5. marzo 2018
Blick vom Friedrichsplatz aus: Die neue bzw. erweitere Kunsthalle in Mannheim nimmt das prägende städtebauliche Thema der Stadt auf. (Bild: Lukac Diehl / gmp)
Die Quadratestadt Mannheim hat ihr tradtionsreiches Kunstmuseum um einen Erweiterungsbau ergänzt. gmp aus Hamburg haben an diesem städtebaulich wichtigen Ort ein Haus errichtet, das die markante Stadtstruktur in eine Art Museumsstadt direkt übersetzt.
Projekt: Erweiterungsbau Kunsthalle Mannheim (Mannheim, DE) | Architektur: gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner (Hamburg, DE) | Bauherr: Stiftung Kunsthalle Mannheim (Mannheim, DE) | Hersteller: GKD – Gebr. Kufferath AG, Kompetenz: Architekturgewebe | Hersteller: Eternit GmbH (Heidelberg, DE), Kompetenz: Fassadentafel EQUITONE | weitere Projektdaten siehe unten
Mannheim ist eine Quadratestadt. So sagt man volkstümlich und meint damit vor allem die hufeisenförmige Innenstadt zwischen Rhein und Neckar, die – vom Mannheimer Schloss ausgehend – in einem orthogonalen Raster aufgebaut ist, eine Planung, die auf Kurfürst Friedrich IV. von der Pfalz um 1600 zurückgeht. Die durch dieses Raster entstehenden städtebaulichen Blöcke nennt man in Mannheim „Quadrate“, die folgerichtig mittels eines Systems aus Buchstaben und Zahlen genannt werden. Für den Mannheimer ist es also nicht ungewöhnlich, beispielsweise in „F4, 28“ zu wohnen. Am südöstlichen Rand der Innenstadt (Richtung Heidelberg) schließt der Friedrichsplatz an, auf dem der neubarocke Wasserturm steht, eines der Wahrzeichen Mannheims. Hier hat man die beste Lage in der Stadt, mit einigen hochpreisigen Hotels und dem „Rosengarten“, einem überregional bekannten Kongress- und Veranstaltungszentrum, mit Arkadenhäusern und rotem Sandstein. Gegenüber des Rosengartens befindet sich die Kunsthalle, errichtet 1907 von dem Karlsruher Architekten Hermann Billing im Jugendstil, der von der hier eigentlich vorherrschenden Gebäudeflucht zurückversetzt ist. Mitte der 1980er-Jahre wurde auf dem vorgelagerten Freifeld der lange geplante Erweiterungsbau von dem Mannheimer Architekten Hans Mitzlaff errichtet, ein postmoderner Bau, der durch seine Fassadenmaterialität den Sandstein der umgebenden Bauten aufnimmt und durch absolute Schmucklosigkeit der ausgestellten Kunst dienen will.
Im Stadtraum erhält die Kunsthalle zur Parkanlage des Friedrichsplatzes hin eine repräsentative Schauseite – wie bereits bei ihrer Gründung vor hundert Jahren angedacht. (Bild: HGEsch / Eternit)
Der Mitzlaff-Bau nun wurde – nicht zuletzt wegen erheblicher Baumängel und beengter räumlicher Verhältnisse – auf Initiative der Kunsthalle im Jahr 2014 abgerissen und sollte nun durch einen besseren und größeren Neubau ersetzt, was nicht zuletzt durch eine großzügige 50-Millionen-Euro-Spende des SAP-Mitbegründers Hans-Werner Hector, mit der ein Großteil der Kosten gestemmt werden konnte, ermöglicht wurde. Den entsprechenden international ausgeschriebenen Wettbewerb konnte gmp aus Hamburg für sich entscheiden, mit einer Entwurfsidee, die für die Quadratestadt Mannheim ziemlich verlockend ist: gmp hat die städtebauliche Struktur Mannheims zum Vorbild genommen, sie quasi skaliert und daraus eine „Stadt in der Stadt“ konzipiert. Der Neubau besteht aus einzelnen Baukörpern für Ausstellungs- und Funktionsräume, die zu einer einfachen Gebäudekubatur zusammengefasst sind. Dadurch entsteht ein zentrales Atrium, die Baukörper sind über Galerien, Terrassen und Brücken miteinander verbunden, in Analogie zu den raumbildenden Elementen der Stadt Haus und Block, Straße und Platz. Für die Besucher entstehen so geschlossene und offene Räume mit wechselnden Ein- und Ausblicken und immer wieder neue räumliche Eindrücke.
Bei Dunkelheit beginnt die neue Kunsthalle zu leuchten und die Struktur der einzelnen Baukörper werden noch stärker wahrnehmbar. (Bild: HGEsch / gmp)
Die Außenhaut der Kuben besteht aus dunkelgrauen Fassadentafeln (Eternit), unsichtbar mit Hinterschnittdübeln auf einer Aluminium-Unterkonstruktion befestigt, die durch ihre steinerne und samtig matte Oberfläche einen Bezug zum Sandstein in der Umgebung aufnehmen. Gleichzeitig bilden sie den zurückhaltenden Hintergrund für das transparente Metallgewebe, das wie ein luftiges Kleid über die Kuben geworfen ist und die simple Gesamtkubatur definiert. Das Netz besteht aus einem bronzefarbenen (ein speziell für dieses Projekt komponierter Farbton) Edelstahl-Mesh (GKD), dessen Maschenweite sich je nachdem, ob sich dahinter ein Baukörper oder ein Luftraum befindet, ändert. Das Gewebe besteht aus insgesamt 72 einzelnen bronzierten Edelstahlpaneelen, die zusammen eine Fläche von 4.635 m² umspannen. Jeweils acht Drahtstücke aus Edelstahl mit drei Millimeter Durchmesser sind mit einem vierteiligen, ineinander verschlungenen Kettseil verbunden. In den Bereichen, wo das Gewebe vor geschlossenen Fassaden montiert ist, folgen hierauf wiederum Rohre mit 25 Millimeter Durchmesser. Tagsüber entsteht so ein schimmerndes, flirrendes Licht- und Schattenspiel, bei Dunkelheit kehr der Neubau sein Inneres stark nach außen. „Wie eine Stadtstruktur eine Ordnung bildet, in der sich jede Einzelarchitektur individuell artikuliert, schafft das Konzept der ‚Stadt der Kunst‘ einen identitätsstiftenden architektonischen Rahmen und ermöglicht als Projektionsfläche zugleich größte kuratorische Freiheit“, beschreiben das die Architekten ihre Idee. Dem wollen wir uns gerne anschließen.
Das neue Atrium verstehen die Architekten als Marktplatz, der als Erweiterung des öffentlichen Raumes für alle Bürger zugänglich ist und zugleich den Auftakt der Kunsthalle bildet. (Bild: Marcus Bredt / gmp)
Der Blick zurück zeigt die vielfältige Verbindung von Innen- und Außenraum. Im Bild: Der Friedrichsplatz mit historischem Wasserturm. (Bild. Marcus Bredt / gmp)
Das Ausstellungskonzept sieht große Räume mit Lichtdecken vor, die sich äußert variabel bespielen lassen. (Bild: Marcus Bredt / gmp)
Lageplan / Schwarzplan (Quelle: gmp)
Grundrisse, v.l.o.n.r.u.: 2. Obergeschoss, 1. Oberbeschoss, Zwischengeschoss, Erdgeschoss (Quelle: gmp)
Längsschnitt durch Erweiterungs- und Bestandsbau (Quelle: gmp)
Die grauen Fassadentafeln sind unsichtbar befestigt, wodurch eine gleichmäßige Oberfläche entsteht. (Bild: HGEsch / Eternit)
Das vorgehängte Gewebe liegt wie ein transparentes Kleid über den einzelnen Kuben und gibt so dem Bauwerk eine kompakte, schlichte Gesamtkubatur. (Bild: HGEsch / gmp)
Projekt
Erweiterungsbau Kunsthalle Mannheim
Mannheim, DE
Architektur
gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner
Hamburg, DE
Entwurf
Meinhard von Gerkan und Nikolaus Goetze mit Volkmar Sievers
Projektleitung Ausführung (bis LPH 5 + künstlerische Oberleitung)
Liselotte Knall, Kerstin Steinfatt Mitarbeiter
Ausführung (bis LPH 5)
Ulrich Rösler, Raimund Kinski, Amra Sternberg, Viktoria Wagner, Hanna Diers, Michèle Watenphul, Anna Falkenbach, Felix Partzsch
Bauherr
Stiftung Kunsthalle Mannheim
Mannheim, DE
Hersteller
GKD – Gebr. Kufferath AG
Kompetenz
Architekturgewebe, Sonderanfertigung
Hersteller
Eternit GmbH
Heidelberg, DE
Kompetenz
Fassadentafel EQUITONE[natura] grau N 283, Individualfarbe
weitere Hersteller
Beleuchtung: iGuzzini, Zumtobel
Türbeschläge: FSB
Bauleitung LPH 6-9
W+P Gesellschaft für Projektabwicklung
Sven Lemke, Kevin Puhmann
Stuttgart, DE
Ausführung Fassadentafeln
Franzen Fassadentechnik GmbH
Kottenheim, DE
Wettbewerb
2012, 1. Preis
Team
Di Miao-Weichtmann (Projektleitung), Ulrich Rösler, Mira Schmidt, Steffen Lepiorz, Liselotte Knall, Kai Siebke, Frederik Heisel
Mitarbeiter 3D und Visualisierung
Markus Carlsen, Tom Schülke, Jens Schuster, Christoph Pyka, Kenneth Wong, Björn Bahnsen
BGF
17.366 m²
Fertigstellung
2017
Fotografie
Hans-Georg Esch
Lukac Diehl
Projektvorschläge
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