Der Clou: Verzicht auf Treppenhäuser

Falk Jaeger
13. Mai 2024
Foto: Joshua Delissen

Das Projekt der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag an der Charlottenburger Arcostraße (Google Earth 52.5198  13.308) in Berlin hatten die Architekten Bruno Fioretti Marquez 2013 im Rahmen des Workshopverfahrens »Urban Living« entwickelt. Sie sahen einen Blockrand mit vier Vorderhäusern und jeweils zwei dahinterliegenden Einzelhäusern vor. Bei der Ausführung durch die Hamburger Architekten blrm (Blauraum) mit der Planungsgemeinschaft Assmann Beraten + Planen wurde das Prinzip beibehalten, aber abgewandelt. Fünf sechs- bis siebengeschossige Vorderhäuser bilden die Blockrandbebauung entlang der Arcostraße. Fünf schachbrettartig versetzt angeordneten Einzelbaukörper, die man nach Berliner Art »Gartenhäuser« nennt, füllen den Blockinnenraum.

Foto: Joshua Delissen
Foto: Joshua Delissen

Durch die Anordnung der Baukörper ergeben sich acht durch ein Wegenetz miteinander verbundene grüne Höfe von angenehmer Größe. Clou der Anlage: Die Gartenhäuser habe keine eigenen Treppen und Aufzüge, sondern die Etagen sind durch eine viergeschossige Steganlage von den Vorderhäusern aus horizontal zugänglich. Die Erschließungsbrücken bieten gleichzeitig höchst kommunikativen Begegnungsraum und Spielflächen und sind bei warmer Witterung vielfach belebt. Einige der Wohnungen haben hier auch eine als Terrasse individuell abgegrenzte Fläche. Die großzügigen Frei- und Bewegungsflächen direkt vor der Wohnungstür gibt es praktisch zum Nulltarif, denn die Betonfertigteilbrücken sind wesentlich kostengünstiger als fünf Erschließungskerne mit Treppen- und Aufzugsanlagen, die man durch sie einsparen konnte.

Einziges Manko: Die Flächen dürfen von den Bewohnern nicht durch Pflanzen oder Sitzgruppen in Beschlag genommen werden, denn sie müssen als Fluchtwege freigehalten werden. Die Familie, die den Kinderwagen vor der Wohnungstür postiert und ein Bänkchen aufgestellt hat, handelt sich den Rüffel des Hauswarts ein. Da die Gänge vielfach breit genug erscheinen, könnte man vielleicht die Grenzlinien der unbedingt freizuhaltenden Rettungswege auf den Boden malen…

Grundriss Erdgeschoss (blrm Architekt*innen GmbH)
Grundriss Obergeschoss (blrm Architekt*innen GmbH)
Grundriss Regelgeschoss (blrm Architekt*innen GmbH)

Die urbane Mischung jedenfalls stimmt. Die Erdgeschosse sind gemeinschaftlich genutzt oder als Gewerbeeinheiten vergeben. Im südlichen Haus bietet eine gut ausgestattete Kita, bei der besonderer Wert auf Inklusion und behindertengerechte Räumlichkeiten gelegt wurde, 80 Betreuungsplätze. Im nördlichen Eckhaus wünscht sie die Gewobag ein Café oder ein Restaurant mit Spreeblick. Ein Betreiber dafür ist allerdings schwer zu finden, da zunächst in die Ausstattung des Rohbaus ordentlich investiert werden muss. 

Die 1- bis 6-Zimmer-Wohnungen in den Obergeschossen mit Wohnflächen zwischen 34,6 m² und 132,7 m², sind zur Hälfte barrierefrei gestaltet. 55 Einheiten werden freifinanziert zu durchschnittlich 11 EUR/m² vermarktet, 56 werden an Wohnberechtigungsschein-Inhaber ab 6,50 EUR/m² vermietet. Beheizt werden die Häuser über Fernwärme. Fotovoltaik, für jeden Häuslebauer Pflicht, war für die Gewobag, ein Unternehmen des Landes Berlin, 2019 wohl noch nicht obligatorisch. Immerhin hat man die Anschlüsse vorgerüstet. Die Dächer sind extensiv begrünt. Eine Tiefgarage oder Stellplätze auf dem Grundstück gibt es nicht, dafür Fahrradabstellräume und jede Menge Fahrradständer.

Entstanden ist ein Stück Stadt mit 111 Wohnungen, das vor allem durch das ungewöhnliche Erschließungssystem ein neues Lebensgefühl erzeugt: Hell und luftig, kommunikativ und etwas verspielt, durchlässig, durchgrünt und bar jeglicher Beengtheit. Die dringend notwendige Nachverdichtung in der Stadt, so kann sie aussehen.

Schwarzplan (blrm Architekt*innen GmbH)

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