Copy+Paste und andere Kleinigkeiten

Christian Holl
9. März 2011
Ostflügeldetail des Berliner Naturkundemuseums – Architekten Diener und Diener (Bild: Christian Holl) 

Man muss wohl am Ende doch ein gutes Näschen haben, um gute zwei Monate vor Guttenbergs Rücktritt ein Heft mit dem Thema "Copy+Paste" herauszugeben. Das urban space mag wird von seinen Herausgebern, vier jungen Stadtplanern, als "Nischenmagazin über städtische Kultur und urbane Phänomene" bezeichnet. Das aktuelle Heft lotet also nun das Phänomen des Kopierens und Aneignens als Teil städtischer Kultur aus – von Mode, Identifikationsproduktion, über Kunst und Themenparks bis zu einem Ausflug in die Baugeschichte ein anregender Überblick, der zeigt, wie Neues durch die Anverwandlung des Bekannten entsteht, dass die Sicht auf Bekanntes durch reflektiertes Kopieren durchaus ein schöpferischer Akt sein kann. Angenehm, dass dabei nicht nur auf den Hip- und Cool-Faktor geschaut wird (wobei auch das ja aufschlussreich ist), kritische Fragen nicht ausgeblendet werden, einfache Antworten nicht gegeben werden – schließlich ist, wie wir ja nun wissen, das Kopieren nicht immer reflektiert oder von kreativen Missverständnissen begleitet.
Wie man das Bestehende sich stets neu aneignen kann, ist ja bekanntlich das Thema der Zeitschrift Metamorphose – sie widmet sich in ihrem neuesten Heft dem Thema der Treppen. Das ist viel weniger pragmatisch, als es scheint. Die Treppe ist am Ende ja wahrscheinlich das räumlich komplexeste Bauteil; gerade unter dem Gesichtspunkt des Bauens im Bestand wird dies mehr als deutlich.
Einem ebenfalls sehr komplexen Thema, das sich seinem Wesen gemäß aber nicht so sehr an der Borstigkeit der Materie abarbeiten muss, wie man es bei der Realisierung einer Treppe oft genug tun muss, widmet sich der architekt: der Utopie. "Die beste aller Welten – Vorteil und Nutzen der Utopie" heißt das Heft genau, und man sieht daran schon, es ist ein durch und durch modernes Verständnis von Utopie, eines das in die Zukunft gerichtet ist und nach dem fragt, was Wirklichkeit werden könnte (aber vielleicht nicht unbedingt sollte). Es stimmt ja wahrscheinlich auch – das kulturreflexive Arkadien, eines ohne potenzielle Verwirklichung, spielt in der Geistesgeschichte schon lange nicht mehr die Rolle, die es von der Antike noch bis Goethe inne hatte. Notwendigkeit und Gefährlichkeit der Utopie erörtert Christian Illies, Claus Baldus schließt seinen Text mit dem appellativen, aber vagen Satz: "Eine Art Auflehnung scheint angemessen."
Konkrete Auflehnung gibt es ja durchaus bereits – und die ist so ganz und gar nicht utopisch an Orte gebunden. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat das Bundesverfassungsgericht nun auch Demonstrationen an Orten erlaubt, an denen die öffentliche Hand Mehrheitseigner ist; das gilt nun auch für andere Flanierzonen, die de facto öffentlich, wenn auch de jure privat sind. Wir wären arm dran mit unserer Demokratie, wenn es das Bundesverfassungsgericht nicht gäbe. Und das Gericht hat ja recht: Wenn man schon die alte europäische Stadt kopieren und in Kisten packen will, um damit mehr zu verdienen, dann soll man sich nicht aussuchen dürfen, was man kopiert und was nicht. ch

Andere Artikel in dieser Kategorie