier niedriger als im Berliner Durchschnitt. Der nahe Wissenschaftscluster Adlershof und der neue Großflughafen Schönefeld eröffnen der Gropiusstadt neue Entwicklungsperspektiven, die am 7. November 2012 ihren 50. Geburtstag feiert. So verwundert es nicht, dass im Jubiläumsjahr nicht nur diverse Feste statt finden, sondern sich nun auch wieder Planer mit der Großsiedlung befassen.

Akademie-Ausstellung im August im ehemaligen Edeka-Markt der Gropiusstadt. (Bild: Akademie einer neuen Gropiusstadt, TU Berlin; Ines Schaber, Berlin) 

Eine "Akademie einer neuen Gropiusstadt" wurde am 24. August von der TU Berlin unter Jörg Stollmann gegründet, welche die bereits vor zwei Jahren mit Studenten begonnene Auseinandersetzung mit der Gropiusstadt weiter intensivieren will. Neue Potenziale für energetischen und sozialen Stadtumbau will man aufzeigen und den Ort mit Feldlaboren weiter entwickeln. Eine neue Skylounge im 30. Stock des Ideal-Hochhauses sowie diverse Kunstevents wie "Experimentelle urbane Landschaften" haben den Bewohnern und Besuchern ihre "Stadt" näher gebracht, die sich in den nächsten Jahren wohl stark verändern wird.
Denn das größte Wohnungsunternehmen Degewo plant nicht nur bis 2016 die energetische Modernisierung von 1.244 Wohnungen, sondern sogar neue Bauten und steht damit nicht allein. Steigende Berliner Wohnungsmieten und die neue Nachfrage dank des Großflughafens veranlassten die Degewo zu einem Gutachterverfahren unter Alt-Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Die Architekten Bernd Albers, Regine Leibinger und Christoph Mäckler/ Martin Cors analysierten die Potenziale für weitere Verdichtungen – vorerst nur für 400 Wohnungen, denen bald aber schon Eigentumswohnungen folgen könnten.

Die Gewächshaus U-Rangerie ist Teil eines der Studierendenprojekte, welches sich mit den Gewohnheiten der Bewohner der Gropiusstadt auseinander gesetzt hat. (Bild: Akademie einer neuen Gropiusstadt, TU Berlin; Ines Schaber, Berlin) 

Wie überzeugt man von den neuen Möglichkeiten der Gropiusstadt ist, zeigt das Projekt einer großen Ausstellung und Konferenz Ende des Jahres in Berlins Mitte. Mit dem Titel "Heimat Großsiedlung" will man dort nun weniger zurück als nach vorn blicken, das neue Image mit neuen Projekten an die Öffentlichkeit bringen. Gespannt kann man erwarten, welche Verdichtung eine eher konservativ dominierte Gutachtergruppe für die Gropiusstadt entwickelt hat. Stimmanns Blockcredo mag nur wenig zum Ort passen und könnte die vielen Ideenprojekte der letzten Jahre rasch in zahnlose Papiertiger verwandeln. Dabei hat die Gropiusstadt ihre Pubertäts- und Midlife-Krisen erstaunlich gut überstanden. Sie ist ein Ort der Moderne mit Bauten von Klaus Müller-Rehm oder Joachim Hinrichs, die mehr als nur einen Besuch lohnen. Und das Wohnhochhaus Ideal von Alexander Svianovic ist eines der höchsten deutschen Wohngebäude. Nirgends lässt sich wohl besser über Stadt und Dichte streiten.

Ausstellung "Heimat Großsiedlung", Forum Factory, Berlin, Besselstraße 13-14, 23. Oktober bis 25. November, Mo-Fr 11-20 Uhr, Sa+ So 11-18 Uhr
Konferenz "Heimat Großsiedlung", Gemeinschaftshaus Gropiusstadt, Bat-Yam-Platz 1, Berlin, 1.+2. November

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