Abriss auf japanisch

Claudia Hildner
9. Februar 2011
Kurokawa schuf einen Wohnturm, dessen Module bei Bedarf ausgetauscht werden sollten. Würde er noch leben, könnte er bald dem 40. Geburtstag der Originale beiwohnen. (Foto: Claudia Hildner)

Vor etwa fünf Jahren drang die Meldung zum ersten Mal an die internationale Öffentlichkeit: Der Ikone des japanischen Metabolismus, dem Nakagin Capsule Tower (1972) von Kisho Kurokawa, drohe der Abriss. Allerorten vernahm man Stimmen, die eine Aufnahme des Gebäudes in das Weltkulturerbe der Unesco forderten. Der Antrag wurde allerdings aufgegeben – wohl auch deshalb, weil man erfuhr, dass eine solche Entscheidung beim globalen Kulturclub mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Soviel Zeit gab man dem Turm nicht mehr.
Man hätte sie vielleicht gehabt. Denn das Haus steht immer noch. Wer den Turm in dem an sich noblen Viertel besucht, wird allerdings mit einem Zombie konfrontiert, für den sich offensichtlich niemand mehr verantwortlich fühlt. Und das, obwohl in dem Gebäude noch Menschen leben. Ein Bewohner erzählt, dass sogar noch etwa die Hälfte der Wohnungen belegt sei. Der Abriss stünde schon seit Jahren fest – aber auf ein Datum könne man sich nicht einigen, vor allem, weil es immer noch eine starke Opposition gäbe.
Das Haus gehört einer Eigentümergemeinschaft, und für all jene, die sich durch einen Neubau mehr Ertrag erhoffen, kommt eine Instandsetzung der Ruine nicht in Frage. Der Baugrund ist hochprofitabel, während sich die neun Quadratmeter großen Kapselräume allenfalls als Wohnungen für anspruchslose Singles oder Studenten eignen. Auch wenn sich der Abriss – aufgrund des Widerstands der Mieter oder aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Gesamtsituation – weiterhin verzögert, kann am Ende nur einer verlieren: das Gebäude. Denn sobald der Turm aus Sicherheitsgründen unbewohnbar wird, wird er wohl doch noch über Nacht von der Bildfläche verschwinden – und Tokio eines der wichtigsten Gebäude verlieren, das in dieser Stadt je gebaut wurde. Ein Jammer, denn auch wenn die Instandsetzung – unter anderem aufgrund einer Asbestsanierung – eine Menge Geld in Anspruch nehmen würde, gäbe es durchaus Nutzungen, die sich mit der Struktur des Hauses vertrügen: Ein Hotel für design- und architekturbegeisterte Touristen etwa. Um einen von Kurokawa ohnehin vorgesehenen Ersatz der Kapseln käme man dabei nicht umhin. Dabei ginge es aber vor allem um die Hülle, der Innenausbau der meisten Wohnungen ist im Laufe der Zeit bereits verloren gegangen.
Da man in Japan Konfrontationen gerne aus dem Weg geht, und lieber wartet, bis sich von selbst eine Lösung ergibt, verwundert es nicht, dass der Diskurs zu einem möglichen Fortbestand des Gebäudes vermieden wird. Ohnehin hat denkmalwürdige Wohnarchitektur bei Bodenpreisen, wie sie in Japan üblich sind, kaum eine Chance. Solange es nicht möglich ist, von außen auf solche Prozesse einzuwirken, muss die Welt damit leben, dass man bedeutende Kulturgüter wie den Nakagin Capsule Tower auch völlig legal vom Erdboden tilgen kann. Claudia Hildner

Der Zustand 2011 (Foto: Claudia Hildner)
Eine Innenansicht aus der Zeit nach dem Bau (Foto: Kisho Kurokawa architect & associates)

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