Zechenpark Kamp-Lintfort

bbzl böhm benfer zahiri
15. december 2021
Blick auf das Fördergerüst Schacht 2 (Foto: Studio Hanns Joosten)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Die Fläche der ehemaligen Zeche „Friedrich Heinrich“ war über 100 Jahre der Bergbaunutzung vorbehalten und damit unzugänglich. An diesem Ort einen 19ha großen Park als neue grüne Stadtmitte zu entwerfen, ist keine alltägliche Aufgabe. Hinzu kam ein sehr ehrgeiziger Zeitplan: Fast zeitgleich zum Planungsbeginn wurden die Bauten abgebrochen, d.h. der gerade entstandene Bauschutt wurde von der westlichen Seite des Areals auf der östlichen Seite sofort wieder aufgeschüttet und abgedichtet. Als erstes fertig und begrünt bilden zwei Erhebungen das Zentrum des neuen Zechenparks. Die Bewohner*innen Kamp-Lintforts nennen sie „großer Fritz“ und „kleiner Fritz“. In Lage und Dimension zeichnen die 9m bzw. 12m hohen Hügel in weichen Linien den Verlauf des Flusses „Große Goorley“ nach und greifen so das landschaftliche Thema vor Ort auf. Bei den starken Schneefällen im letzten Winter entdeckten die Kamp-Lintforter die beiden „Fritze“ als innerstädtische Rodelbahn.

Belagsflächen auf dem Quartiersplatz. Wechsel aus offenen und geschlossenen Flächen (Foto: Studio Hanns Joosten)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Im Zuge des Verstädterungsprozesses von Kamp-Lintfort blieb der Flußlauf Große Goorley als grünes Rückgrat erhalten. Die neu entstehenden Siedlungsteile wendeten sich aber von dem Flusslauf ab und entwickeln jeweils eigene Zentren. Der Fluss wirkte daher eher trennend. Dazu versucht unser Entwurf die Große Goorley als grünes Rückgrat wieder stärker mit den angrenzenden Stadtquartieren zu verbinden. Die städtebauliche Struktur Kamp-Lintforts ist überwiegend geprägt durch den geschwungenen Verlauf und die Topografie des Flusses. Dagegen sind das Kloster Kamp und die Zeche Friedrich Heinrich jeweils orthogonal organisiert. 

Auf der westlichen Seite des Zechenareals betonen Promenade, Plätze und Querungen entlang der Parkkante das orthogonale Stadtgefüge des künftigen Quartiers Friedrich Heinrich. Die Promenade ist leicht erhaben, durch rechtwinklige Plätze und Verschwenke gegliedert und inszeniert den Übergang zwischen Zechenpark und neuem Quartier. Dagegen heben sich die weichen landschaftlichen Linien im Park ab, die den langgestreckten Flußmäander nachzeichnen. Den Flussbögen folgen die Modellierung der beiden Hügel, der Gehölz- und Wiesensaum entlang der Großen Goorley sowie die Wegeführung im Park.

Unterschiedliche Wasserflächen bieten Anreize zum Spielen (Foto: Studio Hanns Joosten)
Quell-, Spritz- und Nebeldüsen erzeugen unterschiedliche Wasserbilder (Foto: bbzl)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?

Ich glaube, dass hierzu die Genese des Projekts mit berücksichtigt werden muß. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen verfügt über eine ausgeprägte Wettbewerbskultur, von der auch kleinere Städte und Kommunen profitieren. Hinzu kommt die qualitätvolle Auslobung des Büros Plan B, die wichtige Spielräume für den Entwurf sicherte. Zudem hat die Stadt Kamp-Lintfort uns bei der Umsetzung des Wettbewerbsbeitrags sehr unterstützt. Diese Begleitung war u.a. sehr hilfreich in Fragen der Finanzierung oder auch in der Zusammenarbeit mit dem Stadtrat. Sie war unerlässlich bei der Hierarchisierung von Entscheidungen der am Bau Beteiligten. Mit uns waren eine Vielzahl anderer Planer tätig, deren Einflussnahme auf den Entwurf einzugrenzen war: beim Hochbau (u.a. Sanierung der Zechentürme), vor allem aber beim Tiefbau (Ver- und Entsorgungsinfrastruktur) sowie bei Abbruch und Herrichten durch die Ruhrkohle AG und der Umsetzung des Abschlussbetriebsplans Bergbau.

Einen wichtigen Wunsch des Auftraggebers haben wir gern berücksichtigt – den Entwurf und Bau eines Wasserspiels auf dem Quartiersplatz, der als Anziehungspunkt für Kinder und Familien dient und für Abkühlung im Sommer sorgt. Das Wasserspiel ist wie eine Intarsie in den Platzbelag eingefügt. Es greift die für den Ort charakteristische Schichtung von Böden, Gesteinen und Flözen auf: Es setzt sich zusammen aus ebenerdigen Stegen und tiefer liegenden Kaskaden. Die Kaskaden ermöglichen einen lebhaften Wasserfluss. Gleichzeitig hat das langsamer abfließende Wasser mehr Präsenz, schafft eine stärkere Abkühlung im Sommer und bietet eine höhere Erlebnisqualität. Durch das Relief bleibt die gesamte Fläche des Brunnens betretbar und ist auch im Winter ein besonderes Element.

Offene und geschlossene Flächen auf dem Quartiersplatz. Belagsbänder rahmen die offenen Flächen (Foto: bbzl)
Übergang von der Promenade zum Zechenpark. Ein Sitzelement begleitet die Querung (Foto: Studio Hanns Joosten)
Beeinflussten aktuelle klimatische (energetische, konstruktive oder gestalterische) Tendenzen das Projekt?

Die rund 20 ha des Zechenareals wurden klimawirksam für Park und Quartiersplatz entsiegelt. Auf den Flächen entlang der Goorley sind artenreiche Wiesenpflanzungen entstanden. Im gesamten Projekt wurden rund 830 Bäume gepflanzt. 

Ein möglichst klimawirksamer Ansatz wurden auch im Umgang mit den versiegelten Flächen gewählt: Zuschnitt und Ausdehnung des Quartiersplatzes (1,8ha) und die Breite der Promenade waren vorgegeben durch die Rahmenplanung zum Quartier Friedrich Heinrich. Diese städtebauliche Vorgabe haben wir zur Vermeidung von Heat-Islands-Effekten beim Quartiersplatz in Frage gestellt. Dazu wurde der Anteil der mit Steinplatten versiegelten Platzfläche gegenüber den Vorgaben um etwa 50% reduziert. Stattdessen entstanden eine große Schotterrasenfläche, eine unregelmäßig perforierte Platzfläche sowie zusätzlich breite Schotterfugen. Diese Flächen begrünen sich selbst im Laufe der Zeit und sie dienen der Regenwasserversickerung. Gleichzeitig entsteht eine sehr viel abwechslungsreichere Platzfläche.
 

Die schwierigen Standortverhältnisse berücksichtigend, haben wir gemeinsam mit dem Auftraggeber für den Platz eine Mischung von Bäumen ausgewählt: Quercus cerris (Zerreiche), Ostrya carpinifolia (Hopfenbuche), Metasequoia glyptostroboides (Umweltmammutbaum), Paulownia tomentosa (Blauglockenbaum). Sie bilden zusammen einen Hain aus 115 Bäumen, der auf der Platzfläche unterschiedliche Atmosphären erzeugt und Schatten spendet. Dabei ist der Auftraggeber unserem Vorschlag gefolgt, Großbäume zu pflanzen. Auf der Fläche sorgt das Wasserspiel mit Nebelwolken zusätzlich für Kühlung und Erfrischung. 

Wiesen und Stauden mit Blick auf den Hügel Großer Fritz (Foto: Miranda Vrolijk)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Besonders wichtig war uns die Auswahl der Materialien beim Quartiersplatz: Die Fläche ist 1,8ha groß und bildet den Startpunkt der baulichen Entwicklung des Zechenquartiers, d.h. die erste Adresse vor Ort. Entsprechend prägend für den Ort ist seine Materialität: Oberflächen und Farben, Gliederung und Fügung sowie die Bepflanzung. Zur Sicherstellung der Belagsqualität haben wir mehrere Betonplattenhersteller in Nordrhein Westfalen besucht und jeweils eigene Steinmuster fertigen lassen, die die Farben vor Ort aufgreifen und variieren. Später wurden vor Ort von drei Firmen Musterflächen gelegt. Gemeinsam mit dem Auftraggeber fiel die Entscheidung auf anthrazitfarbene Platten von Klostermann, bei denen sowohl interessante Formate möglich waren, wie auch eine besonders schöne, geschliffene und mit grünen Mineralien versehene Oberfläche. Der mit Grünglimmer gestrichene Förderturm auf dem Quartiersplatz findet sich damit im Plattenbelag wieder.

Speziell gestaltete Betonfertigteile von der Firma Stangl sind das wesentliche Element des Wasserspiels auf dem Platz. Das flächige Wasserspiel nutzt das vorhandene Gefälle des Platzes von 2,5% in Richtung Westen. Das Relief entsteht aus Betonfertigteilen auf zwei verschiedenen Höhen: trockene Stege und Trittsteine auf Platzniveau und wasserführende, leicht vertiefte Kaskaden (ca. 4,5 cm darunter Platzniveau). Die Dimensionierung der Fertigteile, ihre Reliefierung sowie die Integration der Aussparungen für die Wasserdüsen wurden mit dem Hersteller zusammen entwickelt und vor Ort zur Brunnenanlage zusammengefügt. Im Klostergarten und im Übergang zwischen Promenade und Zechenpark wurden ebenfalls langgestreckte Betonrahmen der Firma Stangl eingesetzt. Sie dienen als Orientierungs- und Sitzelement.

Gesamtplan, Konzept Landesgartenschau (Zeichnung: bbzl)
Konzeptpiktogramme Landschaftsraum Große Goorley und Ordnungssystem Zechenareal, Kloster Kamp (Zeichnungen: bbzl)
Konzeptpiktogramme Wegetypen und Parkräume (Zeichnungen: bbzl)
Zechenpark Landesgartenschau Kamp-Lintfort
2020
Stadt Kamp-Lintfort

Auftragsart
Freianlagen nach HOAI Leistungsphasen 2-8, Beauftragung nach Wettbewerbsgewinn
 
Bauherrschaft
öffentlicher Auftraggeber, Stadt Kamp-Lintfort

Landschaftsarchitektur
bbzl - böhm benfer zahiri landschaften städtebau, Berlin
Prof. Ulrike Böhm, Prof. Dr. Cyrus Zahiri, Prof. Katja Benfer
Projektleitung: Anna Vogels, Kerstin Paul
Mitarbeit:Tim Wildner, Piroska Szabó, Thomas Reimann, Milan von Moeller, Camille Régimbart, Rita Leal
 
Fachplanung Freiraum
Bauüberwachung für bbzl: RMPSL Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten, Bonn
Ausschreibung: Stoellger Liehr Partnerschaft Berlin; RMPSL Bonn
Wassertechnik: ifw-Ingenieurbüro für Wassertechnik, Berlin
Lichtplaner: licht raum stadt planung gmbh, Wuppertal
Planung Staudenpflanzungen: Orel + Heidrich Landschaftsarchitekten, Herzogenaurach
Ingenieurbüro: Rüdiger Jockwer GmbH, Berlin
 
Ausführende Firmen
Landschafts- und Tiefbau:
THK Frei- und Verkehrsanlagen GmbH, Münster
Frauenrath Landschaftsbau GmbH & Co. KG, Heinsberg
Knappmann GmbH & Co, Essen
Vornholt GmbH, Borken
Dieter Berg GmbH, Mülheim an der Ruhr
Aenstoots Garten und Landschaftsbau GmbH, Bottrop
Wasserspiel: 
Aqua Consult
 
Hersteller
Betonplattenbelag: Klostermann GmbH & Co. KG, Coesfeld
Betonfertigteile: Stangl AG, Lippetal-Oestinghausen
Granitbrücken: Kusser Granitwerke GmbH, Aicha vorm Wald
Baumschulen: Ebben, Cuijk NL; Lappen, Nettetal; Wilhelm Ley, Meckenheim; Lorenz von Ehren, Hamburg
Spielgeräte: Proludic GmbH, Witten
Stadtmöbel: BURRI public elements Deutschland GmbH, Mönchengladbach; miramondo public design GmbH, Sooss Österreich; MMcite, Wien Österreich, Vertrieb E. Ziegler Metallbearbeitung GmbH Berlin
 
Fläche
19,8 ha Zechenpark, Promenade und Quartiersplatz
 
Gesamtkosten
14.700.000 € Baukosten gesamt (ca. netto)
 
Fotos
Studio Hanns Joosten
bbzl
Miranda Vrolijk

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