Carl Bechstein Campus

Graft Gesellschaft von Architekten
20. März 2024
Haupteingang des Carl Bechstein Campus (Visualisierung: Aesthetica Studio)
In Berlin sollen am Standort der Carl Bechstein Stiftung und des C. Bechstein Centrums Berlin Konzertsäle, Ausstellungsflächen, Übungsräumen und Stipendiatenwohnungen sowie Verkaufs- und Gewerbeflächen entstehen. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Die Ausgangssituation ist derzeit noch geprägt von heterogen zusammengewürfelten Nutzbauten und Pavillons. Diesen Zustand wollen wir beräumen und nur das zentrale und historische fünfgeschossige Industriegebäude aus dem 19. Jahrhundert beibehalten, weil es als einziger attraktiver Baustein noch etwas von der Geschichte der Heidestraße erzählen wird.

Generell hat sich die Heidestraße, die sich in der Nähe des Regierungsviertels und des Berliner Hauptbahnhofs befindet, zum zentralen Boulevard der Europacity entwickelt. Am Südende der Straße haben einige alte Gebäude den Bombenkrieg überstanden und genau an dieser Schnittstelle zwischen historischer Bausubstanz und neuer städtebaulicher Planung liegt das Gelände für den Carl Bechstein Campus.

Wie typisch für die Entwicklung brachliegender Flächen nach dem Krieg ist auch in der Heidestraße eine große Aufteilung der Grundstücke zu beobachten, was zu den üblichen Problemen in Bezug auf städtische Proportionen und die Gliederung von großvolumigen Baukörpern führt. Mit unserem Entwurf möchten wir diese Baulücke mit einem neuen städtebaulichen Baustein schließen und uns von den umliegenden Neubauten abheben.

Modell (Foto: GRAFT GmbH)
Welches sind die Kerngedanken Ihres Entwurfs?

Das gesamte Konzept des Carl Bechstein Campus unterstützt die Vernetzung der Marke Bechstein mit der Stadt. So markiert der neu gestaltete Franz-Liszt-Platz, der durch die zurückversetzte Position des Bestandsgebäudes entsteht, den Endpunkt der Wegverbindung vom Kunst-Campus hinter dem Hamburger Bahnhof zur Heidestraße. Auch das Bechstein-Museum soll zu den Öffnungszeiten als Passage von West nach Ost zugänglich sein. Die Heidestraße wird so mit dem rückwärtigen zukünftigen Park entlang der Gleise nördlich des Hauptbahnhofes verbunden. 

Das Aufbrechen des Blockrandes ist dementsprechend für uns ein Kerngedanke, genauso wie die Zugänglichkeit des Gebäudes für die Öffentlichkeit. Das war uns sehr wichtig, denn mit seinen zwei Konzertsälen und eben dieser programmatischen und architektonischen Offenheit soll der Carl Bechstein Campus zukünftig als offenes Haus der Musik das Berliner Musikgeschehen bereichern. 

Großer Konzertsaal (Visualisierung: Aesthetica Studio)
Wie organisieren Sie den neuen Campus?

Unser Entwurf sieht vor, die Bebauung entlang der Heidestraße zu vervollständigen, den Campus jedoch an zentraler Stelle durch eine diagonale räumliche Aufweitung großzügig zur Heidestraße hin zu öffnen. Der neue Franz-Liszt-Platz wird zur einladenden Eingangsgeste der Marke Bechstein, an der sich auch der Haupteingang zu den Konzertsälen befindet. Konzertbesucher gelangen vom Eingang über ein spektakuläres Treppenhaus in das Foyer im zweiten Stock. Von hier geht der Blick in den ruhigen Innenhof mit seinem großen Foyer- und der Pausen-Terrasse, auf der auch Outdoor-Konzerte möglich sind. Das Foyer mit Pausenbar liegt ideal zwischen den beiden Konzertsälen, die jeweils beidseitig erschlossen werden. Eine weitere Treppe führt zu den Rängen des großen Kammermusiksaals. Noch weiter oben erreicht man über das Treppenhaus die Piano Bar mit Dachterrasse, die einen Blick auf das Zentrum und die Silhouette der Stadt bietet und auch unabhängig vom Konzertbetrieb für die Öffentlichkeit geöffnet sein soll. 

Auf der südlichen Seite des Entwurfes ergänzt ein ebenerdiges Restaurant den öffentlichen Charakter des neuen Stadtraums, der in seiner Tiefe schließlich durch ein bestehendes fünfgeschossiges Gewerbegebäude räumlich geschlossen wird. Dieser Bestandsbau wird nahtlos im Gebäude-Konzept integriert und als Bechstein-Museum mit zahlreichen historischen Instrumenten, Klavieren, Flügeln und Cembali zukünftig die Geschichte der Marke Bechstein erzählen. 

Das Museum, die Bechstein Akademie und Musikerapartments in den westlichen Gebäude-Flügeln stehen für die Öffentlichkeitsarbeit und Zugänglichkeit der Marke Bechstein, welche insbesondere durch ihre Aktivitäten an Schulen und die Förderung von Studierenden einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Leben Berlins leisten. Im rückwärtigen Teil des Campus entstehen dazu 30 Künstlerapartments für das »artists in residence«-Programm der Carl Bechstein Akademie.

Der Campus wird darüber hinaus den zukünftigen Flagship-Store der Klaviermarke Bechstein in Berlin beherbergen, in dem Flügel und Klaviere präsentiert und ausprobiert werden können.

Grundriss Erdgeschoss (Zeichnung: GRAFT GmbH)
Grundriss 2. Obergeschoss (Zeichnung: GRAFT GmbH)
Grundriss 3. Obergeschoss (Zeichnung: GRAFT GmbH)
Schnitt (Zeichnung: GRAFT GmbH)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Wir haben für den Carl Bechstein Campus eine dynamische Architektursprache mit einer ondulierenden Backsteinfassade, die sich an den wichtigsten Zugängen überaus großzügig zur Stadt öffnet, entwickelt. Entlang der Heidestraße hebt und senkt sich so der »Vorhang« der Fassade, um spektakuläre Einblicke in die Konzert-Foyers und die Klavierwelt der Marke Bechstein zu erlauben. Die im Wesentlichen vertikale Gliederung der Backsteinfassade entlang der Heidestraße wird durch leichte Verdrehungen der aufgehenden Glieder in eine Art Schwingung versetzt, was fließende Übergänge von geöffneten und geschlossenen Fassadenbereichen erlaubt. So entsteht ein gradientenhafter Rhythmus aus regelmäßiger Kleinteiligkeit und großflächiger Fassadengliederung mit eigenständigem städtebaulichem Charakter. Zur West-Seite des Campus an den Bahngleisen entsteht hingegen eine horizontal wellenförmige Fassade, die die versetzte Anordnung der Konzertflügel in den Künstlerapartments nach außen widerspiegelt. Die bestehende Altbaufassade im Herzen des Campus haben wir als Ausgangspunkt für die neuen Fassaden in Bezug auf Proportionen und Material genommen. 

Balkone der Künstlerapartments (Visualisierung: Aesthetica Studio)
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

In den kommenden Monaten sollen die Details des geplanten Campus ausgearbeitet werden.

Foyer mit großer Treppe (Visualisierung: Aesthetica Studio)
Carl Bechstein Campus in der Heidestraße in Berlin
Einladungswettbewerb
 
Auslobung: Arnold Kuthe Liegenschaft Heidestraße 46 – 52 GmbH, Berlin
in Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen
Betreuung: a:dks plus Gesellschaft für Wettbewerbs- und Verfahrensbetreuung mbH, Berlin
 
Jury
Jette Hopp (Vors.) | Prof. Ruth Berktold | Prof. Christoph Langhof | Jakob Meyer-Rogge | Stefan Freymuth, Kuthe Immobilien | Ephraim Gothe, BA Mitte | Prof. Petra Kahlfeldt, Senatsbaudirektorin, SenSBW | Henrik Thomsen, Quarterback Immobilien
 
1. Preis
GRAFT Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin | Wolfram Putz, Lars Krückeberg, Thomas Willemeit
Mitarbeit: Alexander Moritz, Friederich Atanasoaie, Hyewon Kwon
Landschaftsarchitektur: KRE_TA Kretschmer Tauscher Sander Landschaftsarchitekten Partnergesellschaft MBB
Technische Ausrüstung, Tragwerksplanung, Bauphysik: Arup Deutschland GmbH
Brandschutzplanung: HHP Berlin
Akustik: Arup United Kingdom
 
2. Preis
Staab Architekten GmbH, Berlin | Prof. Volker Staab
Mitarbeit: Simon Banakar (Projektleitung), Dinah Fray, Steffen Rebehn, Frederic Rustige, Julius Dettmers, Janine Seiffert, Julia Zillich
Landschaftsarchitektur: Levin Monsigny Lanschaftsarchitekten GmbH
Technische Ausrüstung: Winkels/Pudlik, Beratungsgesellschaft für Regenerative, Energiewirtschaft und Versorgungstechnik mbH
Tragwerksplanung: ifb frohloff staffa kühl ecker Beratende Ingenieure PartG mbB
Akustik: Müller-BBM GmbH
 
3. Preis
Kleihues + Kleihues Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin | Prof. Jan Kleihues, Götz Kern
Mitarbeit: Feyza Syaman, Polina Moskalenko, Jan Czieslewicz, Leon Bendik
Tragwerksplanung: sbp se – schlaich bergermann partner
Brandschutzplanung: Brandplus GmbH
Akustik: Peutz Consult GmbH

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