Storchenflügel in Mulhouse

Wienstroer Architekten Stadtplaner
16. fevereiro 2022
Abendstimmung (Foto: Thomas Mayer)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Im Rahmen des Masterplans „Mulhouse-Diagonales“ möchte die Stadt Mulhouse den Ill-Kanal und seine Umgebung aufwerten. Die Aufwertung integriert ökologische und landschaftliche Qualitäten sowie eine Verbesserung der Zugänglichkeit der Ufer. Damit verbunden ist eine Requalifikation der anschließenden urbanen Stadtbereiche. Langfristig sollen der Kanal und seine Ufer zu einem großen linearen Park werden, der die Stadt durchzieht und verwebt.

Die Fußgängerbrücke liegt auf den ehemaligen Widerlagern einer alten SACM-Brücke, die dem Transport von Materialien über die Ill diente. Auf beiden Seiten der Ill befand sich dort eine Gießerei. Die Brücke wurde 2001–2002 abgerissen, da die Industrieanlage nicht mehr in Betrieb war.

Treffpunkt am Wasser (Foto: Thomas Mayer)
Bogen über dem Wasser (Foto: Thomas Mayer)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Die besondere Naturlandschaft mit gleichförmigen Baumalleen entlang der beiden Ufer und die wilden Bäume in der Böschung mit ungeordneter grüner Bodenvegetation bilden die besondere Kulisse der Flusslandschaft der Ill in der Stadt. Die Brücke muss das höchste Hochwasser freigeben, welches knapp unter der Höhe der Uferkanten liegt. Damit war klar, dass ein Tragwerk nur oberhalb dieser Hochwasserlinie liegen kann und immer stark präsent bleibt. Eine fast durchsichtige Brücke würde einen Pylonen mit Tragseilen erfordern, was die empfindliche Baumkulisse stört und bei Hochwasser auch durch mitgeführte entwurzelte Bäume gefährdet wird. 

Die Idee entstand aus dem Ansatz völliger Einfachheit und Ausgewogenheit, um keine Störung der Natur zu provozieren und trotzdem klare Eigenständigkeit im Gewirr aus Bäumen, Ästen, Blättern und Buschwerk zu erreichen. Die seitlichen Tragbalken der Trogbrücke wurde entlang der Linie eines Segmentbogens, der sich exakt von Auflager zu Auflager spannt, aufgeschnitten und gefaltet. Das untere Kreissegment wird ausgestellt, die obere Blechfläche legt sich wie eine Haut über die Stahlrippen auf die Form des längs aufgespannten Brückenkörpers. Die geometrische Verformung gibt der Brücke ihre Gestalt und stabilisiert gleichzeitig die labilen, dünnen Tragbleche. Im Sommer wie im Winter prägt bei wechselnder Farbkulisse der Umgebung die erdfarbene Oberfläche die Bindung an den Ort und an das Baumaterial der Brücke.

Brückenlandschaft (Foto: Thomas Mayer)
Struktur innen und außen (Foto: Thomas Mayer)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Die geplante Anlage befindet sich in einem städtischen Gebiet entlang des Ill-Kanals. Letzterer wird von zwei Kais gesäumt: dem Quai des Pêcheurs am alten, stillgelegten Industriegelände im Osten und dem Quai des Cigognes mit Wohnhäusern im Westen.

Der große Gegensatz des stark begrünten und von wechselnden Hochwasserständen geprägten Flusslaufes der Ill zu seinen baulich harten städtischen Uferkanten erfordert eine selbstverständliche und visuell fokussierende Antwort auf die Frage dieser besonderen Verbindung. So ist auch die räumliche und topografische Einbindung der Brücke durch die Integration der bestehenden Widerlager der ehemaligen industriellen Bogenbrücke geprägt. Die vorhandene Topografie wurde mit einer neu eingepassten und barrierefreien Wegführung mit dem Brückenverlauf verbunden. Die Widerlager als zukünftiges Gegenüber des alten und bald entstehenden Quartiers auf beiden Seiten des Flusses wurden mit Sitzbänken und einer gefassten Baumpflanzung zu neuen Nachbarschaftsorten qualifiziert.

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?

Die Stadt Mulhouse als Auftraggeber hatte ein klares technisches und städtebauliches Anforderungsprofil formuliert. Mit den vorhandenen Planungsgrundlagen des Masterplans „Mulhouse-Diagonales“ konnte die Einfügung auch in den Gesamtkontext der Stadtplanung entwickelt und nachgewiesen werden. Die Auftraggeber hatten insbesondere auch die Belange der barrierefreien Einbindung in das vorhandene Wegesystem trotz großer topografischer Schwierigkeiten gefordert. Schließlich konnte die Stadtverwaltung gemeinsam mit uns Planern die Politik mit der vorgelegten Gestaltungsqualität für eine gemeinsame Entscheidung gewinnen.

Quartiersweg (Foto: Thomas Mayer)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Der Auftrag sah vor, mit mindestens zwei Alternativentwürfen eine von allen Beteiligten getragene Entscheidungsgrundlage zu finden. Es wurden zwei gleichwertig ausgearbeitete Vorentwürfe entwickelt mit einer klaren Präferenz für den letztendlich ausgewählten Entwurf. 

Der Entwurf wurde auch mit der Bürgermeisterin der Stadt Mulhouse diskutiert, die ihre Unterstützung für das Projekt bis zur Eröffnung beibehalten hatte. Damit wurde eine stringente Umsetzung des Projektes im Sinne einer kontinuierlichen Verfeinerung ermöglicht, die nun eine große Kohärenz zwischen erster Skizze und tatsächlicher Ausführung zeigt.

Blick Richtung Zukunftsquartier (Foto: Thomas Mayer)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Bei all unseren Bauwerken wissen wir, dass oft nach kurzer Zeit Veränderungen auftreten. Diese sind teils gewollt, teils ungewollt. Aus diesem Grunde muss eine Konstruktion leicht zu pflegen sein. Auch ist der sparsame Einsatz von Material und dessen Wiederverwertbarkeit ein Aspekt, der ebenso bei Brückenbauwerken zu berücksichtigen ist – skulptural geprägte Bauwerke unterliegen nicht ausschließlich gestalterischen Tendenzen.

Materialreduktion (Foto: Thomas Mayer)
Struktur auf der Unterseite (Foto: Thomas Mayer)
Sie haben das Projekt als deutsches Büro in Frankreich gebaut. Was lief da anders als Sie es von Projekten in Deutschland kennen?

Natürlich gibt es in Frankreich technische Regeln, die als Grundlage den Eurocode haben. Die Planungslösungen werden nicht vorgegeben. Der Auftraggeber erwartet dazu eine gestalterisch anspruchsvolle Qualitätslösung, welche die notwendigen technischen Anforderungen erfüllt. Letztendlich eröffnet diese Haltung eine große Bandbreite von neuen technischen Lösungen und innovativen Entwürfen, die nicht einer schon vorgegebenen Formel entsprechen müssen.

In Deutschland haben wir nach wie vor eine starre DIN mit vielen Zusatz- und Nebenanforderungen. Antworten auf aktuelle Fragen sind meist vorgegeben. Die innovative und kreative Lösung eines Problems wird unter verlangter Anwendung von DIN-konformen „Richtzeichnungen“ geradezu ausgeschlossen. Formelhafte Lösungen sind meist die Folge dieses Handelns. Zukunftsweisende Lösungen, die wir heute dringender brauchen denn je, sind unter diesen Umständen nur selten zu entwickeln.

Gespannte Deckbleche (Foto: Thomas Mayer)
Lageplan (Zeichnung: Wienstroer Architekten Stadtplaner)
Schnitt (Zeichnung: Wienstroer Architekten Stadtplaner)
Skizzen: Wienstroer Architekten Stadtplaner
Passarelle de Cigognes
2021
26 Quai des Cigognes
68200 Mulhouse

Nutzung
Fußgänger- und Radbrücke
 
Auftragsart
Öffentliche Auftragsvergabe nach qualifizierendem Bewerbungsverfahren
 
Bauherrschaft
Ville de Mulhouse, Pôle Voirie et Conception Urbaine
 
Architektur und Außenraum
Wienstroer Architekten Stadtplaner, Neuss
Dipl. Ing. Eckehard Wienstroer Architekt und Stadtplaner BDA AIV
Pojektleitung: Günsu Demirtel, M.A. Architektin DE-HMONP
 
Tragwerkplanung: Emch + Berger Ingénieurs et Concepteurs, Strasbourg, Hoenheim | Geschäfstführender Gesellschafter Rémy Jacky, Projektleitung Virginie Genoyer
 
Ausschreibung und Bauleitung: EMCH + BERGER Ingénieurs et Concepteurs, Strasbourg, Hoenheim | Geschäfstführender Gesellschafter Rémy Jacky, Projektleitung Virginie Genoyer

Ausführende Firmen
Eiffage Génie Civil Parc St-Jacques II, Maxeville

Länge der Brücke
44 m
 
Breite der Brücke
4,50 m
 
Bauhöhe
1,60 m
 
Kosten
1.150.000 €
 
Fotos
Thomas Mayer

Artigos relacionados

Projeto destacado

Sieveke Weber Architekten BDA

Scheune für Lucia und Samuel

Outros artigos nesta categoria