Die unmögliche Situation des Architekten

Christian Holl
16. Januar 2013
Foto: La Biennale di Venezia

Eine Überraschung war es nicht mehr. Letzte Woche wurde lediglich noch bestätigt, was schon während der Biennale als Gerücht die Runde gemacht hatte: Rem Koolhaas wird 2014, nach David Chipperfield (2012) und Kazuyo Sejima (2010) Direktor der Architektur-Biennale von Venedig sein. Wie man die Arbeit von Koolhaas einschätzt, hatte man in Venedig schon 2010 kundgetan; damals hatte er den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhalten.
Seine Ernennung zum Biennale-Direktor ist aber nicht nur deshalb, nicht nur der Gerüchte wegen und nicht nur, weil er Pritzker-Preisträger ist, keine Überraschung. Sie ist nicht weniger als überfällig gewesen. Es gibt wenig Architekten, die über die Jahrzehnte hinweg eine vergleichbar leidenschaftliche Auseinandersetzung mit Architektur und Städtebau in einer der eigenen Person gegenüber rücksichtslosen Intensität geführt haben wie Rem Koolhaas. Fast macht es den Eindruck, als habe er sein eigenes Leben als ein Experiment geführt, in dem ermittelt werden soll, wo die Grenzen des Architektonischen liegen könnten – was auch einschließt danach zu fragen, wo die Grenzen dessen liegen, was eine Person über Architektur erfahren kann.
Diese bedingungslose Auslieferung an die Architektur schließt ein, unerschrocken vor den Abgründen zu sein, die sie öffnet. Koolhaas hat danach gefragt, was es heißt, wenn das architektonische Objekt bedeutungslos ist, wie in den Agglomerationsräumen von Paris. Er hat danach gefragt, was es heißt, wenn Gebäude nach ihrer Abschreibungszeit wieder abgerissen werden. Er hat für den chinesischen Staat, für ein diktatorisches Regime gebaut. Und er hat danach gefragt, warum seine Kollegen glaubten ignorieren zu können, was man aus ihren hehren Absichten gemacht hat – so blieb zu lange unbemerkt, dass Architekten mitgemacht haben, den "Junkspace" zu produzieren, die Umwelt, die belanglos und glatt den privatwirtschaftlichen und nicht den öffentlichen Interessen dient. Architekten müssen, das kann man von ihm lernen, bereit sein, amoralisch zu denken, nach dem fragen, was hinter den moralischen Ansprüchen liegt, hinter denen man sich zu leicht verstecken kann. Dafür hat sich Koolhaas exponiert. Und weil er sich so exponiert, weiß er wovon er spricht, er weiß, was es heißt, dass das Fehlen von Utopien vielleicht ebenso gefährlich wie eine Überdosis derselben ist, dass "jede Utopie von einer Girlande von Stacheldraht umzäunt ist." Und dass nicht zuletzt deshalb die Situation des Architekten eine unmögliche ist. 2014 wird Koolhaas 70 sein. Er wird dann mehr Zeit als Chipperfield gehabt haben, die Ausstellung vorzubereiten; der hatte nach Querelen, die Italiens Oberzampano Berlusconi ausgelöst hatte, erst Ende Dezember 2011 seine Ernennung zum Direktor angenommen. Die Biennale 2014 wird, soviel darf man erwarten, keine bequeme sein, wahrscheinlich auch keine, die sich mit moralischen Kategorieren wird fassen lassen. Seine Ankündigung – "We want to take a fresh look at the fundamental elements of architecture" – klingt, als wolle er gezielt eine falsche Fährte legen. Es sollte mich sehr wundern, wenn vermeintlich überzeitliche Typen der Architektur in Wert gesetzt werden. Es geht nämlich auch hier um etwas, das dem überzeitlich Gültigen widerspricht: etwas Neues zu entdecken, "to see if we can discover something new about architecture".

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