Alternative Zugänge und eine Leistungsbilanz

Christian Holl
16. November 2011

Es ist einer der interessantesten Ansätze der jüngsten Stadtforschung: Das interdisziplinär angelegte Projekt der TU Darmstadt, Städte auf ihre Eigenlogik zu untersuchen. Damit wird in den Blick genommen, was Städte voneinander unterscheidet, was die Bewohner für das Leben in ihnen als wesentlich wahrnehmen. Wie schreiben sich Spezifika der Stadt in deren Räume ein? Wie entsteht das, was so oft als Identität beschworen, aber selten als Begriff spezifiziert wird? In die Lücke, auf die diese Fragen verweisen, stößt das Forschungsprojekt; darauf aufbauend erschien nun ein "Handbuch für Stadtplanung und Stadtentwicklung", mit dem "Anregungen für die Reformulierung von Praxis" gegeben werden sollen, so der Mitherausgeber Georgios Terizakis. Denn die Stadt ist nicht nur Ausdruck und Ort gesellschaftlicher Prozesse, sondern Voraussetzung dafür – Planung muss dann aber auch den Nerv, die Eigenlogik der Städte treffen. Insgesamt 22 Autoren lieferten Beiträge, die Handlungsanweisungen bleiben meist allgemein, hier zeigt sich, dass dieser Forschungszugang jung und neu ist – sich mit ihm auseinanderzusetzen lohnt aber gerade deswegen umso mehr.

Etabliert ist dagegen der Deutsche Städtebaupreis, seit 30 Jahren gibt es ihn, 2010 wurde er zuletzt verliehen. Im Ernst Wasmuth Verlag ist nun die Publikation dazu erschienen. Die insgesamt zwanzig mit Belobigung, Auszeichnung und Preis prämierten Projekte zeigen, wie der Klappentext mitteilt, eine "Leistungsbilanz der Stadtplanung in Deutschland" und lohnen, genauer studiert zu werden. Hier zeigt sich, dass der Um- und Weiterbau der bestehenden Städte nicht mehr die Aufgabe der Zukunft, sondern der Gegenwart ist.
Der seit 1997 verliehene Sonderpreis stand 2010 unter dem Thema "Stadt und Wissen", das gleichzeitig in einem Symposium zur Preisverleihung diskutiert wurde. Die Dokumentation dieses Symposiums ist Teil der Veröffentlichung. Nicht nur in Gebäuden wird gelernt, entsteht Wissen – Wissen und Stadt gehören seit jeher zusammen, in den Städten müssen die Voraussetzungen zum Wissenszugang geschaffen werden. Ein wenig trübt den Wert der Publikation die Ansammlung von abgedruckten Reden, in denen Gäste willkommen geheißen und Referenten vorgestellt werden. Hier liegt für die Dokumentation des nächsten Städtebaupreises Verbesserungspotenzial.

Christoph Schäfer ist einer der Aktivisten des Hamburger Bündnisses "Recht auf Stadt" – anders als es in honorigen Reden beschworen wird, zeigt dieses Bündnis auf, woran es außer an gestalterischen Qualitäten in unseren Städten fehlt: an fairen Chancen jenseits rein wirtschaftlicher Leistungsnachweise. Schäfer hat diese Sicht der Dinge auf eigene Weise formuliert: sein in Zeichnungen und handschriftlichen Notizen aufgezeichneter, mit der Stadtbaugeschichte verknüpfter Zugang zur Stadt baut auf Henri Lefebvre auf; künstlerisch-essayistisch spürt Schäfer den Möglichkeiten der Gestaltung und der Aneignung der Stadt jenseits städtebaupreisfähiger Zusammenhänge nach. Diese Realität der Stadt siedelt sich zwischen den gebauten Strukturen an, nistet sich in den Zwischenräumen ein, produziert das Widerständige, das Leidenschaftliche, ohne das die Städte nur noch Themenparks wären – paradoxerweise muss aber gerade dieses Lebenselixier der Städte immer wieder neu von Menschen wie Schäfer erkämpft und eingefordert werden. Auf der Internetseite des Autors kann diesen Gedanken über ergänzende Kommentare und Links weiter gefolgt werden. ch

Martina Löw, Georgios Terizakis (Hg.): Städte und ihre Eigenlogik. Ein Handbuch für Stadtplanung und Stadtentwicklung. Campus Verlag Frankfurt am Main 2011, 255 Seiten, ISBN 978-3593395340, 29,90 Euro

Werner Durth (Herausgeber im Auftrag der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung: Stadt Bauen 3. Deutscher Städtebaupreis 2010. Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen 2011, 144 Seiten, ISB: 978-3-8030-0742-1, 32 Euro

Christoph Schäfer: Die Stadt ist unsere Fabrik. / The City is Our Factory. Spector Books, Leipzig 2010, 304 Seiten, ISBN: 978-3-940064-95-0, 28,00 Euro

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