Zwischen Wahlkampf und Stadtentwicklung

Katinka Corts
8. 二月 2023
Auf dem Podium diskutierten Niklas Schenker (Die Linke), Stefan Evers (CDU), Mathias Schulz (SPD), Stefan Förster (FDP) und Florian Schmidt (Die Grünen) mit Rebecca Wall und Vertreter*innen mehrerer Berliner Initiativen, hier Sabine Kroner (Urbane Praxis e.V.), Luise Flade (Reallabor Radbahn) und Jan Edler (Flussbad Berlin e.V.) (Foto: Raquel Gómez Delgado)

Die Mitgestaltung von urbanen Transformationsprozessen braucht vor allem eines: Langfristigkeit und Verlässlichkeit. Bereits der Wahlkampf fünf Jahre zuvor hatte gezeigt, dass vieles bis dahin Aufgebaute, das gerade erst anfing zu funktionieren, plötzlich wieder um die Weiterfinanzierung kämpfen musste. Rebecca Wall, die vergangene Woche das Podium „Kooperative Stadt & Urbane Praxis“ leitete, erinnerte sich einleitend, dass in der letzten Koalition selbst lang aufgebaute Strukturen der Mitwirkung teilweise ohne große Begründung für beendet erklärt worden waren. Wie steht es aktuell um die Realisierung der Ziele, die bezüglich der Initiativen im Koalitionsvertrag 2021–2026 festgeschrieben sind?

Diesen Sonntag wiederholt ein Teil Berlins die 2021 durchgeführte Wahl – Verzögerungen, fehlende oder fehlerhafte Wahlzettel sowie länger geöffnete Wahllokale zogen Beschwerden sowie den Einspruch des Bundeswahlleiters nach sich. Im November 2022 entschied der Berliner Verfassungsgerichtshof, dass die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen komplett wiederholt werden müssen. Gehen den Initiativen damit auch erneut Fürsprecher verloren? Um dem vorzugreifen, haben sich Vertreter*innen der Berliner Netzwerke öffentlich mit Abgeordneten der Parteien getroffen. Das dichte Programm war unterteilt in drei Themenblöcke, die die Bereiche Teilhabe an Transformationsprozessen, kooperative Strukturen der Stadtentwicklung und Bodenpolitik behandelten.

Mathias Schulz (SPD), Stefan Förster (FDP) und Florian Schmidt (Die Grünen) (Foto: Raquel Gómez Delgado)

Um in zivilgesellschaftlichen Prozessen mitwirken zu können, muss die übergreifende Zusammenarbeit zwischen Politik und zahlreichen Behörden dauerhaft verlässlich funktionieren. Gerade gemeinwohlorientierte und kooperative Modellprojekte brauchen Rahmenbedingungen, die Mitwirkung dauerhaft absichern. 

Stoßen zivilgesellschaftliche Projekte Transformationsprozesse an, haben sie meist nicht die benötigten Ressourcen und brauchen öffentliche Förderung. Erschwerend kommt hinzu, dass derlei Projekte nicht in die bekannten Prozess- und Ressortzuschnitte passen und so nur schwer in die Umsetzung kommen. Das konterkariere, so das Netzwerk Urbane Praxis Berlin, das große Potenzial solcher Projekte und Gruppen, die Verantwortung übernehmen und die Verwaltung unterstützen, indem sie interdisziplinäre Lösungsansätze zu aktuellen Fragen der Stadt lokal erproben und konkrete Visionen für die Zukunft Berlins entwickeln. 

Politik und Verwaltung müsse helfen, so der Tenor im zweiten Themenbereich, gute Ideen, langfristiges Engagement und herausfordernde Sacharbeit zur Geltung zu bringen und übertragbar zu machen. Statt Modellprojekte zu „verstreuten Orchideen im Stadtraum“ zu degradieren, sollten sie vielmehr dazu dienen, über kollektives Lernen vom einzelnen Projekt zu neuen Programmen zu kommen und übertragbare Trägerschaften zu entwickeln.

Niklas Schenker (Die Linke), Stefan Evers (CDU), Mathias Schulz (SPD) (Foto: Raquel Gómez Delgado)

Doch allem zugrunde liegt das Thema der Ressource Boden, der wie Wasser und Luft eine Lebensgrundlage ist und als Gemeingut angesehen werden sollte. In der Realität ist das nicht so und es fehlt eine übergreifende, strategische Bodenpolitik. Zwar setzt sich die Stadt für eine neue Liegenschaftspolitik ein, doch zahlreiche Privatisierungen haben den Markt verknappt. Der aktuelle Koalitionsvertrag strebt ein Bodensicherungsgesetz an, ein Entwurf der Partei „Die Linke“ existiert seit 2019. Darin geht es um das Verkaufsverbot von landeseigenen Liegenschaften, und auch die Erbbaurechtsvergabe soll mit einer Nutzungsbindung gesetzlich abgesichert werden. Weiterhin ist der strategische Bodenerwerb vorgesehen, den ein Bodenbeirat begleiten würde. Auf dem Podium kam man indessen auf Hamburg zu sprechen, wo die Volksinitiative „Keine Profite mit Boden und Miete“ einen Kompromiss mit der aktuellen Regierung vereinbarte und das Verkaufsverbot landeseigener Liegenschaften in die Verfassung aufgenommen wurde. 

Wie stehen die Berliner Abgeordneten zum Thema der Bodensicherung? Klar ist, dass heute kein landeseigener Boden mehr privatisiert werden soll. Die Initiant*innen forderten diesbezüglich im Rahmen der Veranstaltung gar ein Bodensicherungsgesetz, das jedoch parteiübergreifend nicht als Priorität betrachtet wurde. Der Ausverkauf des Berliner Bodens habe zu anderen Zeiten stattgefunden, so Stefan Evers (CDU), und auch Stefan Förster (FDP) meinte, dass bereits länger keine landeseigenen Flächen mehr verkauft würden. Niklas Schenker (Die Linke) widersprach: „Wir haben den Boden so lange nicht gesichert, bis wir ihn gesichert haben. Deshalb brauchen wir ein Bodensicherungsgesetz, besser noch ein Privatisierungsbremse in der Verfassung! Wir müssen mit dem Bodensicherungsgesetz vorankommen und Transparenz über ein öffentliches Liegenschaftskataster herstellen.“ Schenker fordert zudem, dass nicht nur die öffentlichen Grundstücke zugänglich gemacht werden müssen, sondern dass man auch von Privaten wissen müsse, wem der Berliner Boden gehört. „Es ist unglaublich, dass wir in Berlin aktuell nicht wissen, wer mehr als 3000 Wohnungen hat! Wir müssen diese Daten für die Expertenkommission und die Öffentlichkeit verfügbar machen.“

Rechts neben Rebecca Wall: Clemens Weise (Koordinierungsstelle Runder Tisch Liegenschaftspolitik), Bernhard Kotowski (bbk Berlin) und Dariya Krisen (Koordinierungsstelle Runder Tisch Liegenschaftspolitik) (Foto: Raquel Gómez Delgado)

Die den Vorschlag der Querfinanzierung von landeseigenen Vorhaben mit dem Teilverkauf von Flächen, den der Stadtentwicklungssenat aufgegriffen hat, lehnt Mathias Schulz (SPD) und die Mehrheit der Fraktion ab. Es geht nicht darum, den Bedarf nach Eigentumswohnungen in der Stadt zu stillen, sondern um bezahlbare Mietwohnungen, denn etwa 80% der Menschen in der Stadt wohnten zur Miete. „Alle Punkte von den Linken sind auch Themen bei der SPD und ich glaube, dass wir uns politisch einig sind, dass keine öffentlichen Flächen in die private Hand gehen“, so Schulz. „Wir brauchen Erbbaurechte und langfristige Sicherheitsmechanismen, die nicht nur eine Wahlperiode andauern.“

Florian Schmidt, der Bezirksstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg (Die Grünen), der stellvertretend für Katrin Schmidberger am Podium teilnahm, bemängelte auch gängige Muster: „Viele sehen es so, dass man Baurecht für Investoren schaffen muss. Man will ein gutes Investorenklima schaffen und ‚päppelt‘ das. Aber wir müssen da ganz strenge Auflagen daran binden, und das geht auch!“ Man müsse zum Beispiel, wenn Gewerbebaurecht gesprochen wird, gleichzeitig Räume für Kultur und Soziales einfordern. „Als Bezirk gehen wir jetzt voran auf dem RAW-Gelände, wir haben mehrere Gutachten dazu beauftragt. Ich glaube, dass es auch bei privaten Flächen bei der Baurechtsschaffung viele Möglichkeiten gibt, im kooperativen Modell dauerhaft gemeinwohlorientierte Räume zu schaffen. In den bestehenden Modellen könnten auch Boden-Nutzungsrechte hinzugefügt werden. Denn, wie Schmidt weiter ausführt, man komme doch gar nicht damit aus, was die Stadt noch habe.

Die Vertreter der Initiativen: Konrad Braun (Initiative Haus der Statistik) und Enrico Schönberg (Vernetzungstreffen Rathausblock) (Foto: Raquel Gómez Delgado)

Kooperative Stadtplanung braucht politische, rechtliche und auch strukturelle Instrumente, die partei- und legislaturübergreifend eingesetzt werden können. Ein Podium, wie hier stattgefunden, könnte eine gute, übergeordnete Basis für ein ständiges und gezieltes Im-Gespräch-Bleiben werden. Dass die Szene der Initiant*innen in diesem Format der Politik organisiert gegenübertreten kann und mit dieser gemeinsame Vorgehen besprechen kann, ist ein großer Gewinn. Gleichzeitig wäre es für den Bestand der einzelnen Bewegungen, die über viele Jahre oder gar Jahrzehnte handlungsfähig sein müssen, wichtig, mit der Politik eine dauerhafte Schnittstelle auf einem hohen Level zu haben. Und auch die Reform der allgemeinen Verwaltung, die mehrfach am Abend angesprochen wurde, muss vorangehen. Denn nur neue, flexible Strukturen können den heutigen Anforderungen und dem heutigen Wandel in der Planungskultur, denen sich alle Städte gegenübersehen, sinnvoll unterstützen.

Auf dem Podium diskutierte Rebecca Wall mit den Politikern
Mathias Schulz (SPD), Niklas Schenker (Die Linke), Stefan Evers (CDU), Stefan Förster (FDP) und Florian Schmidt (Die Grünen)

Die bei der Veranstaltung vertretenen Initiativen und Netzwerke
AG Urbane Praxis und Raumproduktion im Rat für die Künste Berlin
AG Taskforce für bedrohte Räume
AKöR – Anlauf- und Koordinationsstelle für öffentliche Räume
AKS Gemeinwohl – Arbeits- und Koordinierungsstruktur Gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung
Architects for Future Berlin
Flussbad Berlin e.V.
Initiative Haus der Statistik
Initiative StadtNeudenken
Netzwerk Immovielien e.V.
Reallabor Radbahn gUG
Urbane Praxis e. V.
Vernetzungstreffen Rathausblock

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