Reeperbahn digital

Carsten Sauerbrei
12. June 2016
Vor- und Rücksprünge, Balkone und Loggien – die Fassade des Klubhauses St. Pauli (Bild: Klaus Frahm)

Ob die Bedeutung der analogen Kunst Architektur in der digitalen Zukunft ab- oder sogar zunimmt, darüber lässt sich trefflich streiten. Die Synthese beider Welten, Gebäude mit digital bespielbaren Medienfassaden, sind in Deutschland noch die Ausnahme, in den Metropolen asiatischer Länder und auch in den USA dagegen die Regel. Eines der wenigen deutschen Beispiele, bei dem die ganze Fassade als Medienfassade konzipiert wurde, ist das im letzten Herbst eröffnete «Klubhaus St. Pauli» am Hamburger Spielbudenplatz. In dem Kultur- und Veranstaltungszentrum befinden sich diverse Live-Musikclubs, Corny Littmanns Theater Schmidtchen sowie Büros und Gastronomie - alles Nutzungen, für die sich eine Medienfassade als digitale Showbühne gut eignet.

Jedes LED-Modul kann entweder flächig illuminiert werden oder hochauflösende Bilder zeigen (Bild: Klaus Frahm)

Wohltuend lebendig wirkt bereits der Baukörper mit dem tief eingeschnittenen Eingang, Vor- und Rücksprüngen, Loggien, Balkonen und einer Dachterrasse. Goldfarbene Metallgittermodule, die ebenfalls verspringen und bis tief in die Fassade hinein angeordnet sind, bilden eine zweite, zusätzlich belebende, transluzente Schicht vor der Glasfassade. Die Module sind so mit LED-Leisten bestückt, dass sie entweder flächig illuminiert werden oder hochaufgelöste Bilder erzeugen. Da nahezu die ganze Fassade, bis tief in das Gebäude hinein mit den Modulen belegt ist, entfällt die sonst übliche, scharfe Abtrennung der mediatisierten Fläche vom Rest der Gebäudehülle und die mediale Ebene wird tief mit dem architektonischen Ausdruck verwoben. Dabei besteht mit den individuell steuerbaren Modulen die Möglichkeit, die Fassade in jede erdenkliche Farbe zu tauchen, sodass sich digitale Kompositionen entwerfen lassen, die mit der Fassade visuell zu einer Einheit verschmelzen.

Als «Mediatektur» bezeichnen akyol kamps : bbp architekten diese Herangehensweise, bei der digitale Mediengestaltung und Architektur gemeinsam die Gestaltung eines Gebäudes übernehmen. Dass bei der Fassadennutzung nicht das Abspielen von Werbung im Vordergrund steht, sondern audiovisuell anspruchsvolle Kompositionen entstanden, zeigt dieses Video von der Eröffnung des Gebäudes. Auch die Jury des Media Architecture Award 2016 würdigte das Gesamtkonzept und zeichnete das Klubhaus St. Pauli am 3. Juni mit dem Preis in der Kategorie «Money» aus. Dabei setzte es sich völlig zu Recht gegen die nicht minder interessante, aber architektonisch und künstlerisch bei Weitem nicht so gelungene Konkurrenz des LAX - Tom Bradley International Terminal und der Morgan Stanley Times Square Headquarters durch.
 

Im Gebäude befinden sich neben Gastronomie vor allem kulturelle Nutzungen (Bild: Klaus Frahm)

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