Der Code der Fassade

Thomas Geuder
24. febbraio 2015
Das Bauvorhaben besteht aus einem achtgeschossigen Erweiterungsbau an einem geschichtsträchtigen Bestandsgebäude aus den 1960er-Jahren. (Foto: Kathi Weber-Hoch)

Vermutlich ist das nur eingefleischten Computer-Freaks bekannt: Die erste Groß-Rechenanlage Deutschlands wurde 1963 in der Darmstädter Rheinstraße mit dem „IBM 704“ eingerichtet, ein Geschenk von IBM Deutschland, mit Bandlaufwerken und einer Leistung von immerhin bereits erstaunlichen 40.000 Befehle pro Sekunde (zum Vergleich: Heutige Standardrechner erledigen mehrere Milliarden Befehle pro Sekunde). „Das Gebäude, in dem sich das Deutsche Rechenzentrum befand, war ganz für den wissenschaftlichen Betrieb entworfen, mit Mönchszellen für moderne Wissenschaftler“, wie es der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Rates und Pionier der maschinellen Rechentechnik in Deutschland Alwin Walther beschrieb: ein technisch wie architektonisch moderner, sachlicher Bau, dessen Innenhof mit Wasserspiel und Baumbestand zur wissenschaftlichen Meditation einladen sollte. Fast ein wenig schüchtern kommt das Gebäude daher, was vor allem an seiner Form liegt: Die Basis bildet ein breiter und flacher Sockel, auf dem sich ein gutes Stück zurück versetzt ein zweigeschossiger Aufbau befindet. Die Fassaden sind klar horizontal gegliedert.

Blick vom Dach des Sockelbaus aus: «Eisberg» nennen die Darmstädter den Neubau mittlerweile liebevoll. Zumindest eine Akzentsetzung ist den Architekten damit gelungen. (Foto: Kathi Weber-Hoch)

2012 nun sollte dieser altehrwürdige Bau eine Erweiterung erfahren. Für dieses Vorhaben engagierte das mittlerweile dort ansässige Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie SIT schließlich das Architekturbüro SEHW aus Berlin. Deren Aufgabe und Ziel war es, dem Bestand einen zweiten Bau direkt daneben zu geben, der keinen Kontrast zur bestehenden Architektur bildet und doch durch eine zeitgemäße Sprache einen Akzent setzt. Das klingt ein wenig nach einem Spagat, denn die klassisch moderne Architektur des Bestands ist als in sich abgeschlossenes, symmetrisches Ensemble entworfen. Doch es gibt einige gestalterische Grundideen, die die Architekten im Neubau weiterentwickeln können. So erhält der Neubau etwa ebenfalls einen breiten und flachen Sockelbau, auf dem etwas zurückversetzt sich ein mehrstöckiger Aufbau befindet.

Reliefartig legt sich die Gebäudehülle um die sechs Obergeschosse, wodurch dieser Gebäudeteil eine starke Horizontalität erhält. (Foto: Kathi Weber-Hoch)

Auch die Horizontalität der Bestandsfassade findet sich in der Fassade des Neubaus wieder. Der sechsstöckige Aufbau ist charakterisiert durch unregelmäßig angeordnete Fensterbänder sowie eine reliefartige Fassade mit unterschiedlich langen und tiefen Vor- und Rücksprüngen. Dabei handelt es sich um zu Kästen geformte Aluminiumbleche mit drei unterschiedlichen Tiefen. Sie sind auf einer vertikalen Unterkonstruktion punktweise befestigt. Der Clou: Die einzelnen,  Elemente sind so ausgebildet, dass hinterher die Befestigung nicht mehr zu sehen ist. Der Aufbau der Fassade erfolgte von unten nach oben, wobei die bis zu rund 5 m langen Elemente sehr raffiniert unten eingeklickt und oben verschraubt wurden. Das 2 mm starke Aluminium ist pulverbeschichtet (weiß, RAL 9016, Fa. Apliband / Farbero, Grupo Andalucia), UV-resistent, mit einem Glanzgrad von rund 85 %, was die weithin strahlende Wirkung des Gebäudes noch zusätzlich unterstützt. Die Fensterbänder und die Vor- und Rücksprünge sowie deren Schattenwurf erinnern an intuitiv an die Themen Datenverarbeitung oder auch an die 1960er-Jahren noch verwendeten Lochkarten. Sie ziehen sich wie ein Code um das Institut für Sichere Informationstechnologie.

Das Erdgeschoss ist Entree und Schaufenster zugleich, Einblicke sind von Architekt wie Bauherr explizit gewünscht. (Foto: Kathi Weber-Hoch)

Das Erdgeschoss ist Entree und Schaufenster zugleich, das den Passanten zum Hineinblicken auffordert. In einem Gebäude, in dem es letztendlich um Cyber-Sicherheit geht, erstaunt das zunächst. Aber auch bei diesem Themenbereich geht es nicht nur um Verschlüsselung und Abgrenzung, sondern um Transparenz und Kommunikation. Im Inneren des Neubaus sind die Wege für die Mitarbeiter optimiert, gemeinsame Kommunikationsinseln sollen den Austausch fördern. Mit dem Bestandsbau organisatorisch verbunden ist der Neubau über zwei wettergeschützte, verglaste Gänge im vorderen und mittleren Bereich. So entsteht zwischen den beiden ein neuer Innenhof, der teilweise den Außenbereich des neuen Cafés bildet und ein wunderbares Pendant zum bestehenden «Meditationshof» für die Wissenschaftler bildet. Transparenz und Kommunikation ist für die Architekten von SEHW also eine Angelegenheit nach innen wie außen – in Zeiten zunehmender Verunsicherung beim Umgang mit Daten durchaus ein klares Statement.

Fensterbänder, Vor- und Rücksprünge sowie deren Schattenwurf bilden eine dreidimensionale Analogie zu den Authentifierungscodes, einem der vielen Arbeitsgebiete des Fraunhofer SIT. (Foto: Kathi Weber-Hoch)
Lageplan (Quelle: SEHW Architektur)
Grundriss Regelgeschoss (Quelle: SEHW Architektur)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: SEHW Architektur)
Straßenansicht mit Bestandsbau (Quelle: SEHW Architektur)
Aufnahme von Bau der Fassade: Die einzelnen Elemente wurden unten eingesteckt und oben verschraubt. (Foto: SEHW Architektur)
In den zentralen Treppenhäusern soll durch einen über alle Etagen reichenden Luftraum zwischen Glasbrüstung und Glaswand eine Verknüpfung zwischen den Geschossen geschaffen werden. (Foto: Kathi Weber-Hoch)
Das Gebäude wurde als Stahlbeton-Skelettbau mit einem wirtschaftlichen Achsraster und aussteifenden Kernen in der Mittelzone des dreibündigen Grundrisses konstruiert. (Foto: Kathi Weber-Hoch)

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