Schein und Sein

Falk Jaeger
2. november 2011
Bild: Dominik Reipka 

Ort und Raum sind nicht genug, auch nicht deren Gestalt. Viele Architekten suchen in philosophischen oder künstlerischen Gefilden Ideen, Einflüsse einerseits und Themen und Ausdrucksmöglichkeiten andererseits. Blauraum, das Hamburger Team um Volker Halbach, Rüdiger Ebel und Carsten Venus, dessen Schreibweise sich der Computertastatur widersetzt, weil das "m" einen Bogen zu viel aufweist, spürt diesem Mehrwert nach, der Architektur zur Baukunst macht, der doch so flüchtig und schwer vermittelbar sein kann. "Wirklich wahr", beteuern sie dann, und sie schreiben es natürlich wieder anders: "wirklichwahr". So lautet der Titel einer Ausstellung in der Berliner Architekturgalerie Aedes.
Damit ventilieren sie ein Thema, das in der Architektur angelegt ist, seit man Bauwerke aufzeichnet: Es gibt eine ungebaute, und es gibt eine gebaute Architektur. "wirklichwahr" reflektiert aber auch die Tatsache, dass es inzwischen Architektur gibt, die mittels einschlägiger Software so realistisch dargestellt wird, als sei sie real existent.
Bei Aedes stutzt man zunächst über einen mit Dekorfolie verkleideten Tisch, der aus Mauerwerk zu sein scheint. Bis man gewahr wird, dass ganze Flächen des Ausstellungsraums, der Boden, die Galerie, dieses Mauerwerk nur zeigen, aus dem die anderen Wände ohnehin bestehen. Man hat es abfotografiert und zur Fototapete gemacht.
An den Wänden hängen großformatige, dunkel-geheimnisvolle Fotos, "Nachtstücke" des Fotodesigners Giovanni Castell, auf denen Blauraum-Projekte zu sehen sind. Doch sind sie "wirklichwahr"? Die Bilder lassen dem Beschauer keine Chance, das Rätsel zu lösen.
In der Raummitte sind iPads installiert, auf denen der Besucher die Projekte dann doch genauer inspizieren kann, mit Fotos, Grundrissen, Erläuterungen. Wohnen+, die Umnutzung eines Bürobaus zu einem Wohnblock, kannte man schon, mit dem ist Blauraum 2003 bekannt geworden. Das Dach über den Dächern von Medina? Projekt geblieben. Das Laserzentrum Nord in Hamburg? Gebaut. Das Wohnprojekt Hansaterrassen? Wird wohl 2013 bezogen.
Ist auf den Fotos das Gebaute derealisiert oder das Ungebaute hyperrealistisch dargestellt? Ein kurzweiliges Spielchen, doch letztlich von wenig Relevanz für Bewohner, Nutzer und Allgemeinheit. Falk Jaeger

Bis 4. Dezember. Aedes am Pfefferberg, Berlin, Christinenstraße 18-19, Katalog 10 Euro. www.aedes-arc.de

Bild: Christian Schaulin 

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