Was plant die Planung?

Author
ch
Published on
10月 13, 2010

2010 ist bislang aus der Sicht des Städtebaus, der Stadt- und Raumplanung ein ereignisreiches Jahr, eines der intensiven Debatten gewesen. Eines der aufschlussreichen Erkenntnisse, aber auch eines der nicht immer erfreulichen Entwicklungen. Eine vorläufige Bilanz der Ereignisse, der Ergebnisse und der Diskussionen des Jahres ist auch ein Ausblick auf das, was Planer in Zukunft zu bewältigen haben werden.
 
2010 ist nicht nur das Kulturhauptstadtjahr, für das sich Essen stellvertretend für eine ganze Region beworben hatte. 2010 ist auch das Berichtsjahr der IBA Stadtumbau in Sachsen-Anhalt mit all ihren produktiven und fantasiereichen Experimenten. Das inzwischen bewährte Instrument der Regionale (warum gibt es sie eigentlich nur in Nordrhein-Westfalen?) stellte die Region Köln/ Bonn und deren Beziehung zum Rhein in den Mittelpunkt, förderte Bewusstsein und schuf Anlässe für die interkommunale Kooperation. 2010 ist aber auch das Jahr, in dem der Protest gegen Politik und Planung schichtenübergreifend in neuer Intensität zu erleben war und ist. Die Frage nach der vorhandenen oder fehlenden Planungskultur bei Großprojekten, nach der Form, wie Bürger beteiligt, wie sie informiert werden, wie transparent die Verfahren sind, deren Folgen sie letztlich zu tragen haben, stellt sich insbesondere bei Stuttgart 21; aber nicht nur hier. Und 2010 wird nicht zuletzt zeigen müssen, wie stabil der Konsens darüber ist, dass die Städtebauförderung ein unerlässliches Instrument ist, um die Stadtpolitik zu gestalten. Zur Erinnerung: eine Kürzung um 300 Millionen hatte Bundesminister Ramsauer angedroht. Erst kürzlich bezweifelte Dortmunds Oberbürgermeister auf der Jahrestagung der DASL, dass Raumsauer überhaupt beraten wurde – und tatsächlich hatte der zumindest den Widerstand gegen seinen Sparvorschlag offensichtlich unterschätzt: Schnell hatten sich Verbände und Berufsorganisationen zur Wehr gesetzt. Ob nun tatsächlich gekürzt wird und um wieviel, ist noch nicht endgültig entschieden.
In dieser Melange aus modellhaften Experimenten, Festival, Bürgerbewegung und Politikversäumnissen zeichnen sich die Linien ab, denen Städtebau- und Stadtplanungspraxis, Stadtentwicklungs- und Kommunalpolitik und in den nächsten Jahren folgen werden oder folgen sollten. Dies wurde zuletzt auf dem Kongress zur Nationalen Stadtentwicklungspolitik in Nürnberg und der Jahrestagung der DASL in Dortmund deutlich.
 
Vom Quartier zur Region
Am wenigsten überraschend ist der Befund, dass es sich die Planungsebenen nicht gegeneinander ausspielen lassen. Quartier und Region sind gleich wichtig, für Lebensqualität und Wettbewerbsfähigkeit, für Sicherheit und Standortqualität. Welche Qualitäten auf der Ebene des Quartiers städtebaulich erwartet werden können, zeigt der Deutsche Städtebaupreis: er ging 2010 nach Münster, ausgezeichnet wurde das Stubengassenareal und einige andere, eher kleinmaßstäbliche Projekte.
Kompementär zu solchen Projekten steht die Planung auf regionaler Ebene. Hoffnungen, dass eine starre hierarchische Verwaltungsstruktur der geeignete Rahmen für regionale Kooperationen sein könnte, wurden in Dortmund von einigen Referenten relativiert. Schon allein, weil sich politische und wirtschaftliche Maßstäbe nicht einfach zur Deckung bringen lassen. Alain Thierstein führte aus, dass die Metropole Ruhr zu klein sei, um sie wirtschaftlich insbesondere in der internationalen Konkurrenz zu behaupten – hier gehöre der Raum bis Köln dazu. Als gesetzliche Körperschaft aber wäre diese Region politisch nicht durchzusetzen; zu groß wären die Befürchtungen, kommunale Belange könnten unberücksichtigt bleiben, dieses Land im Land könnte gegenüber anderen Regionen übermächtig werden. Eher komme es darauf an, so die Vertreter der Städte Bochum und Gelsenkirchen, flexibel in interkommunalen Verträgen die Dinge zu vereinbaren, die im Verbund besser bewältigt werden können. Das fordert von den Planern hohes Engagement, es verdient gewürdigt und vor allem politisch gestützt zu werden.
 
Politikfeld Stadtplanung
Nicht zuletzt die drohende Kürzung der Städtebauförderung, für die Kommunen erneut ein drohender Schlag ins Kontor, zeugt von einer fatalen politischen Fehleinschätzung der Stadt als politischem Aktionsfeld – nicht nur in Nürnberg dürfte sich Ramsauer massiver Vorwürfe zu erwehren gehabt haben. Es ist ja kein Zufall, dass sich in den Städten die Proteste und der Gestaltungswillen der Bürger artikuliert – deren Emotionen dürfen weder belächelt noch ignoriert werde. Das geschah zu oft: Das Vertrauen der Menschen zu den Politikern ist, nicht zuletzt wegen Stuttgart 21, zerrüttet. In der Stadt aber wird das Ergebnis von Politik spürbar, vor Ort müssen die Zumutungen der Globalisierung abgefedert werden; die ausgeglichene soziale Mischung, das Streben nach gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Städten sind die beste Gewähr für den sozialen Frieden; das kann nicht allein auf der Ebene der Stadt erreicht werden. Kinder lernen nicht nur in der Schule: Neue Konzepte, Bildungsverbände im Quartier etwa, könne helfen, für bessere Chancen auf dem Berufsmarkt zu sorgen.

Bürgereinmischung
Das Interesse der Menschen an dem, was ihre Stadt und ihre Umgebung betrifft, ist hoch wie schon lange nicht mehr. Nicht immer artikuliert es sich zu den dafür von der Planung vorgesehenen Zeiten – es reicht nicht mehr, sich auf die gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren zu berufen; diese müssen geändert werden, die Transparenz der Verfahren muss verbessert werden, die Planung muss länger flexibel auf Änderungen von Rahmenbedingungen reagieren können. Gerade in Sachsen-Anhalt wurden hier wertvolle Erfahrungen gemacht, aus ihnen gilt es zu lernen.
Das birgt natürlich auch eine gewisse Gefahr: Die der populistischen Töne, die Gefahr, dass die zu wenig gehört werden, die es am schwersten haben, eigene Interessen zu artikulieren oder für sie politische Repräsentanz einzufordern. Projekte, die hier, teilweise mit hohem ehrenamtlichen Engagement ansetzen, müssen ausreichend politisch unterstützt werden. Unabhängig von Projekten und deren Planungsstand muss es einen permanenten und offenen Dialog zwischen Politik, Verwaltung und Bürgern geben, der auf Transparenz beruht, in dem Vertrauen herrschen kann. Das heißt auch, Bürger kompetent zu machen statt sie durch das Vorenthalten von Fakten misstrauisch werden zu lassen. Vehement hat Bazon Brock in Dortmund die zunächst etwas irritierende These vorgestellt, nach der die Professionalisierung der Bürger das sei, was nun anstehe. Brock unterrichtet im Studiengang Profi-Bürger. Auf den Internetseiten der Stadt Pforzheim wird ausführlich erläutert, wie der städtische Haushalt entsteht – Vorschläge zum Haushalt kann jeder Bürger einfach per Mail äußern.
Dabei gilt es, mit dem gängigen Vorurteil aufzuräumen, dass der Protest der Bürger ein prinzipielles Verhindern sei. Die Beispiele sind zahlreich, in denen der beharrliche Widerstand oder der Volksentscheid gegen zunächst Geplantes zu einem besseren Ergebnis führte, wenn die Verantwortlichen wussten oder lernten, mit dem Bürgerwillen umzugehen – das reicht vom Widerstand gegen die Stadtzerstörung in den 1970er Jahren bis zur Neuen Straße in Ulm. Protest also damit zu diskreditieren, dass er dazu führe, dass das Land nicht mehr veränderbar sei, zeugt genau von der Blindheit und Arroganz, gegen die sich der Protest richtet
 
Es wundert also nicht, dass die Bewegung gegen Stuttgart 21 sich für die Befürworter des Projekts als so ärgerlich stabil erweist: Wie unter einem Brennglas bündeln sich hier all die Themen, die die Zukunft der Planung bestimmen werden: die lokale und die regionale und überregionale, die emotionale und rationale Ebene, das Verantwortungsbewusstsein der Bürger, das weit über das hinausgeht, was vor der eigenen Haustüre geschieht, nicht zuletzt durch Erfahrungen provoziert, die nahelegen, Politikern zu misstrauen. Hier zeigt sich, dass die Zusammenhänge komplex sind, sie sich aber in der Stadtentwicklung zu dem politischen Feld verdichten, in dem die Wirkungen spürbar werden, und das von Politkern wie Ramsauer, Mappus und Schuster falsch eingeschätzt worden ist. Es ist deswegen nicht nur für Stuttgarter und Zugreisende zwischen Mannheim und München interessant, wie der Streit um Stuttgart 21 enden wird. Zur Erprobung neuer Methoden und Instrumente ist es wohl zu spät. Im ungünstigsten Fall wird man Stuttgart 21 vielleicht einmal als ein Projekt ansehen, das für eine dann hoffentlich überwundene Planungspraxis steht. ch