Klarheit und Sichtbarkeit

bof architekten
4. maio 2022
Blick über den Hachmannplatz (Visualisierung: bof architekten)
In Hamburg soll das Hauptbahnhofsgebäude erweitert und dessen Umfeld neu geordnet werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?

Glücklicherweise hat Hamburg einen sehr schönen Bahnhof aus dem Jahre 1906 mit historischer Haupthalle, Querhalle und Seitenteilen. Über die Jahre ist an vielen Stellen saniert, umgebaut oder ergänzt worden. Dies geschah leider nicht immer zum Vorteil des Gebäudes bzw. der Gesamtsituation.

Außerdem befinden sich in unmittelbarer Nähe noch ein Tunnel für S-Bahnen, diverse Tunnel für U-Bahnen sowie unterirdische Bunkeranlagen und auch der vierspurige Wallringtunnel.

Anlass für den Wettbewerb war, zum einen der politische Wille die Mobilitätswende umzusetzen und zum anderen dass der Bahnhof in Bezug auf Passagierzahlen und Zugfrequenz an seine Grenzen stößt und somit dringend eine Erweiterung braucht, um den angestrebten Deutschlandtakt einführen zu können. 

Dafür sollen die Besucherströme entzerrt werden, eine neue U-Bahn-Linie zum Bahnhof führen, ein weiterer Entlastungstunnel für die S-Bahn ergänzt werden und das Umfeld besser an die umliegenden Stadtteile angebunden werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Aufgabenstellung sowohl was die oberirdischen Bereiche, als auch die unterirdischen Bereiche des Hauptbahnhofes anbelangt, ausgesprochen komplex ist.

Lageplan (Zeichnung: bof architekten)
Welche Bedeutung kommt den Freiräumen zu?

Das Umfeld eines Bahnhofes hat wirklich sehr spezielle Anforderungen. Die Räume müssen klar gegliedert sein, einfache Orientierung bieten und sehr robust gegenüber den Nutzern sein.

Deshalb haben die Landschaftsarchitekten hutterreimann grüne Fragmente auf die Plätze des Bahnhofsumfelds gesetzt, die die übergeordneten Landschaftsräume verknüpfen. Dazu gehört eine Teilüberdeckelung des südlichen Gleisfelds, wodurch eine Vorplatzsituation vor dem Museum für Kunst und Gewerbe entsteht. Um Bahnhof und Kunstmeile entstehen vielfältige Bewegungslinien, die die Fragmente zu Kreisen formen und unterschiedliche Nutzungen ermöglichen. Sie sind als großzügige mit klimagerechten, großkronigen Bäumen bestandene Inseln gedacht. Die mit komfortablen Sitzrändern versehenen Grüninseln erzeugen eine parkähnliche Atmosphäre und tragen dazu noch zur Kühlung der Stadt bei. Ein Wasserspiel unterstützt diesen Effekt. Kreise aus fein texturiertem Bodenbelag markieren wichtige Eingänge, wie zu Theater und Museum, runde Dachformen bilden den Wetterschutz über den U-Bahn-Abgängen. Eine einheitliche Formen- und Gestaltungssprache entsteht, die einen Grundstein für flexible Fortführungs- und Erweiterungsmöglichkeiten bietet und somit den besonderen Ansprüchen eines Bahnhofumfelds gerecht wird. 

Der einheitliche, großformatige Granit-Bodenbelag bildet die Basis des Bahnhofsumfeldes und lässt einen multifunktionalen Raum entstehen. Die Kirchenallee und die Kommunaltrasse werden ebenfalls materialeinheitlich, jedoch im befahrbaren Kleinformat hergestellt und werden als Teil des grünen Platzensembles verstanden.

Axonometrie (Zeichnung: bof architekten)
Wie organisieren Sie die Neubauten?

Durch das Aufgreifen der Kubatur der bestehenden Bahnhofshallen wird der Bahnhof in seiner Figur vervollständigt. Höhen und Abmessungen orientieren sich am Bestand und erzeugen so eine selbstverständliche Maßstäblichkeit. Der Bahnhof als Solitär positioniert sich klar und selbstbewußt im städtebaulichen Kontext und bleibt so als besonderer Stadtbaustein klar erkennbar. 

Durch die im Grunde einfache und kompakte Form der Büroriegel sowohl im Süden als auch im Osten des Bahnhofs lassen sich diese nachhaltig errichten und betreiben. Lichthöfe in den Obergeschossen des Neubaus im Süden sorgen für eine optimale Belichtung. Die Nutzung des neuen Terminal Süd sieht im Erdgeschoss die barrierefreie Erschließung der Bahnsteige und der Bahn zugehörige Nutzungen vor. 

Im ersten Obergeschoss finden sich Büroflächen, optional weitere Bahnnutzflächen wie die Lounge. Die weiteren Geschosse können durch die drei Kerne in ca. 400m2 große Einheiten aufgeteilt und unterschiedlichsten Nutzungen wie zB Coworking zugeführt werden. Durch die Geometrie des Terminal Süd wird eine flächenoptimierte Ausnutzung des Baufeldes geschaffen. Die östliche Bebauung verbindet mit einer neugeschaffenen Passage Nord und Südteil des Bahnhofs ohne jedoch zusätzliche Nutzerströme in die Bahnhofshalle zu bringen. Die Passage ergänzt den Bahnhof um einen besonderen Ort.

Wir möchten das Denkmal Hauptbahnhof mit größter Sorgfalt behandeln. Durch das Befreien des Bahnhofs

von sämtlichen Anbauten und dem Freihalten des signifikanten Teils der Südfassade wird der Bahnhof als das besondere Gebäude gezeigt, dass er ist. Trotz des Aufgreifens der Geometrie des Bestands bleibt klar erkennbar, welche Teile historisch und welche neu sind. Durch die Orientierung der Halle im Süden bleibt die städtebaulich wichtige Sichtachse zur Mönckebergstraße erhalten. Sowohl Modul B als auch Modul C sind trotz ähnlicher Formensprache klar durch gläserne Fugen vom denkmalgeschützten Bestand getrennt und in ihrer Materialität eindeutig als neu lesbar.

Schnitt Halle (Zeichnung: bof architekten)
Schnitt (Zeichnung: bof architekten)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Klarheit und Sichtbarkeit sind die entwurfbestimmenden Faktoren. Wir haben versucht den Bahnhof von allem Ballast vornehmlich aus den 80er Jahren zu befreien. Damit bekommt dieses wichtige Gebäude wieder Luft zum Atmen.

Der Entwurf schafft sowohl im Hochbau als auch im Freiraum eine klare und lesbare Antwort auf die gestellten Bedingungen. Der Bahnhof wird als Solitär gestärkt und mit Bedacht und Sorgfalt erweitert. Der Freiraum ist klar als solcher zu lesen und wird nicht durch fremde Kleinbauten verstellt.

Kommunaltrasse (Visualisierung: bof architekten)
Passage (Visualisierung: bof architekten)
Was wird die Qualität vom erweitertem Hauptbahnhof und dessen neu formulierten Umfelds ausmachen?

Durch den Rückbau sämtlicher Anbauten wird der Hauptbahnhof seinem Ursprungszustand so nahe wie möglich gebracht und durch eine klare, schlüssige Ergänzung im Süden (Modul B) komplementiert. Zusätzlich wird im Osten (Modul C) aus der Kubatur des Bahnhofs heraus eine Ergänzung entwickelt, die sich großzügig zum Hachmannplatz öffnet und so Quartier und Bahnhof schlüssig miteinander verbindet. Der Bahnhof als Entree zur Stadt erhält die angemessene Großzügigkeit, Übersichtlichkeit und Sichtbarkeit sowohl im Inneren wie auch im Äußeren.

Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?

Der gewonnene Wettbewerb war ein städtebaulicher Wettbewerb. Wir beginnen gemeinsam mit hutterreimann Landschaftsarchitektur Ende April mit der Rahmenplanung für das gesamte Gebiet. Dies wird Ende 2022 abgeschlossen sein. Außerdem überprüfen wir in einer Machbarkeitsstudie zusammen mit Drewes&Speth, beratende Ingenieure die Möglichkeiten einer Realisierung, bevor dann die eigentliche Planung ausgeschrieben wird.

Natürlich hoffen wir und setzen alles dran, dass wir auch weiterhin an der Planung beteiligt sein können.

Die Baustelle für die Erweiterung des Hamburger Hauptbahnhofes wird nicht vor 2030 beginnen, da vorerst noch zwei Brücken erneuert werden müssen. Im engeren Umfeld wird noch eine neue U-Bahnlinie und ein neuer S-Bahntunnel gebaut. Außerdem sollen noch weitere Gleise im Bahnhof entstehen.

Brücke (Visualisierung: bof architekten)
Erweiterung des Hauptbahnhofs und Entwicklung des Umfelds in Hamburg
Nicht offener Wettbewerb
 
Auslobung: Freie und Hansestadt Hamburg
Betreuung: büro luchterhandt & partner, Luchterhandt Senger Witt Stadtplaner PartGmbB, Hamburg
 
Jury
Prof. Kunibert Wachten, Dortmund, Vors. | Franz-Josef Höing, BSW Hamburg | Michael Mathe, Bezirksamt Hamburg-Mitte | Heike Brandhorst, DB Station & Service AG | Heiner Hühnerbein, DB Station & Service AG | Reiner Nagel, Potsdam | Prof. Elisabeth Merk, München | Prof. Katja-Annika Pahl, Hamburg | Karin Loosen, Hamburg | Günther Vogt, Zürich | Uli Hellweg, Berlin | Peter Wich, München | Dr. Dorothee Stapelfeldt, BSW Hamburg | Dr. Anjes Tjarks, BVM Hamburg | Dr. Anna Joss, BKM Hamburg | Jeanette Winter, DB Station & Service AG | Oliver Hasenkamp, DB Station & Service | Frank Limprecht, DB Netz AG | Dieter Peters, ReGe Hamburg | Projekt-Realisierungsges. mbH, Hamburg | Ole Buschhüter, Bürgerschaft | Gerrit Fuß, Bürgerschaft | Oliver Sträter, Bezirksversammlung HH-Mitte | Dr. Günther Böttcher, Bezirksversammlung
 
1. Preis
bof architekten bücking, ostrop & flemming partnerschaft mbb, Hamburg
Mitarbeit: Bert Bücking, Patrick Ostrop, Ole Flemming, Sebastian Zell, Florian Hoch
hutterreimann Landschaftsarchitektur, Berlin
Mitarbeit: Barbara Hutter, Esther Augustin, Louise Audurier, Jan-Peter Köster
Fachplaner: Drewes + Speth, Hannover | Prof. Helmut Drewes, Prof. Martin Speth
Visualisierung: bof architekten
 
ein 3. Preis
gmp Architekten von Gerkan · Marg und Partner, Hamburg
Mitarbeit: Volkwin Marg, Nikolaus Goetze, Marc Ziemons, Robert Friedrichs, Jessica Last, Alina Grunwald, Alessia Spezzano, Luisa Reiter, Peter Radomski
WES LandschaftsArchitektur, Hamburg
Mitarbeit: Michael Kaschke, Andreas Kachel, Vikram Jeet Singh, Jonathan Hein
Tragwerk: Schlaich Bergermann Partner, Stuttgart | Sven Plieninger, Uwe Burkhardt

ein 3. Preis
MOZIA Monari + Zitelli Architekten, Berlin
Mitarbeit: Victoria Monari, Roberto Zitelli, Miao Zhou, Jannis Petereit, Pierino Ferro
fabulism GbR, Berlin
Mitarbeit: Giulia Pozzi, Mirko Andolina, Sarah Gjergo, Sara Taiana
Verkehr: Systematica, Milan | Gregorio Olivetti
Statik: Knippers Helbig GmbH, Berlin | Jan Mittelstädt
Visualisierung: Grauwald Studio
Modell: González Modellbau

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