Raumform und Körperform

Autor
Peter Petz | Podest
Publicado em
out. 31, 2012

Kuehn Malvezzi gewinnt den Wettbewerb um das Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin. Wilfried Kuehn stellt sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
Bild: Eduard Gaertner: Brüderstraße (Spreeinsel, Berlin-Mitte, im Hintergrund die Petrikirche) 
Welche Bedeutung hat der Wettbewerb für den Berliner Petriplatz?
Der Petriplatz vereint die Gegensätze der zeitgenössischen Stadt: dichte archäologische Spuren sowie historische Bauwerke stehen im Spannungsverhältnis zu den weiten Stadträumen der heutigen Verkehrsinfrastruktur. Durch den Wettbewerb kann diese Gegend ein Ort werden, das heißt eine Folge präzise gefasster Stadträume unterschiedlicher Maßstäbe, in denen die zeitgenössische Stadt in ihren Widersprüchen positiv Ausdruck findet. Dafür ist Architektur erforderlich, die den Stadtraum neu strukturiert und auch dominiert. Es geht darum, an diesem schnellen Ort eine unsentimentale Langsamkeit zu schaffen. Architektur kann hier wieder zum Werkzeug des Städtebaus werden.
Lageplan 
Wie kamen Sie zum vorgeschlagenen Baukörper?
Im Wettbewerb gefordert war ein Baukörper, der gegenüber der Umgebung fremd ist. Diese programmatische Unangepasstheit ist zentral für unseren Entwurf. Sie drückt sich darin aus, dass das Gebäude in Typologie, Höhe und Oberflächenbeschaffenheit anders ist als die Umgebung. Der Baukörper ist eine großflächige Bauskulptur, in der die wenigen Öffnungen spezifisch ablesbar sind, während die großen geschlossenen Ziegelflächen Distanz schaffen. Das Innere und das Äußere, Raumform und Körperform, stehen in Spannung zueinander. Im Schnitt drückt sich dies in der skulpturalen Kraft der Wände aus. Die drei Sakralräume drücken sich außen kaum in ihrer Individualität aus; stattdessen artikulieren sie sich im Innern in ihrer jeweiligen Besonderheit. Den Baukörper dominiert der zentrale Kuppelsaal, ein öffentlicher Innenraum zwischen den Sakralräumen, der das Ziegelthema der Fassade fortsetzt. Er ist der programmatische Lehrraum, der sich architektonisch im Turm abzeichnet.
Blick von der Brüderstraße 
Können Sie und durch das Bet- und Lehrhaus Petriplatz führen, als ob es schon fertiggestellt wäre?
Das Bet- und Lehrhaus ist eine Folge von Orten. Sie liegen im Stadtraum und im Innenraum wie Stationen eines Weges. Jeder Ort erfüllt eine eigene Bestimmung, zusammen bilden die Orte ein vitales Ensemble von Situationen.

Petriplatz -Nördlich des Bethauses spannt sich ein angehobener Freiraum auf, der mit großzügigen Freitreppen und einer Rampe an den Straßenraum anschließt. Gefasst durch die gegenüber liegende Fassade des ehemaligen Kaufhaus Hertzog und flankiert vom alten Baumbestand vermittelt dieser Ort zwischen dem Alltag des städtischen Raumes und der Ruhe des Sakralbaus.

Arkade -Die Passage führt die städtebauliche Arkadierung entlang der Gertraudenstraße als öffentlichen Raum fort. Als skulpierter Raum gehört die Arkade zugleich der Folge von Innenräumen des Bet- und Lehrhauses an. Großflächige Wandöffnungen verbinden den Raum der Arkade visuell mit dem Archäologischen Feld der Petrikirche.

Archäologisches Feld -Im Untergeschoss des Bet- und Lehrhauses birgt eine acht Meter hohe Halle die archäologischen Funde der ehemaligen Petrikirchen. Ihre Umfassungswände gründen auf den Grundmauern der neogotischen Kirche von 1853 und dienen dem Schutz sowie der Sichtbarmachung der historischen Fragmente.

Empfangs- und Treppenzylinder -Eine großflächige Öffnung der Ziegelwand markiert den Haupteingang am Kopf der Brüderstraße. Durch die archäologische Halle gelangt der Besucher in den zweigeschossigen, zylindrischen Empfangsbereich, der von einer spiralförmigen Treppenanlage umschlossen wird. Von hier aus schraubt sich der Besucher, die archäologischen Ausgrabungen überblickend, in die Höhe.
Erdgeschoss 
Kuppelsaal -Über den südlich gelegenen Zugang betritt der Besucher auf + 9m den zentralen Kuppelsaal. Er fungiert als übersichtlicher Zentralraum der Begegnung und als Veranstaltungssaal für Lesungen, Konzerte und Ausstellungen. Er versammelt die drei separaten Sakralräume, die in regelmäßiger Form um ihn situiert sind und jeweils axial von ihm erschlossen werden. In räumlicher Einheit mit dem Kuppelsaal befindet sich auf der Emporenebene die Bibliothek der Religionen, deren Galerie sich zum zentralen Veranstaltungsraum öffnet.
Schnitt 
Sakralräume -Die Sakralräume dienen in Ausstattung und Funktion den drei Gemeinden als getrennte Gotteshäuser. Sie werden separat erschlossen, um eine unabhängige Nutzung der Sakralräume jederzeit zu gewährleisten. Raumqualität und Raumcharakter werden mit den Religionsgemeinschaften spezifisch entwickelt und bilden sich in der Außenkubatur durch Lichtöffnungen differenziert ab.
1. Obergeschoss 
2. Obergeschoss 
Stadtloggia -Den Abschluss des Solitärbaus bildet der geschützte Turmraum der Stadtloggia. Auf einer Höhe von 32 Metern gibt sie den Blick über die Stadtlandschaft frei und prägt maßgeblich die Stadtsilhouette. Als letzte Ebene des Zentralraums ist die Stadtloggia ein weiterer Ort der Versammlung und der Meditation. Die sich abzeichnende Belichtungskuppel des Zentralraums verbindet sie sichtbar mit dem Kuppelsaal und lässt diesen in den Stadtraum hinein wirken.
3. Obergeschoss 
Gibt es im Innenraum Analogien zum Zentralraum des Pantheons?
Der große Innenraum schließt typologisch an Zentral- und Hallenbauten an. Uns geht es bei dieser Typologie zusätzlich zur Schaffung eines öffentlichen Versammlungsraums, der die partikulären Räume gleichberechtigt in eine Beziehung zueinander setzt, vor allem um die Besucherbewegung. Diese erobert das Haus in kreisender Form um den Mittelsaal, schraubt sich in die Höhe als Folge von Schwellen und Stationen vom archäologischen Feld bis zur Stadtloggia.
Zentralraum 
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?
Sichtziegel und Tageslicht im Zusammenspiel sind das Konstruktionsmaterial des Bet- und Lehrhauses. Fläche und Öffnung, Grenze und Schwelle, Erdung und Transzendenz finden in diesem Zusammenwirken Ausdruck. Eine Vielfalt von lichtführenden Perforierungen im Ziegelmauerwerk charakterisieren die verschiedenen Orte im Haus. Arkade, Kuppelsaal und Stadtloggia verbinden sich durch das Thema der aufgelösten Wand als Filter unterschiedlicher Intensität von Öffentlichkeit. Im Gegensatz dazu wird jeder Sakralraum durch eine eigene lichtgestaltende Ziegelperforierung charakterisiert: der Innenraum nimmt Gestalt an, die Fassade erscheint spezifisch im Stadtraum.
Blick aus der Gertaudenstraße 
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?
Das Projekt ist jetzt am Anfang und bedarf öffentlicher Teilnahme und Unterstützung, um realisiert zu werden. Wir freuen uns, dass es bald mit der Vorentwurfsplanung losgeht.
Modell (Bild: Michel Koczy, Bet- uund Lehrhaus Petriplatz Berlin) 

Die komplette Wettbewerbsdokumentation finden Sie in
wa 11/2012
Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin
Begrenzt offener Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren

Jury
Prof. Hans Kollhoff, Vors.
Prof. Johannes Geisenhof
Regula Lüscher
Prof. Silvia Malcovati
Prof. Fritz Neumeyer
Dr. Alexander Pellnitz
Prof. Jórunn Ragnarsdóttir
Stephan Schütz

1. Preis
Kuehn Malvezzi
Berlin

2. Preis
Riepl Riepl
Linz

3. Preis
Wandel Hoefer Lorch
Saarbrücken

4. Preis
Schultes Frank
Berlin