Schaugewächshäuser Botanischer Garten in Karlsruhe von Ruser und Partner

Historisch vorbildlich

Thomas Geuder
11. fevereiro 2019
Die Schaugewächshäuser des Botanischen Gartens in Karlsruhe wurden nach originalen Vorbildern aufwendig saniert. (Bild: Schollglas / Ali Moshiri)

Karlsruhe ist die Stadt im Südwesten Deutschlands mit dem fächerförmigen Grundriss, mit dem Beinamen „Fächerstadt“. Die Idee zu der am Reißbrett entworfenen Stadt hatte Markgraf Karl Wilhelm, der – der Legende nach – bei einem Schläfchen während eines Jagdausritts von einem prachtvollen Schloss träumte, das sonnengleich im Zentrum seiner Residenz lag, mit den Straßen als Sonnenstrahlen. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde der Grundstein gelegt, noch heute bestimmt diese Idee die Innenstadt von Karlsruhe. Im Schlossbezirk befindet sich auch das demokratisch transparente Gebäude des Bundesgerichtshofs (1969 nach den Plänen von Paul Baumgarten) und, etwas dahinter, der Botanische Garten, ein Gebäudeensemble mit Orangerie und Staatlicher Kunsthalle. Die im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Bauten wurden in den 1950er-Jahren mit recht einfachen Mitteln wiederaufgebaut. Statische Probleme an der Konstruktion in den letzten Jahren nahm der Eigentümer, das Land Baden-Württemberg, nun zum Anlass, das Ensemble des Botanischen Gartens grundlegend zu sanieren.

Auf dem Gelände des Botanischen Gartens stehen die von Heinrich Hübsch ab 1853 erbauten Glashäuser in der Tradition der höfischen Gewächshauskultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Bild: Schollglas / Ali Moshiri)

Für die Planer von Ruser und Partner und Helleckes Landschaftsarchitektur aus Karlsruhe war es zunächst oberstes Ziel, die Anlage möglichst originalgetreu wiederherzustellen. Hilfreich waren dabei die alten Quellen aus dem Generallandesarchiv sowie die Originalpläne des Hofbaumeisters Heinrich Hübsch. Ein besonderes Augenmerk bei der Planung lag auf den anspruchsvollen Pflanzen, die für ihr Wachstum unterschiedliche Strahlungsspektren aus verschiedenen Bereichen des sichtbaren Lichts benötigen. Das eingesetzte Verbundglas (GEWE-composite, Schollglas) hat einen transparenten, leichten Kunststoffkern, der widerstandsfähig und witterungs- sowie altersbeständig ist. Der Kern hat eine hohe Resttragfähigkeit und ist selbst eine statisch tragende Komponente des Verbundes. Ein für dieses Projekt entscheidender Vorteil war die hohe UV-Durchlässigkeit: Ein normales Verbundsicherheitsglas lässt nur ungefähr 1,2 % UV-Strahlung in das Innere eines Gebäudes. Bei dem eingesetzten Verbundglas liegt dieser Wert bei bis zu 63,2%. Verbaut wurde außerdem das Ornamentglas „Kathedral kleingehämmert“ (Schollglas), das den notwendigen Sichtschutz bietet und genug Licht hindurch lässt. Es wurde ebenfalls als Verbundglas aus einer Floatscheibe, der Ornamentscheibe sowie einem transparenten Kunststoffkern angewendet. 

Die Schaugewächshäuser bestehen im Wesentlichen aus drei Baukörpern: einem höheren Zentralbau (Palmenhaus, im Bild) sowie zwei seitlich anschließenden flacheren Gebäuden. (Bild: Schollglas / Ali Moshiri)

Die aufwendig sanierte Glasfassade ist nach historischem Vorbild gerundet ausgebildet worden, die statisch ertüchtigte Stahlkonstruktion macht die ursprüngliche Raumwirksamkeit und klare Formensprache der organisch geschwungenen Flusseisenträger wieder ablesbar. Außerdem wurden historische Brunnenfunde und die vorhandene Karyatiden an der Außenfassade komplett restauriert, die Natursteinwände saniert und die außenliegende Verschattung der Pultdächer aus Holzlamellen erneuert. Im Inneren wurden die Gewächshäuser in Anlehnung an die bauzeitliche Nutzung und Gestaltung von Helleckes Landschaftsarchitektur neu interpretiert. Der Rundgang durch die Schauräume entspricht der historischen Idee, die den Gang vom Trockenen ins Feuchte und vom Kühlen ins Warme, vom streng Gegliederten zum organisch Geschwungenen vorsah. So präsentieren sich die drei historischen Schaugewächshäuser des Botanischen Gartens und ihre Pflanzen wieder näher an der Originalgestaltung des 19. Jahrhunderts, jedoch mit modernen und leistungsfähigen Materialien.

Anhand alter Quellen aus dem Generallandesarchiv und erhaltener Originalpläne war es möglich, die Schaugewächshäuser wieder in ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild zur Zeit der ersten Stahlkonstruktion herzustellen. (Bild: Schollglas / Ali Moshiri)
Die Glasfassade wurde nach historischem Vorbild gerundet ausgebildet, während die statisch ertüchtigte Stahlkonstruktion die ursprüngliche Raumwirksamkeit und klare Formensprache der organisch geschwungenen Flusseisenträger wieder ablesbar macht. (Bild: Atelier Altenkirch / ruser und partner)
Lageplan (Quelle: ruser und partner)
Grundriss (Quelle: ruser und partner)
Detailschnitt (Quelle: ruser und partner)
Innenraumgestaltung (Quelle: helleckes landschaftsarchitektur)
Die Architekten wählten Gläser mit hohem Strahlungstransmissionsgrad für die anspruchsvollen Pflanzen. (Bild links: Atelier Altenkirch / ruser und partner. Bild rechts: Schollglas / Ali Moshiri)
LED-Röhren an der Stahlkonstruktion sowie zurückhaltenden Strahlern an der gegenüberliegenden Wand sorgen nun für eine gute Beleuchtung der Schaugewächshäuser. (Bild: Schollglas / Ali Moshiri)
Im gleichen Zuge wurden historische Brunnenfunde und die vorhandene Skulpturenausstattung an der Außenfassade komplett restauriert, die Natursteinwände saniert und die außenliegende Verschattung der Pultdächer aus Holzlamellen erneuert. (Bild links: Atelier Altenkirch / ruser und partner)
Projekt
Sanierung der Schaugewächshäuser im Botanischen Garten
Karlsruhe, DE

 
Bauherr
Land Baden-Württemberg
Vermögen und Bau BW
Amt Karlsruhe
Staatliche Schlösser und Gärten BW
Denkmalkonzept: Prof. Dr. Hartmut Troll
Karlsruhe, DE

 
Architektur, Konstruktion
ruser und partner mbb
Karlsruhe, DE
 

Lanschaftsarchitektur, Innenraumgestaltung
helleckes landschaftsarchitektur
Karlsruhe, DE
 
 
Hersteller
Schollglas Sachsen GmbH
Nossen, DE

 
Zweigniederlassung Glachau,
Glauchau, DE

 
Kompetenz
Glas GEWE-composite für Verbundglas und Ornamentglas

 
GEFOMA
Großbeeren, DE

 
Konstruktion 
GTW Gewächshaustechnik Werder GmbH,
Glindow, DE
 
 
Auszeichnungen
Beispielhaftes Bauen der Architektenkammer Baden-Württemberg 2018

 
Fertigstellung
2018

 
Fotografie 
Schollglas / Ali Moshiri
Atelier Altenkirch / ruser und partner

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