Alte Gefechte und neue Fragen

Ulf Meyer
1. 6月 2021
Das Portal der Westfassade des Humboldt-Forums erinnert an einen römischen Triumphbogen (Foto: GodeNehler, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Doch der Reihe nach: Der erste Tag der Online-Tagung war Düttmann gewidmet, dem für die Akademie wichtigsten Architekten der Moderne. Düttmann hat nicht nur das Gebäude der Akademie im Berliner Hansaviertel entworfen, er war auch viele Jahre der Präsident der AdK – und hat in West-Berlin wie kaum ein zweiter Städtebau und Architektur auch mit grobschlächtigen Riesenbauten geprägt. Düttmanns Oeuvre ist eine gemischte Packung: Von Höhepunkten der 1960er-Jahre Architektur wie der Akademie selbst bis hin zu schlimmen Missgestalten reichen seine Entwürfe. Speziell die Großbauten aus dem Spätwerk, oft lieblos entworfene graue Plattenbau-Burgen, haben teils ganze Stadtviertel verdorben und blockiert wie am Kreuzberger Wassertorplatz. Dieses Dilemma trat anlässlich des (gedachten) 100. Geburtstages von Düttmann unlängst deutlich zu Tage, der mit Ausstellung und Publikationen zelebriert wurde. Die Gelegenheit, eine kritische Würdigung zu wagen, wurde verpasst und stattdessen weitgehend Heldenverehrung betrieben.

Stoff für die lange (reine Streaming-) Veranstaltung bot dieses Sujet nur, weil Düttmanns Erbe symptomatisch für die deutsche Nachkriegsmoderne ist. Ob die Moderne wirklich so geschichtsvergessen oder gar -feindlich war, wie oft kolportiert wird, wurde dabei vor und zurück diskutiert. Die Berliner Expertin für Denkmalpflege der Moderne, Gabi Dolff-Bonekämper, wollte in ihrem Vortrag über „Makrostrukturen“ Düttmanns Berliner Großwohnanlagen im europäischen Vergleich nobilitieren. Ihre Argumente wie „die Leute wohnen gern dort“ oder noch absurder „ich würde dort einziehen“ zeigten, wie hilflos die Denkmalpflege angesichts der Missetaten berühmter moderner Architekten und allgemein ihrer mangelnden Qualitätsmaßstäbe ist. Alles aus der Zeit heraus zu erklären und durch gewagte Vergleiche wie etwa zwischen dem Londoner Barbican-Center und dem Mehringplatz in Berlin zum denkmalswerten Beitrag erhöhen zu wollen, mussten scheitern. Dass die Hausbesetzer-Szene, die Postmoderne, linke wie rechte Kritiker einst triftigen Grund hatten, sich gegen den flächendeckenden Kahlschlag der Planungen wie von Düttmann aufzulehnen, schien vergessen. Dolff-Bonekämper titulierte Düttmann als „sozialen Architekten“ was angesichts der welkenden Neue-Heimat-Klötze wie am Kreuzberger Wassertorplatz in Berlin mehr als gewagt ist. Der unkritischen Unterschutzstellung dürfte angesichts solcher „Moderne-Versteher“ bald nichts mehr im Wege stehen. Die Verunstaltungen des Stadtgrundrisses und die Zerstörung gewachsener Quartiere würden damit zementiert. Mit dem Ansatz der IBA aus den 1980er-Jahren und der später darauf fußenden „Kritischen Rekonstruktion“ sollte aufgeräumt werden. Philipp Oswalt gab zu Protokoll, dass ihm im Rückblick die „immer seltener kritische ‚kritische Rekonstruktion‘ “ als „Vorglüher des rechten Populismus“ gilt.

Darf die Moderne altern? Sollte sie allein bewahrt oder muss sie adaptiert werden? Diese Fragen werden die deutsche Architektenschaft angesichts flächendeckend alternder Nachkriegs-Städte noch beschäftigen. Wollten moderne Architekten überhaupt Werke schaffen, die Jahrhunderte überdauern oder wollten sie – in Abgrenzung zum Anspruch der Nationalsozialisten für die Ewigkeit zu bauen – ephemere Werke hinterlassen, denen nun ihr vergängliches Wesen durch Denkmalschutz ausgetrieben werden müsste? Ist die sichtbar werdendere „Historie des ehemals Neuen“, wie Dolff-Bonekämper sie nannte, also ein Gewinn oder immer ein Verlust?
Rekonstruktionen wie die des Berliner Stadtschlosses als „Vorhänge-Schloss“ oder „permanenter Weihnachtsmarkt“ galt dem Kritiker Michael Mönninger als „Kompensationsgeschäft für die Deprivationen des 20. Jahrhunderts“. Wird ihre Bedeutung – wenn sie „seelenlos gestaltet“ sind wie die rekonstruierte Kommandantur in Berlin für den Bertelsmann-Konzern – durch den Stadtraum souffliert? Für Mönninger schlägt bisweilen die „Altgier die Neugier“ angesichts des „Grauens vor einer willkürlich wiederaufführbaren Geschichte“.
Die Kritik am Wiederaufbau von derlei „Intensiv-Bedeutungs-Gebäuden“ wie der Frauenkirche in Dresden oder des Humboldt-Forums in Berlin entzündet sich auch an der Funktion dieser Rekonstruktionen als „Bilder einer gebauten Identität“. Als „klebrige Erzählung vom wir“ erscheint das Gerede über Identität und Geschichte dem Luzerner Historiker Valentin Groebner in diesem Zusammenhang. Er vermeidet sie deshalb.

Der Doyen der deutschen Architekturgeschichte, Wolfgang Pehnt aus Köln, zeigte in seinem Vortrag zum Thema  „Städtebau des Erinnerns“ wie rhetorisch brillant er auch fast neunzigjährig noch die „Anspielungsketten, mit denen Städte andere Städte imitieren“ (Pehnt) lesen und kommunizieren kann. Das nachgebaute „imago“ dient seiner Meinung nach stets dazu, den Status der Stadt auf einen höheren Rang zu heben. Insofern passt das Humboldt-Forum als Symbol der Ära Merkel, in der es politisch darum ging, Deutschland als Europas Großmacht der Vernunft zu etablieren. Dass die „Mythen und Zitate“ im Städtebau wie Pehnt sie nennt, nicht nur „Generator und Gefäß für das Kollektiv“ sein können, sondern auch eine handfeste ökonomische raison d’être haben, führte Groebner auf den „Allesfresser-Tourismus“ zurück, der auch Gegenkultur zum Thema des Stadtmarketings macht. „Touristen kommen erst, wenn alles vorbei ist“, lautete sein Résumé. Die Denkmalpflege hat die Wendung zu Gefühl und „Geist“ eines Ortes oder Gebäudes mit der Icomos-Charta von Nara in Japan von 1984 bereits lange vollzogen.
Im dritten Teil der Mammut-Konferenz, die zu keinem Zeitpunkt von mehr als drei Dutzend Interessierten online verfolgt wurde, ging es um das neue Mode-Thema „Recyclat“, dem zufolge die Baukunst der Zukunft allein von der Fortschreibung des Vorgefundenen ausgehen darf. Um CO2-Emissionen zu reduzieren und graue Energie zu retten, muss am liebsten alles unter Denkmalschutz gestellt und jeglicher Neubau oder zumindest Abriss verboten werden.
Für den Gastgeber der Konferenz, den Berliner Architekten Matthias Sauerbruch, ist diese Aussicht allerdings keine Option. „So wie Kinder gern mit Bauklötzen spielen, so wollen Menschen allgemein und Architekten im Besonderen bauen“, so Sauerbruch. Vom „Ende des Wachstums“ wollte er – anders als sein Gast, der neue Berliner Landeskonservator Christoph Rauhut – schlicht nichts wissen.

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