Ausgeladen in Ulm

Ursula Baus
2. März 2011

"Rin in de Kartüffeln, rut ut de Kartüffeln" – so sagte man früher, wenn unklar war, ob der Kartoffelacker ins Manöver einbezogen wird oder nicht und die Soldaten im Kompetenzgerangel ihrer Vorgesetzten hin- und herlaufen mussten. In Ulm erlebten ein paar seriöse Persönlichkeiten dieser Tage ein vergleichbares Hickhack – es ließe sich als Provinzposse bagatellisieren und wie die Geschichte vom tapferen, aber glücklosen und in Ulm verhöhnten Schneiderlein immer mal wieder als Anekdote anbringen.
Doch die angesprochenen Persönlichkeiten stammen aus Stuttgart, und es ging um eine öffentliche Veranstaltung zum Projekt Stuttgart 21 – schon ahnt man: Das konnte nicht gut gehen! Am 27. März stehen die baden-württembergischen Landtagswahlen an, und in Ulm liegen die Nerven bloß. So kam es, dass die kulturell ambitionierte und politisch natürlich völlig unabhängige Volkshochschule Ulm Veranstaltungen zu Stuttgart 21 organisierte, um zur Versachlichung des Ganzen beizutragen. Man hatte Christian von Holst als Historiker eingeladen, einen halbstündigen Vortrag zu halten. Und weil von Holst bekennender S21-Befürworter ist und sich der Baugeschichte widmen wollte, sollte Peter Conradi (ehemals Präsident der BAK und Mitglied des Deutschen Bundestags, jetzt prominenter S21-Gegner) am gleichen Abend einen halbstündigen Vortrag über die aktuelle Stuttgarter Stadtplanung halten. Anschließend sollte über das Thema diskutiert werden – und dazu hat man unter anderem freundlicherweise mich eingeladen, weil ich doch dem Thema über die örtliche Relevanz hinaus immer weitergehende Aspekte abgewänne. Weiß der Geier warum: Irgendjemand in Ulm fürchtete, an dem Abend könne eine leichte Gegenstimmung zum Projekt dominieren, was in Ulm politisch nicht gewünscht ist, und handelte: Peter Conradi und ich wurden freundlich, aber bestimmt ausgeladen beziehungsweise umgeladen. Christian von Holst (ehemals Direktor der Staatsgalerie Stuttgart) hielt am 23. Februar seinen Vortrag, Peter Conradi vorgestern (28. Februar 2011) den seinen. Und ich darf am 18. März beim 10. Architektursymposium (Ulmer Märzgespräche) allgemein über die Baukultur palavern.
Nun könnte man sagen: Prima, alle kommen zu Wort, so soll es sein. Nein! Dieses Prozedere kann nur den Sinn haben, Konflikte zu vermeiden statt sie auszutragen, weil Konflikte politisch nicht gewünscht sind. Es ist dies ein skandalöses Verhalten in unserer Demokratie, in der die Politik ihre Verantwortung nicht mehr begreift. Hierzulande wächst die Politikverdrossenheit in horrendem Maße (in Hamburg gingen gerade mal 57 Prozent der Bürger zur Wahl), und solch peinliches Gerangel wie jetzt in Ulm lässt weitere Tröpfchen ins Verdrossenheitsfass tropfen, das irgendwann mal überläuft. Eine konfliktscheue Politik brauchen wir nicht – mit Konfliktvermeidungsstrategien fahren die Parteien unsere Demokratie an die Wand. ub

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