Architekten im Vereinigten Königreich

Frust und Ärger über Brexit-Votum

Oliver Pohlisch
27. June 2016
Das Königreich am Boden? (Bild: Ivan Bandura via Wikimedia Commons)

Im Mai hatten sich bei einer Erhebung der Zeitschrift Building Design 78 Prozent der befragten Architekten für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union ausgesprochen. Noch kurz vor dem 23. Juni mischten sich namhafte Vertreter ihrer Disziplin wie David Chipperfield, Rem Koolhaas, Richard Rogers, David Adjaye, Ron Arad und Thomas Heatherwick öffentlich in die Debatte um die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens ein und warnten vor einem Brexit. Doch 52 Prozent der Briten, die beim Referendum vom vergangenen Donnerstag abstimmten, haben sich nun genau dafür entschieden.

Viele Büros zwischen Dover und Inverness haben einen nicht geringen Anteil an Mitarbeitern aus Frankreich, Deutschland, der Niederlande oder Italien. Sie fürchten nun negative Folgen des Brexit sowohl für das eigene Personal wie auch für die künftige Rekrutierung von Arbeitskräften. Laut der Webseite von Building Design erklären Graham Morrison und Bob Allies von Allies & Morrison: «Im Verlauf unserer Karriere haben wir die Klugheit, umfassende Ausbildung und die Erfahrung der vielen von uns beschäftigten Architekten aus der EU genossen. Mehr als ein Viertel unserer Belegschaft kommt aus der Europäischen Union und es wird lange brauchen, sich an den Gedanken zu gewöhnen, als Konsequenz aus der Abstimmung den leichten Zugang zu solch einer reichen Quelle an Talenten zu verlieren.»

Ähnlich äußert sich das Büro von Richard Rogers, dessen Personal zu mehr als 40 Prozent aus nicht-britischen EU-Bürgern besteht. Insbesondere für diese sei das Ergebnis des Referendums nicht nur das Zeichen für ein neues, weniger offenes Großbritannien, sondern auch eines, das zu tatsächlichen und praktischen Veränderungen in ihrem eigenen Leben führen könnte, heisst es seitens Rogers Stirk Harbour & Partners. Das Unternehmen versichert jedoch, «eine inklusive und international orientierte Praxis weiterzuverfolgen, die von den Werten einer breiten europäischen Kultur durchdrungen ist».

RIBA wartet ab und trinkt Tee
Auffällig zurückhaltend mutet die Erklärung der Präsidentin des Royal Institute of British Architecture (RIBA), dem britischen Pendant zum Bund Deutscher Architekten, Jane Duncan, an: «Natürlich herrscht Unsicherheit über die Zeitabläufe und die Auswirkungen auf eine Reihe von Angelegenheiten, die für unsere Branche wichtig sind.» Gemeinsam mit andere Organisationen werde man die kurz- und langfristigen Effekte des Rückzugs aus der EU auf das RIBA und seine Mitglieder bewerten und weitere Orientierungshilfen anbieten. Am wichtigsten sei jedoch die Zusammenarbeit mit der Industrie und in der Regierung, um sicherzustellen, dass Architekten in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren eine starke Stimme haben werden.

Genau die fehlte aber, als es darauf ankam, macht Ben Derbyshire von HTA, Mitglied im Aufsichtsgremium vom RIBA und Bewerber um die Nachfolge Duncans, der jetzigen Führung des königlichen Instituts zum Vorwurf. Er sei bestürzt, so Derbyshire, dass das RIBA keine größere Rolle in der Debatte vor dem Referendumstag gespielt habe – wo doch 85 Prozent seiner Mitglieder ein Austritt für eine schlechte Idee hielten. Das Institut müsse jetzt wirklich einen Weg finden, seinen Mitgliedern zu erlauben, vernehmbar für den eigenen Berufszweig zu sprechen. «Bei diesem bedeutsamsten aller Anlässe hat es das versäumt. Und nun ist es zu spät», beklagt Derbyshire.

Cany Ash von Ash Sakula Architects wählt ähnlich scharfe Worte, um ihren Ärger über das EU-feindliche Votum auszudrücken. «Der Brexit kommt einem umfassenden städtischen Verfall gleich. Während das durch ihn entstandene bürokratische Schlamassel geklärt wird, werden all unsere Energien verschwendet. Ein durch heikle Public-Private-Partnerships vermittelter Wohnungsbau und soziale Projekte gewinnen nur mithilfe von  Stabilität und Optimismus an Schwung. Das haben wir in den Wind geschossen.»

Ein großer Teil der britischen Architekturbüros konzentriert sich in London. Die Metropole hat mehrheitlich für einen Verbleib in der Europäischen Union gestimmt. Dementsprechend beabsichtigt Paul White, Co-Chef des Büros Buckley Gray Yeoman, eine Kampagne zu starten, die unter dem Motto «Take Us with You Europe» für einen Verbleib Londons in der EU wirbt. Allerdings gibt es schon andere Appelle in diese Richtung, etwa den für einen Zusammenschluss der Stadt mit dem ebenfalls EU-freundlichen Schottland, das nach der Brexit-Entscheidung wahrscheinlich erneut vor einem Unabhängigkeitsreferendum steht.

«Tiefe Gräben»
Amanda Levete, die Gründerin von AL_A, macht aus ihrer Enttäuschung über das Brexit-Votum zwar keinen Hehl, will aber die Wahlentscheidung respektieren und sieht nicht nur negative Aspekte. Die Debatte habe das ganze Land und insbesondere junge Leute erfasst. Und es könne nur positiv sein, wenn die Menschen so leidenschaftlich über die Zukunft diskutierten.

Auch Nicholas Burwell, Chef von Burwell Deakins Architects, glaubt, dass die Nebenwirkungen der Entscheidung nicht nur nachteilig seien. «Eine große Zahl britischer Wähler hat ihr Gefühl einer Entfremdung zum Ausdruck gebracht und Zentralismus abgelehnt. Ist das der Aufbruch zu breiter fundierten demokratischen Arrangements mit mehr Entscheidungsmacht für die Regionen? Als Ergebnis des Referendums wäre das nicht ganz so schlecht.»

David Marks, geschäftsführender Direktor von Marks Barfield Architects, ist dagegen pessimistisch: «Das Referendum hat die tiefen Gräben innerhalb der britischen Gesellschaft offen zutagetreten lassen. Das Resultat hilft dem Land nicht dabei, die wirklchen Probleme wie den Klimawandel, den ungezähmten Marktkapitalismus und die steigende Ungleichheit zu lösen.»

Die britische Bauindustrie stellt sich derweil auf mögliche Negativfolgen des Brexit-Votums ein. Schon vor dem Referendumstag prophezeiten ihre Vertreter, eine Mehrheit für den Austritt werde nachteilige Auswirkungen auf Investitionen, das Geschäftsvertrauen und den Arbeitsmarkt haben, der stark von der Zuwanderung vom Kontinent angewiesen ist.

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