Reflexionsräume

Cyrill Schmidiger
22. oktober 2019
The Center of Cosmic Energy, 1999 Aquarell, Tusche, 27.5 × 41 cm, © Ilya and Emilia Kabakov 

Seit Ende der 1980er-Jahren gestalten Ilya (*1933) und Emilia (*1945) Kabakov fantastische Räume, die sie „totale“ Installationen nennen. Dabei tauchen die Besucher*innen in Geschichten ein, die oftmals vom Leben in der UdSSR erzählen, aber ebenso utopische Traumwelten aufspannen. Diese Werke erarbeitet das russische Duo gemeinsam und Ilya zeichnet die Ideen manchmal auf Papier auf. Nicht selten nutzen sie alltägliche Dinge, die ganz persönliche Assoziationen wecken.

Palace of Projects, 2003 Buntstift, Aquarell, blaue Tinte, Kohle, 89 × 117 cm, © Ilya and Emilia Kabakov

Eine Auswahl von Bildern wird nun in Berlin präsentiert, so etwa Skizzen und Studien zu „The Toilet“: 1992 auf der documenta IX in Kassel errichtet, ist sie seit 1999 als permanente Installation im Stedelijk Museum voor Actuele Kunst in Gent zu sehen. Dabei handelt es sich um eine nahezu exakte Kopie jener WCs, die in den 1960er- und 70er-Jahren in sowjetischen Provinzen neben Bushaltestellen und Zugstationen entstanden waren. Doch das Ehepaar Kabakov verbindet in ihrem Werk die Klosetts mit einer gewöhnlichen russischen 2-Zimmerwohnung: In der Männertoilette befindet sich auch der Wohnbereich, bei den Frauen hingegen der Schlafraum. Das künstlich arrangierte Setting gaukelt ein normales Leben vor, spielt sich aber in einem ziemlich absurden Umfeld ab. Eine öffentliche Anlage wird hier quasi privatisiert – und das Persönliche zur staatlichen Angelegenheit erhoben. Eine (nicht wirklich) feine Kritik am kommunistischen Regime! Oder um es mit etwas weniger Ironie zu formulieren: Das ist grandiose Sozialsatire.

The Toilet, 1992 Aquarell, Tusche, 26.8 × 35.2 cm, © Ilya and Emilia Kabakov
The Toilet, 1992 Tusche, 28 × 19 cm, © Ilya and Emilia Kabakov

Spannend ist auch die 2003 geschaffene Papierarchitektur zum „Palace of Projects“, der heute in der Zeche Zollverein in Essen aufgebaut ist. Die zweigeschossige, an eine Schnecke erinnernde Holzkonstruktion versammelt rund 61 fiktive Ideen, die den Menschen ein sinnstiftendes Leben ermöglichen und die Welt in einen besseren Ort verwandeln sollen. Damit sind die ausgestellten Konzepte ein Plädoyer für mehr Individualismus, Selbstbestimmung und Freiheit. Unterstrichen wird das aufklärerische Programm durch leuchtende Wände: Transluzide Folien verwandeln das Volumen zu einem hoffnungsvollen Ort, ja zu einem vielversprechend strahlenden Kosmos.

Die teils farbigen Zeichnungen zeigen architektonische Entwürfe mit utopischem Charakter. So offenbaren die Werke subtile Kritik an gesellschaftspolitischen Bedingungen, wie sie Ilya und Emilia Kabakov immer wieder artikulier(t)en und die das Duo in der sowjetischen Kunst zu Dissidenten machte. Eine alternative Zukunft anvisieren: Dazu tragen gerade auch Architektur und Installationen bei.

Zur Ausstellung

„In the Making: Ilya & Emilia Kabakov. Von Zeichnung zu Installation“ 
17.10.2019 – 23.2.2020 
Tchoban Foundation – Museum für Architekturzeichnung, Berlin 
 

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