Alles egal? Ach nee, nicht noch mal S21

Ursula Baus
13. Juli 2011

Selbstverständlich, wir als Redaktion des german-architects.com-Magazins sind vor Ort in Stuttgart und sollten alles wissen und berichten und kommentieren, aber auch wir werden des Themas müde. Alles ist gesagt, alles ist entschieden, alle sind gestresst – Stuttgart 21 wird kein Sommermärchen, aber im Sommerloch wird es auch nicht versinken. Wir verfolgen also durchaus, wie sich die Argumentationen verändern – und müssen schauen, in welche Richtung.
So hieß es auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe der ZEIT am 7. Juli 2011: "Stuttgart – und nun?". Sollte sich jemals an den deutschen Planungsverfahren etwas zum Guten wenden, so dürfen wir 'Stuttgart' auf jeden Fall als Symbol dieser unverhofften Besserungen in dankbarer Erinnerung halten. Bescherte uns die Wartburg dies, das Hambacher Schloss jenes, dann wird in den Geschichtsbüchern 'Stuttgart' mit seinen aufmüpfigen Bürgern ein kleines Kapitel mit dem Titel 'Demokratiereformversuche' füllen. Ist der Widerstand also schon Geschichte?
In besagtem Beitrag in der ZEIT lesen wir am Schluss: "Wenn die Bahn den Stresstest besteht, müssen die Gegner den neuen Bahnhof, möge er noch so sinnlos und überteuert sein, akzeptieren. Auch das gehört zum Wesen der Demokratie. Die Verdienste der Protestbewegung um ein neue politische Kultur im Land schmälert das nicht".
Stimmte diese Analyse, hieße dies: In unserem Land haben wir keine Chance, "sinnlose und überteuerte" Projekte zu verhindern – es geht hier ja nicht um eine der Petitessen, die der Bundesrechnungshof alljährlich geißelt. Es hieße auch, dass eine "neue politische Kultur" nicht greift, bevor sie nicht Geschichte ist. Es geht in Stuttgart aber nicht bloß um eine "neue politische Kultur", sondern um einen Denkfehler in unserem Demokratieverständnis: Es darf sich eben nicht mehr nur über Mehrheiten definieren; es muss sich gewiss von repräsentativen und meinungs(mit)bildenden Organen wie Parteien lösen – denn die Bürger sind nicht politikverdrossen, sondern parteienverdrossen. Systemkritische Ansätze in der diffusen "politischen Kultur" aufzufangen, wird ausgehen wie das Hornberger Schießen. Stuttgarter! Schwaben! Vergesst den Bahnhof! Tüftelt lieber an Alternativen zu unserer Parteienlandschaft.
Und der Bahnhof? Dieser Tage sprießen die Konzepte ganz neuer Mobilitätssysteme ins Kraut. Fahrräder bekommen Motoren ohne Motorräder zu werden, Autos werden Kollektiveigentum und fahren ohne Benzin, Taxis sind alsbald ohne Taxifahrer unterwegs und Garagen werden Gästezimmer. Derweil beginnen wir mit dem Bau eines Landeshauptstadtbahnhofs, dessen Funktionalität von vorgestern ist und – wenn der Bahnhof fertig sein wird – von vorvorgestern sein wird.
Das war's jetzt von der S21-Front. Nächste Woche verabschieden wir uns in die Sommerpause mit garantiert Stuttgart 21-freien, guten Nachrichten und Wünschen. ub

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