Skandinavische Ansätze

Juho Nyberg
11. 12月 2019
Hoch hinaus im Norden: In Stockholm sollen die Tellus Towers entstehen. (Visualisierung: SSM Living Group)

Kopenhagen gilt als besonders schöne und lebenswerte Stadt. Die dänische Hauptstadt, direkt am Öresund gelegen, ist für Tourist*innen wie Bewohner*innen gleichermassen attraktiv. In den vergangenen zehn Jahren ist die Einwohnerzahl der Stadt von knapp 530'000 (2010) auf gut 623'000 (2019) gestiegen. Je nach Lesart kann der Ballungsraum sogar mit rund 1,32 Millionen Bewohner*innen aufwarten.

Künstliche Inseln im Öresund

Zugleich bildet Kopenhagen den westlichen Brückenkopf einer binationalen Metropolitanregion, entstanden durch den Bau der berühmten Öresundbrücke, durch welche die Nachbarstädte Malmö und Kopenhagen noch näher zusammengerückt sind. Trotz des immensen Bauwerks scheint in der Meerenge noch Platz zu sein für weitere Grossprojekte: Dänemark plant derzeit, zehn künstliche Inseln mit einer Gesamtfläche von vier Quadratkilometern vor Kopenhagen aufzuschütten. Neun davon sollen südlich der Stadt, vor Avedøre Holmen gelegen, Industrie, Gewerbe und eine Kläranlage aufnehmen. Die zehnte Insel – Lynetteholmen – soll dereinst Platz für 35'000 Menschen bieten. Der Planungshorizont ist dem Projekt angemessen: Baubeginn soll im Jahr 2035 sein, die Vollendung ist für 2070 anvisiert. Die Inseln übrigens sind finanziell selbsttragend. Sie sollen nämlich mit Aushub von verschiedensten Projekten aus ganz Dänemark aufgeschüttet werden, für dessen Lagerung Gebühren erhoben werden. Der teuerste Baustein für den zukünftigen Stadtteil ist die Erschliessung durch die Metro. Diese wird durch den Verkauf von zentral gelegenem Bauland auf den Inseln finanziert, so der Plan.

Die geplante künstliche Insel Lynetteholmen vor Kopenhagen (Visualisierung: trm.dk, Bearbeitung: Juho Nyberg)
Stockholm wächst am schnellsten

Während also der Ballungsraum der dänischen Hauptstadt auch auf das benachbarte Schweden übergreift, liegt das wahre Zentrum Schwedens gute sechshundert Kilometer weiter nordöstlich in Stockholm. Alleine die Stadt selbst kratzt mit gut 949'000 Einwohner*innen schon an der Millionengrenze. Betrachtet man die nähere Region beziehungsweise die Provinz, dann zählt man sogar 1,4 respektive 2,1 Millionen. Stockholm ist die am schnellsten wachsende Gross- und Hauptstadtregion Europas. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends stieg die Bevölkerungszahl der Provinz jährlich um 35'000 bis 40'000 Menschen, was einen Bedarf von rund 16'000 neuen Wohnungen bedeutete.

Staatliche Eingriffe in Schweden

Der anhaltende Zuzug wie auch die stark prosperierende schwedische Wirtschaft waren zwei bedeutende Triebfedern für eine intensive Wohnbautätigkeit in der schwedischen Kapitale. Gemäss des globalen Immobilienblasenindex’ der UBS waren die Immobilien in Stockholm vergangenen Herbst überbewertet, eine gefährliche Immobilienblase schien im Entstehen. Diese Entwicklung war auch der schwedischen Regierung nicht entgangen: Sie intervenierte mit neuen Regelungen für Hypotheken, deren Vergabe bis anhin äusserst lax war. Durch den staatlichen Eingriff brachen die Immobilienpreise in der Region Stockholm um rund 10 Prozent ein, haben sich aber seither auf dem neuen Niveau stabilisiert. Einerseits führte die Intervention also durchaus zur erwünschten Abkühlung des Immobilienmarktes, andererseits gibt es auch Verlierer: Wohneigentum in Neubauten wird oft über Jahre im Voraus erworben – und auch bezahlt. Fallen in der Zeit zwischen Erwerb und Bezug des neuen Eigentums die Marktpreise, kann der zu erzielende Verkaufspreis der alten Liegenschaft unter dem kalkulierten liegen. Das Risiko des Preisverfalls wird von den Immobiliengesellschaften auf die privaten Käufer*innen abgewälzt.

Bereits fertiggestellt ist der Nordturm von «Innovationen» in Stockholm. (Foto: Holger.Ellgaard, [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons)
Die Skyline verändert sich

Ragten bislang vor allem Kirchtürme aus Stockholms Silhouette hervor, sind es jüngst auch einige Zeugen des Neubaubooms, so etwa ein Turm des Hochhauspaars «Innovationen». Die beiden 110 und 125 Meter hohen Wolkenkratzer im Stadtteil Vasastaden wurden von OMA entworfen. Von den im bereits fertiggestellten Turm liegenden 72 Wohnungen sind erst zwei Drittel verkauft. Der zweite, niedrigere Bau soll 2020 fertiggestellt werden. Derweil schläft die Konkurrenz nicht: Mit den Tellus Towers soll eine riesige Überbauung entstehen, die über insgesamt 1'200 Wohnungen verfügt. Als Landmark sind ebenfalls zwei Hochhäuser geplant, die 243 beziehungsweise 183 Metern erreichen sollen.

Finnland: Strukturwandel in Meeresnähe

Etwas gemächlicher geht es in der finnischen Hauptstadt zu. Hier ist ein durchschnittliches jährliches Bevölkerungswachstum von 7'000 bis 8'000 Einwohner*innen bis zu den 2030er-Jahren prognostiziert, was die Bautätigkeit durchaus auf Trab hält. Viele innerstädtische oder zumindest stadtnahe Uferzonen sind von ihrer industriellen Nutzung befreit worden und bieten sich nun als Entwicklungsgebiete direkt am Meer an. Ähnlich den Industriearealen in Zürich und Winterthur, die durch Umnutzungen nach Jahrzehnten schliesslich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, steht auch in Helsinki eine sanfte Rückeroberung der attraktiv gelegenen Gebiete an.

Baurecht als Mittel der Wahl

Die Wohneigentumsquote in Finnland lag 2017 bei 71,4 Prozent. Ein bedeutender Teil der Wohnungen und Einfamilien- oder Reihenhäuser sind im Baurecht erstellt, oft auf öffentlichen Grundstücken: Rund 63 Prozent der Parzellen Helsinkis befinden sich im Besitz der Stadt. Sie bringen jährliche Einnahmen von 214 Millionen Euro ein, davon knapp zwei Drittel aus Wohnbauten. Die übliche Laufzeit der Baurechtsverträge beträgt 50 Jahre. In den kommenden zwei Jahren enden die Verträge zu rund 750 städtischen Grundstücken. Dies bietet einerseits die Möglichkeit, die Baurechtszinsen von aktuell fix 4 Prozent (für Wohnnutzung) neu an einen Index zu binden. Andererseits besteht die Chance, dort zu verdichten.

Auch die neu zu entwickelnden Areale auf ehemaligen Industrie- oder Hafenanlagen sind grösstenteils in städtischer Hand. Es ist naheliegend, dass die Stadt auch weiterhin auf das Konzept des Baurechts setzen wird. Besonders zentrumsnah und deshalb attraktiv ist das Gebiet Hernesaari, wo eine bedeutende Werft liegt. Erste Schritte der Rückeroberung durch die Öffentlichkeit zeigen sich bereits, so ist etwa die öffentliche Sauna Löyly im Mai 2016 eröffnet worden und hat sich rasch zu einer beliebten Attraktion entwickelt: Im Jahr 2018 konnte sie bereits bis August 200'000 Besucher*innen verzeichnen.

Die beliebte Sauna Löyly steht im derzeit noch industriell geprägten Hernesaari. (Foto: Roopeank [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons)

Nach mehreren Besitzerwechseln der Werft in den vergangenen Jahren wird der Betrieb mit dem Ende des Mietvertrags per Dezember 2020 eingestellt respektive ausgelagert. Dies wird gleichzeitig der Startschuss für die urbane Entwicklung des Gebietes sein. Mit einem Planungshorizont bis 2030 wird ein komplettes Quartier für 7'500 Bewohner*innen und mit 3'000 Arbeitsplätzen neu entstehen. Eine neue Tramlinie wird für die Anbindung an die Innenstadt sorgen. Gleichwohl sind kritische Stimmen zu vernehmen, die vor einem Verkehrskollaps warnen, da die zubringenden Strassen dem Zuwachs an Verkehr nicht gewachsen seien. Die Kritik ist durchaus berechtigt, zumal entlang des Ostufers insgesamt drei Molen für Kreuzfahrtschiffe erstellt werden. Dies könne zu einem Zustrom von bis zu 17'000 Personen täglich führen, so wird geschätzt. Für den Weitertransport an Land werden zumeist Busse eingesetzt. Geht man von einer Kapazität von 70 Passagieren pro Bus aus, so könnte das über 200 Fahrten pro Richtung bedeuten – eine immense Belastung, die zu den prognostizierten 8'500 Fahrten an Werktagen hinzu kommt.

Übersichtsplan des ersten Stadtboulevards in Helsinki (© Stadt Helsinki)
Stadtboulevards als neues städtebauliches Konzept

Einen beinahe entgegengesetzten Ansatz verfolgt die Stadt andernorts. Mit einem sogenannten Boulevard-Konzept sollen grosse Einfallsachsen für den Individualverkehr redimensioniert und zu grosszügigen Wohnstrassen umgestaltet werden. Von den ursprünglich sieben geplanten Boulevards können jedoch nur drei realisiert werden, die Gestaltungspläne für vier wurden gerichtlich als ungenügend bewertet und verworfen. Die erste geplante Umsetzung des Stadtboulevard-Konzeptes wartet mit einer spektakulären Idee auf: Ein riesiger Verkehrskreisel im Stadtteil Haaga soll bebaut werden, so dass eine Wohninsel von einer Ringstrasse umfahren würde. In deren Mitte sind indes Haltestellen für zwei neue tangentiale Tramlinien geplant. Der sich insgesamt über vier Kilometer erstreckende Boulevard soll nach einer Bauzeit von 10 bis 15 Jahren Wohnraum für 14'000 Personen bieten.

Hinter all diesen ambitionierten Projekten steht das Ziel, Helsinki bis ins Jahr 2035 in eine CO2-neutrale Stadt zu transformieren. In vielen Bereichen sind die Anstrengungen sichtbar und wohl auf gutem Weg. So wird der öffentliche Nahverkehr mit viel Elan ausgebaut, ebenso legt man viel Wert auf das Wegenetz für Fussgänger*innen und Radfahrer*innen. Wie der gleichzeitige Ausbau der Anlagen für die Kreuzfahrtschiffe in diesen Kontext passt, bleibt vorerst ein Geheimnis.

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