Berlin sieht schwarz-rot

Claus Käpplinger
25. April 2012
Eine neue Dialogreihe der TU Berlin will den Austausch zwischen Forschung und Politik fördern. (Bild: Think Berlin) 

Vor sieben Monaten wählte Berlin ein neues Parlament und eher unfreiwillig eine schwarz-rote Regierung. In Sachen Stadtentwicklung hörte man bislang von ihr wenig. Ja, das einsam erdachte Lieblingsprojekt von Klaus Wowereit, die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) soll nun wirklich auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof entstehen – ohne vernünftige Standortdiskussion und Finanzierung. Neu ist hingegen das Thema Wohnungsbau, der Bau von 30.000 Wohnungen, die quasi aus dem Nichts von privater Hand entstehen sollen. Erstaunlich still nahm die Berliner Öffentlichkeit davon Kenntnis und schwieg.
Eine Gruppe junger Nachwuchswissenschaftler um den Stadtsoziologen Harald Bodenschatz, die sich 2011 den Namen "Think Berlin" gab, lud nun am 18. April zu einer Diskussionsveranstaltung mit Berliner Politikern ein. Als Auftakt zu einer neuen Dialogreihe "Stadtpolitik trifft Stadtforschung" der TU Berlin präsentierten dort die Wissenschaftler der Politik eine lange Liste von urbanen Brennpunkten, die nach Lösungen verlangen. Viel hinlänglich Bekanntes und auch Redundantes wurde vorgetragen, wie etwa die Situation der City-West, der Stadtmitte oder der großen Ausfallstraßen. Das Thema Wohnungsbau kam deutlich zu kurz, während der Vortrag zum ZLB offenbar nur noch die architektonische Form des Projekts zur Diskussion stellen wollte.
Beunruhigend neu beziehungsweise überaus pointiert informativ waren die neuesten Analysen über die stadträumlichen Folgen der Schließungen der Flughäfen Tempelhof und Tegel zugunsten von Schönefeld. Ein neues Entwicklungsdreieck Potsdam-Schönefeld-Mitte wurde gezeichnet, welches große Teile Berlins zu einem wenig attraktiven Hinterland verwandeln könnten. Während die Politik allein die Zukunft der ehemaligen Flugfelder und Bauten zu definieren sucht, steht hier die Stadt an sich zur Diskussion. Eine Erkenntnis, die leider danach in der Debatte mit den Politikern nahezu unterging. Auf die Sachzwänge, sprich auf die begrenzten Ressourcen des Stadtstaates wurde hingegen immer wieder allzu gern verwiesen.
Erstaunlich resistent zeigten sich so die Politiker gegenüber dem "Liebeswerben" der Wissenschaftler, welche vor allem eine neue Plattform der Kommunikation und eine neue "Task Force" der Intervention nach dem Modell Londons anmahnten. Eine Art von "Stadtforum" fehlt Berlin in der Tat, was sogar manche Politiker einräumten. Der Notwendigkeit einer "Task Force" zusätzlich zur vermeintlich funktionierenden Verwaltung wollte jedoch keiner zustimmen. Angesichts des Fehlens fast jeder Vision für Berlin in der Debatte und der dominanten Strategie des Abarbeitens an lokalen Sachaufgaben scheint die Idee einer "Task Force" reizvoll. Mehr Weitblick und mehr Partizipation könnten mit ihr möglich sein, zumal die derzeit große Attraktivität Berlins fast durchweg zivilbürgerlichem Engagement und kaum der Politik zu verdanken ist. Andererseits war und ist jenseits aller medialen Verbrämung Londons "Task Force" eher ein Instrument von Oben nach Unten im Dienste der Bürgermeister Ken Livingston und Boris Johnson. "Think Berlin" jedenfalls wird die Idee einer "Task Force" nicht aufgeben. Die nächste Veranstaltung in anderem Rahmen ist bereits vorbereitet. Mal sehen, ob beharrliche Wissenschaftler die Berliner Öffentlichkeit und Politiker bewegen können. Ein anderes Denken und Handeln ist mehr denn je in Berlin gefragt.

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