Mikroskopische Bilder

Ulf Meyer
17. mei 2023
Der Turm der Landebahn-Befeuerung gliedert den Bau (Foto: Tjark Spille)

Als auf dem Flughafen Tempelhof noch Jets landeten, flogen sie bei Westwind die letzten Meter vor dem Aufsetzen auf einer der beiden Landebahnen mitten über die Neuköllner Hermannstraße. Lärm, Staub und die ständige Gefahr führten dazu, dass unter der Einflugschneise Parks und Friedhöfe angelegt wurden. Die Anflugroute wurde mit Lichtmasten markiert, die bis heute (be-)stehen und nun einem Neubau Gesicht geben, den AFF Architekten (Berlin/Lausanne) für einen ungewöhnlichen Bauherren gebaut haben. Die »Spore Initiative« setzt sich für biokulturelle Vielfalt ein, besonders »Gemeinschaften, deren Leben in einen respektvollen Umgang mit der Natur eingebettet ist«, so die Eigenaussage.

Lageplan

In Berlin organisiert die Spore-Stiftung Programme »zu naturbezogenen Lebensweisen«. Der Name der Organisation stammt von dem Begriff »sporá« (griechisch »Samen«). Auf dem selben Grundstück bauen die selben Architekten derzeit das »Haus gemeinnütziger Journalismus«, das aber erst Anfang 2024 eingeweiht werden wird. Die beiden Bauten vermitteln zwischen der Berliner Blockrandbebauung entlang der Straße und den rückwärtigen Grünanlagen und wirken im Umfeld des arabisch geprägten »Little Bagdad« von Berlin wie fehl am Platz. 

Das rot-braune Gebäude ist auch in der Höhe gestaffelt. Zwischen den Flügeln liegt ein Vorplatz mit gemeinsamer Adresse. Ein bestehendes Friedhofsportal wurde als Pass-Stück zwischen den beiden Gebäuden integriert. Die verspringenden Fassaden markieren mehrere Zugänge und haben mehrere horizontale Schichten. 

Im Grundriss wechseln sich offene Räume und schwere, graue Beton-Kerne ab. Der größte konisch geformte Sichtbetonkern dient als »Kabinett« für kleine Ausstellungen, daneben liegen Café-Tresen und Garderobe. Auffällig sind die Sichtbetonrippendecken, deren Geometrie dem Kräfteverlauf folgt. 
Die öffentlichen Nutzungen liegen im Erdgeschoss, der  Ausstellungsraum im 1. Obergeschoss mit  zwei, »white cube«-artigen Sälen, während Büros, Bibliothek und zwei Künstler-Wohnungen mit Gemeinschaftsküche und Atelierwerkstatt im 2. und 3. Obergeschoss liegen.

Blick in eine der beiden Künstler-Wohnungen (Foto: Tjark Spille)
Eine breite Beton-Treppe bekommt durch ein Oculus Tageslicht und verbindet die drei Ebenen. (Foto: Hans-Christian Schink)

Die »Structural-glazing«-Fassade im Erdgeschoss trifft an den Ecken und am oberen Abschluss auf fugenlosen Sichtbeton. Die Schalung aus Rauhspund-Brettern verleiht den Oberflächen aus Beton changierende Texturen. Wie ein Band liegt darüber eine Fassade aus wiederverwendeten Backsteinziegeln, das an mehreren Stellen von raumhohen Fenstern unterbrochen wird. Die gesprenkelten alten Klinker strukturieren die Flächen. Die Verjüngung der oberen Etagen bildet eine »Krone« (AFF Architekten), die aus flachen Neubrandziegeln besteht.

Längsschnitt
Grundriss Erdgeschoss mit Deckenspiegel
Der zentrale Kern ist konisch geformt (Foto: Hans-Christian Schink)
Die Decken-Untersichten sollen an Sporen unter dem Mikroskop erinnern (Foto: Tjark Spille)

Die netzartigen Deckenuntersichten wurden zusammen mit den Tragwerksingenieuren vom Büro Schnetzer Puskas Ingenieure aus Basel entwickelt. Sie sollen dem mikroskopischen Bild von Sporen ähneln. Die wabenartige Struktur soll »Raumzusammenhänge erzeugen« und eine »Synthese zwischen statisch-konstruktiven und gestaltprägenden Elementen« darstellen. Die Tragwerksplaner haben in 3D-Modellen die Deckenbelastungskurven in eine Betonrippenstruktur übersetzt. Die materialoptimierten Decken ermöglichen Spannweiten von bis zu 12 m Länge. Der verminderte Betonverbrauch der Flachdecken und 15 cm breiten und 38 cm hohen Rippen wurde durch dicke Bewehrung ermöglicht. Die Nadelholzkanteln, mit der die Deckenfelder geschalt wurden, konnten nach der Aushärtung der Decken herausgelöst und als amöbenförmiges Dach auf der Dachterrasse wiederverwendet werden. Im Saal wurden gebrauchte Sitzschalen auf die Betonstufen montiert. Auch in den WCs finden sich wiederverwendete Waschtische. Die Architekten möchten mit der Materialersparnis und den wiederverwendeten Bauteilen einen architektonischen Ausdruck für die Ziele der Arbeit des Bauherren finden.

In die Streifen der Deckenfelder sind Leuchten und Holzbetonabsorber zur Verbesserung der Akustik integriert. Die kühlen Sichtbetonkerne haben stellenweise »warme« hölzerne Einbauten bekommen. (Foto: Hans-Christian Schink)
Im Auditorium wurden Schulmöbel wiederverwendet (Foto: Hans-Christian Schink)

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