Gemeindezentrum im historischen Ortskern

Nehse & Gerstein Architekten BDA
17. augustus 2022
Das Gemeindezentrum St. Marien fügt sich in den historischen Ortskern von Grasdorf ein und ergänzt das Pfarrhaus zu einem Ensemble. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Besonders sind Nutzung und Verortung. Das neue Gemeindezentrum ersetzt das altbekannte und bietet Potenzial für aktuelle und zukünftige Anforderungen der Gemeinschaft. Das Gebäude soll ein Treffpunkt für alle sein, offen und einladend und unterschiedliche Nutzungen ermöglichen.

Die Lage des Baugrundstücks ist die zweite Besonderheit: Im historischen Ortskern von Grasdorf gelegen, definiert eine Gestaltungssatzung mögliche Dachneigungen, Materialien und Farben. Zudem befindet sich das Gebäude auf einem Grundstück mit altem Baumbestand und schließt direkt an den Pfarrgarten mit dem historischen Pfarrhaus an.

Durch ein hohes Giebelfenster zeichnet sich der Saal nach außen hin ab. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Der Eingang bildet eine witterungsgeschützte Nische aus. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Straßenseitig werden Ein- und Ausblicke über ein erhöhtes Fensterband zum bestehenden Pfarrgarten mit altem Baumbestand ermöglicht. Tiefe Mauerwerkspfeiler steuern dabei den Grad an Einsehbarkeit. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?

Unser Leitbild für den Entwurf war der klassische Scheunentypus. Der Kern von Grasdorf wird von Höfen, Stallungen und weiteren freistehenden, überwiegend historischen, Ziegelgebäuden geprägt. Die Scheunen sind – wie in  Norddeutschland typisch – aus Ziegeln gemauert und verfügen über Sattel- beziehungsweise Krüppelwalmdächer mit unterschiedlichen Traufhöhen.

Wir haben uns von diesen Gebäuden inspirieren lassen und versucht, das Altbekannte in eine neue und zeitgemäße, den Anforderungen an die Nutzung angemessene, Architektur zu transformieren. Dies gilt sowohl für die Gesamtgeometrie als auch für die Materialwahl und Detailausbildung.

Der bestehende Pfarrgarten wird um ein Taufrund ergänzt. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Der nördliche Dachabschluss wird, der ortstypischen Dachform folgend, als Walm ausgebildet. Zur benachbarten Wohnbebauung wird die Traufhöhe niedrig gehalten. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Wie reagiert der Entwurf auf den Ort?

Der Neubau reagiert auf den örtlichen Kontext und berücksichtigt die Vorgaben der Gestaltungssatzung. Das Gemeindezentrum folgt dem Duktus der umliegenden Bebauung mit den roten, ortstypischen Ziegelfassaden und der reduzierten Gesamtform mit Satteldach und der charakteristischen Asymmetrie. Zum Garten und zur Straße wird das Gebäude überhöht. Das große Fensterband ermöglicht Ein- und Ausblicke, die durch die Mauerwerkspfeiler gefiltert werden. Zur angrenzenden Wohnbebauung und der inneren Nutzung folgend wird die Gebäude- und Fensterbandhöhe reduziert. In der Detaillierung werden klassische Details umgesetzt: auf den Ortgang aufgemauerte Dachziegel, ein homogenes, raues Fassadenbild durch einen ruhigen Ziegel, der gut sortiert und in einem bestimmten Verhältnis „falsch herum“ vermauert wird und die Interpretation von Ziegelornamentik durch Lisenen und ein abstrahiertes Kreuz in der Giebelfassade.

Das Foyer empfängt den Besucher und gibt Einblicke in den großen Gemeindesaal frei. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Die untergeordneten Nebenräume verlaufen als kompakter Raumkörper parallel zum Saal und gliedern die Erschließung. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Wie hat sich das Projekt vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk verändert?

Der Entwurf wurde aus der Wettbewerbsphase nahezu unverändert umgesetzt. Eine geringe Änderung im Nutzungsprofil führte zum Wegfall der ursprünglich geplanten Winterkirche und einer daraus resultierenden Veränderung der Saalnutzung. Aus unserer Sicht haben diese Veränderungen allerdings zu einem besseren Gesamtergebnis des Projektes geführt.

Der großzügige, teilbare Gemeindesaal wird in seiner Kubatur durch Wandscheiben an der Decke geprägt. Über Dachflächenfenster wird der Saal von oben belichtet. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Der Blick zur Decke zeigt die Kombination aus natürlichem Tageslicht und Kunstlicht. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?

Das Gebäude erfüllt selbstverständlich alle aktuellen energetischen Anforderungen. Durch das Verbot von Solaranlagen auf Dächern im historischen Ortskern konnte die Beheizung ausschließlich durch eine Wärmepumpe umgesetzt werden. Durch die unterschiedlichen Nutzungsszenarien bedingt, lag der Fokus zudem auf einer guten Akustik und Belichtung. Dies gilt sowohl für das Tages- als auch das Kunstlicht.

Im Tagesverlauf verändern sich Lichteinfall und Lichtstimmung. (Foto: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Welche speziellen Produkte oder Materialien haben zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?

Aus unserer Sicht ist es das Zusammenspiel mehrerer Parameter. Das Leitbild der Scheune sollte in einem als Gemeindezentrum genutzten Gebäude architektonisch interpretiert und baulich umgesetzt werden. Der Ziegelstein führt in Kombination mit der Fuge und einer entsprechenden Sortierung zu einem angemessenen Erscheinungsbild. Die Detaillierung von Fassade, Öffnungen, Pfeilern, der Fenster- und Dachanschlüsse prägt das Erscheinungsbild des Neubaus im Kontext.

Im Innenraum prägen vier Elemente die Atmosphäre des Saals: Bodentiefe Fenster gewähren Ausblicke in den Garten. Eine angemessene Höhe macht den Raum für unterschiedliche Nutzungen flexibel. Wandscheiben im Bereich der Decke vermitteln zwischen der äußeren Gebäudekubatur und der Raumgeometrie des Saals, wo sie die Silhouette eines Satteldachs abbilden. Die Dachflächenfenster zwischen den Wandscheiben belichten den Raum zentral, führen zu einem abwechslungsreichen Lichtspiel auf den Wandflächen und ermöglichen Ausblicke in den Himmel.

Schwarzplan (Zeichnung: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Grundriss (Zeichnung: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Schnitt (Zeichnung: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Isometrie (Zeichnung: Nehse & Gerstein Architekten BDA)
Gemeindezentrum St. Marien
2021
Am Südtor 32
30880 Laatzen

Auftragsart
Wettbewerb
 
Bauherrschaft
Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien

Architektur
Nehse & Gerstein Architekten BDA, Hannover

Fachplaner
Kreutzfeldt Ingenieurbüro für Bauwesen, Hannover
Delta Energie GmbH & Co. KG, Hannover

Ausführende Firmen
Rohbau: Bauunternehmung Kellner GmbH, Laatzen
Zimmermann und Dachdeckung: S-A-M Zimmerei und Baudenkmalpflege GmbH, Hameln
Trockenbau: M. Seho Trockenbau & Holzmontage, Ronnenberg

Hersteller
Dachflächenfenster: Velux
Holzfenster: Schmidt-Visbek
Verblender: Deppe

Bruttogeschossfläche
203 m²

Gesamtkosten
k.A.

Auszeichnung
Velux Architekten Wettbewerb, 3. Preis
 
Fotos
Philipp Nehse

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