Gegen das Damoklesschwert der unlauteren «Beschaffenheitsvereinbarung»

Die Architekten wehren sich – endlich!

Falk Jaeger
14. 10月 2015
Bild: fair-trag.de

Von der unangefochteten Stellung der Ärzte oder Rechtsanwälte in Recht und Gesellschaft können Architekten nur träumen. Die haben genügend Delegierte im Bundestag oder sie sitzen ihren Abgeordneten auf dem Schoß und diktieren ihnen Gesetzesvorlagen wie sie es gerne hätten. Architekten hingegen haben aus Berlin oder gar aus Brüssel nichts Gutes zu erwarten. Sich bei den jeweiligen Bauministern Gehör verschaffen, war für die Standesvertreter der Baukünstler schon immer ein zähes Unterfangen, vor allem, wenn die Minister von der CSU kamen und in ihrer Teilaufgabe als Verkehrsminister voll aufgingen. Eine Dauerbaustelle ist die Honorarordnung HOAI, ein permanenter Zermürbungskampf die Abwehr von Forderungen der EU-Kommission, Planungsleistungen anderen Dienstleistungen wie zum Beispiel Gebäudereinigung gleichzusetzen und dem freien Wettbewerb zu unterwerfen. Planung unter verschärften Wettbewerbsbedingungen wird vielleicht billiger, aber vor allem schlechter. Deutsche Baukultur und Bauqualität, darauf verweisen die deutschen Architekten zurecht, sind im internationalen Vergleich unübertroffen, was zu einem Gutteil an den auskömmlichen Honoraren liegt, die qualitätvolle Planung ermöglichen. Ob die weitere Entwicklung eines der Beispiele für Qualitätsminderung nationaler Eigenheiten durch gesamteuropäische Gesetzgebung sein wird, ist noch nicht ausgemacht.

Derweil droht den Architekten Ungemach aus deutschen Landen. Denn was die öffentlichen Auftraggeber zurzeit in Form von Musterverträgen als Standard durchdrücken, ist mit dem normalen Menschenverstand nicht nachvollziehbar. Deshalb haben die Architekten jetzt einen Verein gegründet. Gemeinsam gehen sie mit juristischen Mitteln gegen die Missstände vor – mit guten Erfolgsaussichten, wie es scheint.

Beschaffenheitsvereinbarung als Knebel und Fessel
Es geht um die sogenannte «Beschaffenheitsvereinbarung» in den Musterverträgen des Bundes und nachfolgend der Länder und Kommunen. Von den Architekten wird verlangt, dass sie einen Vertrag unterschreiben, der diese Beschaffenheitsvereinbarung enthält, das heißt, sie müssen mit ihrem Honorar und ihrer Versicherung für alle Mängel des Bauwerks einstehen, insbesondere für Kostensteigerungen. Die Schuld- oder Verursacherfrage spielt aus der Sicht des Auftraggebers dabei keine Rolle. Nun ist dem Käufer eines Automobils auch gleichgültig, wer das Versagen eines Getriebes zu verantworten hat, er zieht den Hersteller zur Rechenschaft. Und der wiederum seinen Zulieferer, den er beauftragt hat. Bei einem Bauwerk soll der Architekt jedoch auch für Mängel haften, die Firmen oder Fachplaner zu verantworten haben, die er gar nicht beauftragt hat und auf die er folglich auch weder Zugriff noch Einfluss hat.

Derartige Knebelverträge sind oft bereits Bestandteil der Ausschreibungen von Wettbewerben und von VOF-Verfahren. Das heißt, durch Teilnahme hat man bereits zugestimmt. Oft würden die Verträge auch erst nach dem gewonnenen Wettbewerb im VOF-Verfahren präsentiert. Dann entstehe eine besondere Marktmacht, die die Vertragsnehmer besonders unter Druck setze, moniert die Klageschrift. Und die Beschaffenheitsklausel ist, wie von Betroffenen zu hören, als «nicht verhandelbar» deklariert. Viele Architekten überschauen das Risiko jedoch nicht und unterschreiben in der Euphorie, ein Bauprojekt an Land gezogen zu haben, blauäugig und arglos. Manche sind bereits von öffentlichen Auftraggebern in den Konkurs getrieben worden – ein Skandal!

Eigeninitiative versus Bundesarchitektenkammer
Man sollte meinen, dass die Bundesarchitektenkammer als Standesvertretung der Architekten hier für ihre Mitglieder in den Ring zu steigen habe. Für die BAK sind die betroffenen Architekten aber nur eine Teilmenge ihrer eingeschriebenen Mitglieder. Vor allem vertritt sie aber auch die Kollegen im Staatsdienst und ist deshalb in dieser Angelegenheit abgetaucht. Den Anfang machte Baden-Württemberg, wo die Musterverträge als «mit der Architektenkammer abgestimmt» bezeichnet werden – die Kammer war zwar in die Gremien eingeladen und insofern informiert, hatte aber keinen Einfluss.

Inzwischen hat sich der Verein fairtrag e.V. formiert, um gegen den Mustervertrag eine Verbandsklage einzureichen. Den Vorstand bilden Prof. Rainer Hascher (Vorsitz), Per Pedersen von Staab Architekten und Juan Lucas Young von Sauerbruch Hutton. Unterstützt wird der Verein (lediglich) vom BDA Berlin. 200 Büros sind schon dabei, doch man sucht eine noch breitere Basis, um auch für weitere Stufen des Rechtsstreits gewappnet zu sein, die nur bei Nachweis entsprechender Sicherheiten zugelassen wird (www.fair-trag.de).

Ein Verein klagt an
Die Klage richtet sich gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Bauwesen BBR. Sie will die Regelungen, die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Planerverträge die Kostenobergrenzen festlegen, zu Fall bringen. «In ihren Vertragsmustern praktiziert die Beklagte zunehmend eine unfaire und unzumutbare Benachteiligung ihrer Auftragnehmer. Das gilt insbesondere für die im Klageantrag zitierte Kostenobergrenze. Diese Klausel verlagert Risiken auf den Auftragnehmer, die dieser weder beherrschen noch beeinflussen kann», heißt es in der Klageschrift. Die Rede ist von den Kostengruppen 200 bis 600. Zudem werden die Beträge nicht im Vorhinein ehrlich ermittelt. Der Architekt unterschreibt also einen Blankoscheck.

Natürlich hat man als Steuerzahler größtes Verständnis dafür, wenn öffentliche Auftraggeber auf die schlechte Presse reagieren, die in jüngster Zeit viele aus dem Ruder gelaufene Großprojekte nach sich zogen. Sich jedoch dadurch aus der eigenen Verantwortung zu stehlen, dass man den schwächsten in der Kette der Akteure den schwarzen Peter zuschiebt, ist falsch. Diese absurde Entwicklung geht mit der Tendenz einher, den Architekten mehr und mehr Kompetenzen zu entziehen und sie auf eine Dienstleistungsfunktion zu reduzieren. Generalverantwortung kann aber nur aufgebürdet bekommen, wer auch Generalplaner und Projektsteuerer ist. Die Öffentliche Hand macht es sich als Bauherrin einfach, wenn sie zwar die Beauftragung verästelt, die Verantwortung aber bündeln will. Schließlich haben die problematisch verlaufenden Bauvorhaben der letzten Jahre gezeigt, dass die Fehlerketten bereits bei der Beschlussfassung im politischen Raum beginnen, die in aller Regel ohne hinreichend konkrete Projektvorplanung, realistische Kostenschätzung und Risikobewertung herbeigeführt wird.

Die durch Versäumnisse und zum Teil groteske Unfähigkeit der öffentlichen Auftraggeber verursachten Probleme den Architekten anzulasten, ist juristisch formuliert eine «Verlagerung unbeherrschbarer Risiken auf den Auftragnehmer» und eine «unangemessene Benachteiligung». Im laienhaften Sprachgebrauch fallen einem dafür durchaus drastischere Formulierungen ein. Es ist schon merkwürdig, dass es offenbar eines neuen Verbandes bedarf, um solch ein standespolitisches Anliegen zu verfolgen. Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich der Verein entwickeln wird und was zu dessen Zweck «Bündelung und Verfolgung der wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen freier Architekten» noch für Aufgaben zu schultern sein werden.

Weitere Informationen: fairtrag Unterstützung | fairtrag Memorandum

Prof. Dr.-Ing. Falk Jaeger, Architekturkritiker und Architekturhistoriker, lebt als freier Journalist, Kurator und Publizist in Berlin. Zu seinen Tätigkeitsbereichen gehören neben dem Fachjournalismus Bücher, Ausstellungs-, Buch- und Lexikonbeiträge zu Themen der zeitgenössischen Architektur, der Geschichte und Theorie der Architektur und der Denkmalpflege.

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