Crowd-Möbel

Christian Holl
29. August 2012
Der 24-Euro-Sessel (Bild: Hatje Cantz) 

Man könnte meinen, diese beiden Geschichten wurden als komplementäre Illustrationen dessen entwickelt, was in der Welt des Web möglich ist. Sie ergänzen einander wunderbar – beide erzählen so anschaulich davon, wie die virtuelle Welt und die reale sich ineinander verschränken. Die Rede ist hier von den "Hartz-IV-Möbeln" und dem Architekten Le van Bo. Deren Geschichte ist das Gegenstück zum italienischen Architekt, der mit Häusern berühmt wurde, die es nicht gibt. Sie geht so: Le van Bo hatte zunächst einfach nur den Plan, mit wenig Geld für seine Verlobte einen Sessel zu bauen. Natürlich auch, um sie zu beeindrucken. Da Le van Bo kein Tischler ist, ging er an die Volkshochschule, und es entstand ein Sessel im Materialwert von 24 Euro. Soweit nichts Ungewöhnliches. Auch nicht, dass der Anfangserfolg zu weiteren Möbeln führte. Ansehnlichen. Doch Le van Bo war vor allem der Meinung, dass auch andere so wie er zum Glück des selbstgebauten Möbelstücks kommen dürften. Die Baupläne für die Möbel kann man von ihm bekommen. Vorausgesetzt, man will damit kein Geld verdienen. Dafür ist es "ausdrücklich erwünscht, den Bauplan weiter zu entwickeln, zu verändern oder künstlerisch neu zu interpretieren", so ist es auf der Website zu lesen. Und Le van Bo rief dazu auf, ihm vergleichbare Ideen zu schicken: Crowdsourcing nennt sich das, ein Grassroot-Open-Source-Modell, eine Art Guerllia-Gardening fürs Wohnzimmer. Inzwischen kann man auch ein Buch kaufen, verlegt bei Hatje Cantz, in dem die Entwürfe einschließlich der Baupläne vorgestellt werden: Finanziert wurde es durch Crowdfunding: ein kollektives Finanzierungsmodell, das über das Internet läuft.
"Hartz IV-Möbel" bietet also nicht nur Anleitungen, wie man mit einem kleinen Budget, unter Nutzung der vielen Werkstätten, die zur Benutzung kostenlos verfügbar sind (zum Beispiel im Rahmen von VHS-Kursen) und ein klein wenig Geschick sich selbst Möbel herstellen kann. Sessel, Stühle, Tische, Betten, Schränke: "Konstruieren statt Konsumieren" lautet das Motto: Diese Aktion ist ein Weckruf, ein Mutmach-Programm, das über das Internet miteinander verbindet und hilft, sich durch eigener Hände Arbeit ein Stück Lebensqualität zu schaffen. Und es zeigt, wie albern die Dramatisierungen sind, die uns erzählen, wie einsam die virtuelle Welt mache, dass wir uns zu Tode amüsieren oder dass uns das Gefühl für die Realität verloren ginge. Eher gilt noch immer, was Max Frisch, Markus Kutter und Lucius Burkhardt 1955 geschrieben haben: "Man ist nicht realistisch, in dem man keine Idee hat."

Von den Hartz-IV-Möbeln zur Hartz-IV-Einrichtung: Das Sortiment wächst. (Bild: Hatje Cantz) 
Das Buch mit Bauplänen erschien bei Hatje Cantz. 

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