Offene Höfe
Steimle Architekten
26. 8月 2020
Lichthof über dem zweigeschossigen Atrium des Eckgebäudes (Visualisierung: Loomn)
Steimle Architekten mit Lohrberg Stadtlandschaftsarchitektur gewinnen den Wettbewerb um ein Wohn- und Geschäftshaus Turm-/Stromstraße in Berlin. Thomas Steimle stellt sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
In Berlin Moabit, zentral gelegen am Kleinen Tiergarten, soll an der Ecke Turm-/Stromstraße ein neues Wohn- und Geschäftshaus entwickelt werden. Welche Ausgangssituation haben Sie vorgefunden?
Das ausgewiesene Bebauungsareal kann als innerstädtische Brache bezeichnet werden, die derzeit größtenteils als Parkplatz genutzt wird. Die Lage im Stadtteil Moabit vis-á-vis des kleinen Tiergartens ist gut erschlossen mit guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Die Umgebung des Plangebiets ist heterogen geprägt mit gründerzeitlicher Bebauung und einem recht hohen Anteil an Nachkriegsgebäuden. Die Nutzung des Gebiets ist stark gemischt mit Wohnen, Büros, Einzelhandel und Dienstleistung.
Ein dreigeschossiges Nachkriegsgebäude, das als Geschäftshaus genutzt wird, steht momentan noch auf dem Grundstück. Ein Baudenkmal aus dem Jahr 1866, ein in der Denkmalliste geführtes Wohn- und Geschäftshaus, das auf dem Areal liegt jedoch nicht zum Babauungsgrundstück gehört, soll erhalten bleiben und in die Neubebauung integriert werden.
Die Neubebauung schließt den Blockrand und schafft neue Qualitäten im Innenbereich des Blocks (Zeichnung: Steimle Architekten)
Wie organisieren Sie das Projekt?
Der Gebäudekomplex teilt sich in das höhere und kompaktere Eckgebäude und die sich über Terrassen abtreppende Innenhofbebauung.
Das Eckgebäude schließt die Lücke an der Strom- und Turmstraße und in dem Hybrid stapeln sich die Nutzungen mit Einzelhandel, Büro und Wohnen in den neun oberirdischen Geschossen. Die äußere Haupterschließung erfolgt über eine offene Erdgeschosszone / Sockelzone und einen zentralen Erschließungskern. Die innere Erschließung der Wohnnutzung besteht aus einer Kombination von Laubengängen, privaten Freisitzen und gemeinschaftlich genutzten Dachterrassen die sich um einen Lichthof gruppieren. Unter dem Lichthof befindet sich ein zweistöckiges Atrium, um das sich die Büronutzung verteilt. Die Ver- und Entsorgung des Komplexes ist über eine rückwärtige Zufahrt zu einem überdachten Ladehof organisiert.
Die im Innern des Blocks liegende „fingerartige“ Innenhofbebauung ist über der offenen Erdgeschosszone/Sockelzone in fünf bis sechs Geschossen mit Wohnnutzung geplant. Es werden Einheiten unterschiedlicher Größe angeboten, die über Erschließungskerne und Laubengänge erschlossen sind.
Die Durchgängigkeit und Bespielbarkeit der geschützten Höfe zwischen den Gebäudefingern, die Blickbeziehungen und die ruhige, vom Treiben der Turmstraße abgewandte Lage gibt dem Freiraum eine Qualität von Intimität und Offenheit. Die Wohnhöfe bieten ausreichende Privatheit und Geschlossenheit gegenüber den benachbarten Büroeinheiten, gleichzeitig öffnen sie sich nach Westen mit Blick auf die Baumkronen des Nachbargrundstücks. Rasen- und Pflanzflächen, multifunktionale Platzflächen, Bänke, kleine Spielpunkte und die Verknüpfung über breite Passagen machen die drei Wohnhöfe zu nachbarschaftlichen Mittelpunkten. Die über dem Erdgeschoss/Sockelgeschoss liegende Promenade bietet den Bewohnern einen informellen und identitätsstiftenden Begegnungsraumm, der eine gute Adressbildung ermöglicht.
Die umlaufenden Laubengänge des Lichthofs im Eckgebäude bieten den Bewohnern Kommunikations- und Begegnungsflächen (Visualisierung: Loomn)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?
Angesichts der Individualisierung bekommt die Wohnfunktion in der Stadt eine neue Bedeutung als Reurbanisierung. Unsere Häuser sind zunehmend kompakter sowie gestapelter zu gestalten und sollten sich zu vielfältigen und attraktiven städtischen Räumen mit hoher Aufenthaltsqualität kombinieren. Kleinere Wohnflächen, die geschickt angeordnet und möbliert sind, bieten private Rückzugsorte mit flexibel nutzbaren Zimmern und geräumigen Wohnküchen sowie mit sparsamen aber attraktiven Außenräumen. Kollektive Einrichtungen und Begegnungsorte sollen darüber hinaus das Zusammenleben der Bewohner fördern und ihren Gemeinschaftssinn stärken.
Es geht uns also darum, hybride Wohnformen zu entwickeln, welche private Rückzugsorte mit gemeinschaftlichen Wohnformen vereinen.
Terrassenartig treppen sich die „Wohnfinger“ im Inneren des Blockes ab (Visualisierung: Loomn)
Die über eine Promenade verbundenen Wohnhöfe über dem durchgängigen Sockelzgeschoss sind Erschließungs- und Begegnungszonen zugleich (Visualisierung: Loomn)
Was wird die Qualität des neuen Quartiers ausmachen?
Die Neubebauung schließt den Blockrand und nimmt zu den Nachbargebäuden hin die Fluchtlinien und Traufhöhen auf. Das Gestaltungsleitbild im Binnenbereich nimmt Bezug auf die historische Einzelhaus-Hofstruktur des Berliner Stadtgrundrisses und interpretiert diese in einen zeitgemäßen identitätsbildenden städtischen Wohnmaßstab.
Ruhiges Wohnen trotz flankierender Straßen. Konsequent wird ein schallrobuster Städtebau mit der Schaffung ruhiger Innenbereiche und der Planung von durchgesteckten Wohnungen mit Aufenthaltsräumen zu den ruhigen Seiten umgesetzt. Das Wohnen kann sich überall zum begrünten und ruhigen Binnenbereich hin orientieren und gemeinsame Bezüge im Raum schaffen.
Das Konzept der offenen Höfe sorgt dafür, dass in keiner Richtung optische Barrieren entstehen und dass aus allen Richtungen eine gute Maßstäblichkeit gewahrt bleibt.
Vielfalt in der Einheit; hinter der industriell anmutenden Fassade aus Betonfertigteilen liegen verschiedene Wohnungstypen, denen allen eine Terrasse, Loggia oder ein gemeinschaftlich nutzbarer Laubengang zugeordnet ist.
Das Eckgebäude nimmt die Fluchten und Höhen der Nachbarbebauung auf (Visualisierung: Loomn)
Der zweigeschossige eingezogene Eingangsbereich lässt die Nutzung für den Einzelhandel klar ablesen (Visualisierung: Loomn)
Ist schon ein Rahmenplan in Arbeit?
Für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan erfolgte bereits die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt ist für ca. Dezember 2021 / Janiuar 2022 geplant.
Städte- und hochbauliches Workshopverfahren
Auslober/Bauherr: Leopold Stiefel vertreten durch MC Bauinvest GmbH, Ingolstadt
1. Preis
Architekt: Steimle Architekten GmbH, Stuttgart
Landschaftsarchitekt: Lohrberg Stadtlandschaftsarchitektur, Stuttgart
Visualisierer: Loomn Architekturvisualisierung, Gütersloh
ein 3. Preis
Architekt: Eike Becker_Architekten, Berlin
ein 3. Preis
Architekt: Staab Architekten, Berlin