2020
  • BETON & STAHL | The Art Of Construction
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    Andreas Langen schreibt über BETON & STAHL:
    Baustellen haben ein mieses Image. Sie machen Lärm, Staub und Dreck, kosten Nerven, verschlingen Geld, und auf Plakaten entlang ihrer Abzäunung wird oft genug prophylaktisch dafür um Entschuldigung gebeten, daß sie überhaupt existieren.

    Der Stuttgarter Fotograf Niels Schubert sieht das anders. Er findet Baustellen hinreißend. Für ihn sind sie nicht das notwendige Übel, das man hinnehmen muss, um hinterher ein strahlend neues Gebäude vor blau-weiß getupftem Himmel abbilden zu können. Genau genommen, braucht er nicht mal ein Gebäude. Für Niels Schubert sind Tunnelportale, Bewehrungsgeflechte, Abdeckplanen und Pfützen auf Ortbeton Anlass genug, die Kamera auszurichten. „Bildwürdig“ nennt die Kunstwissenschaft, was Künstler als wert erachten, durch ihre Kompositionen in den Rang des Außerordentlichen erhoben zu werden. Schuberts dokumentarischer Stil tut sich schwer mit solcher Nobilitierung. Er zeigt, wie es aussieht, wo geflext wird, gegossen, moniert und geschleppt. Und wahrscheinlich auch geflucht. Denn bei einem Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagt, gelingen ihm die besten Bilder:
    Wasser steht auf der Bodenplatte, als dem Regen zum Trotz ein Mann in signalgrellem Ostfriesennerz das Bild betritt. Auf dem Weg zum Goldenen Schnitt vollführt er eine schwungvolle Drehung, als trüge er nicht einen Vier-Meter-Balken auf der Schulter, sondern eine Ballerina über die Bühne. Solche Szenen illustrieren am besten, warum für Niels Schubert die Archtekturfotografie nicht dort beginnt, wo es die Konvention vorsieht – nämlich nach Abschluss der Begrünung im Außenbereich eines Neubaus – sondern Monate oder gar Jahre früher.

    Schubert feiert das Vorläufige, gießt nebensächliche Momente in gültige Kompositionen, hält die unerhörte und kaum je gesehene Eleganz von Tragwerken fest, die nur temporäre Zwischenschritte sind auf dem Weg zum fertigen Bauwerk. Hoch- und Tiefbau, the making of, könnte man diese Bildserie nennen. Ob Hochregallager oder edle High-Tech-Architektur, das lässt Schubert außer Acht. Er kriecht noch feuchten Rohbauten in die kellertiefen Eingeweide, und die gestapelten Container einer Großbaustellen-Leitung nimmt er so wichtig wie die gleißende Eleganz einer finalen Fassade.

    Dazu passt, dass immer wieder die Leute zu sehen sind, die den Laden am Laufen halten. Nicht Bauherren, Architekten und Investoren beleben hier die Szenerie, sondern Männer, die bis zum Knöchel im zähen Fließbeton stehen. „Am Ende sind es immer die Jungs in der Grube oder auf dem Gerüst, die das Ganze errichten“, sagt Schubert mit unverhohlenem Respekt.

    Womöglich hatte er die spöttische Frage im Ohr, die Berthold Brecht einst einem imaginären lesenden Arbeiter in den Mund legte: „Wohin gingen an dem Abend, als die chinesische Mauer fertig war / Die Maurer?“ 
    Niels Schuberts Bilder lassen vermuten: Wahrscheinlich auf Montage, und spätestens am nächsten Morgen weiter zur Schicht.

    ANDREAS LANGEN

    Der Autor ist freiberuflich tätig als Fotograf und Journalist. Schwerpunkt der Arbeit als Rezensent und Journalist ist Fotografie (u.a. bei SWR2 Kulturradio, Photonews,
    Deutscher Fotobuch-Preis (2006-16). Seit den späten 1990er Jahren kontinuierliche Lehre an diversen, hauptsächlich deutschen, Hochschulen und nicht-akademischen Institutionen.

    Eine Verneigung in 77 Bildtafeln
    Format 300x240mm
    Preis € 30
    Ausschnitte siehe pdf

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  •  Auteur: Niels Schubert + Andreas Langen (Vorwort)
  •  Uitgever: Niels Schubert Fotograf | BFF

2017
  • GENOVA – CONCRETE & COLOR
  • Artist Statement
    GENOVA – CONCRETE & COLOR

    Entstanden ist das Projekt, als ich 2013 von Sardinien kommend mit der Fähre nach Genua reiste und die Stadt am frühen morgen vom Meer aus betrachten konnte. Im ersten Moment interessierte mich die architektonische Situation von Genua; ihre bühnenartige Lage, die rhythmische Anordnung der Häuser entlang des schmalen Küstenstreifens. Die Dichte und Enge, die Farbpalette der Palazzi, das Durcheinander und die gleichzeitige Ordnung haben mich fasziniert.
    Deshalb beschloß ich, mich dort genauer umzusehen.

    Am Ende landete ich ganz woanders.

    Ich nahm ein Zimmer in einem Hotel an der Küste im Osten der Stadt (Albaro).
    Als ich auf die Promenade entlang des Corso Italia hinaustrat, war das erste, was ich sah, eine Plattform aus Beton, die sich ca. 100 Meter ins Meer hinaus erstreckt. Ein Drittel dieser Plattform war bedeckt mit noch verschlossenen Sonnenschirmen. Dazwischen hatten sich schon einige ältere Damen auf ihren Liegestühlen oder direkt auf dem Boden niedergelassen, um die frühe, noch tiefstehende und lange Schatten werfende Sonne in noch herrschender Ruhe zu genießen.
    Für mich war dieses Szenario ein visueller Volltreffer, eine einzigartige, fast surreale Situation, der Auslöser für meine Neugier und den Hunger nach mehr.

    Gleich in der darauffolgenden Woche reiste ich von Stuttgart erneut nach Genua und stürzte mich hinein in den Mikrokosmos der öffentlichen Badeplätze entlang der Küstenstrasse, die Genua mit seinen Vorstädten im Osten verbindet. Jeweils weitere 2 Reisen in die ligurische Haupstadt folgten in den Jahren 2014, 2015 und 2016.

    Von Besuchern meiner Ausstellung im Oktober und November 2016 und von Kennern meiner Arbeit wurde und werde ich oft gefragt, ob ich im Vorfeld Kontakt aufnähme, zu den fotografierten Personen. Ich muss dies verneinen. Würde ich es tun, käme ich zu einem verfälschten Ergebnis. Ich muss mich weitgehend im Hintergrund halten, damit die Menschen sich natürlich und authenisch verhalten.
    Ich bin ein fotografischer Reporter und Erzähler, vielleicht auch Beutejäger. Meine Arbeit besteht aus Beobachtung, Antizipation und Vollzug. Dabei geht es mir aber niemals darum, Personen zu verraten, visuell zu entwerten oder ihrer Privatsphäre zu berauben – schließlich begeben sie sich freiwillig in die Öffentlichkeit und machen sich somit für jedermann sichtbar – sondern darum, sie mit allem Respekt und Empathie mal mehr, mal weniger, herauszulösen aus ihrem erweiterten Umfeld und sie damit zu Akteuren einer Momentaufnahme, einer Kurzgeschichte zu machen.
    Daraus ergeben sich häufig streng komponierte, grafisch-plakative Motive mit einer nahezu hyperrealistischen Anmutung und hoher Schärfe, sowohl im Detail, als auch in der Tiefe.
    Besonders deutlich kommt diese Wirkung im Kapitel “Stabilimento Balneare” zum Ausdruck. Es sind dies die Motive rund um das Gelände der “Associazione Motonautica Ligure”.

    Mehr als die klassischen Übersichten und Ansichten von Strand- und Badesituationen wie wir sie z.B. von Massimo Vitali kennen, interessiert mich das Klein-Klein, die Details und die Anordnung, das Miteinander und Gegenüber der Menschen im Mikrokosmos der öffentlichen, frei zugänglichen Badeplätze, die Organistaion des Raumes ohne Absprache, und die daraus resultierenden Muster und Formen. Sie sind die Basis für meine Bildkompositionen.

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  •  Auteur: Niels Schubert