Klar gegliedert

Max Dudler
17. giugno 2020
Blick auf das neue Seminargebäude (Visualisierung: Max Dudler)
Die Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen plant im Campusbereich Philosophikum den Neubau des Seminargebäudes I. Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?

Ein multifunktional angelegtes Seminar- und Campus-Gebäude ist für uns heute vor allem auch ein kommunikativer Ort, der Studierende, Lehrende und Tagungsteilnehmer dazu einlädt, miteinander in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen. An dieser Grundüberzeugung orientiert sich unser Entwurf. Mit seiner präzisen geometrischen Sprache, seiner monolithischen Form und einer auf Kommunikation angelegten Raumlandschaft im Inneren wird das Seminargebäude prägender Teil der Neuen Mitte des künftigen Campusbereichs Philosophikum. Über seine repräsentative Platzfassade kommuniziert es mit dem gegenüberliegenden Bibliotheksbau und gibt ihm ein angemessenes Gegenüber. Die rationale, klar gegliederte Fassade strahlt Ruhe aus und verfolgt ein zeitloses und zugleich zurückhaltendes Konzept von dauerhafter Wertigkeit. Über großflächige Öffnungen lässt sie das vielschichtig und offen gestaltete Innere des Seminargebäudes nach außen scheinen und zieht so die Studierenden ins Gebäude.

Lageplan (Zeichnung: Max Dudler)
Wie organisieren Sie das Seminargebäude?

Vom Eingang am Campusplatz ausgehend, entwickelt sich das Innere des Gebäudes als räumliche Landschaft, die die unterschiedlichen Seminarflächen erschließt und dabei als über mehrere Etagen fließendes Raumkontinuum Aufenthalts- und Arbeitsorte mit unterschiedlichen Qualitäten ausbildet. Das multifunktional angelegte Eingangsfoyer leitet mit seinem doppelgeschossigen Luftraum in das Herz des Gebäudes über, den im 1. Obergeschoss liegenden Zentralraum. Der Raum ist gleichzeitig offener Arbeitsbereich der Studierenden als auch kommunikativer Knotenpunkt des Wegenetzes zu den Seminarräumen. Mit seinen großen Oberlichtern entwickelt er die Atmosphäre eines Atriums und verknüpft die offenen Arbeitsflächen auf den Geschossen miteinander. Über verschieden positionierte Lufträume sind diese an das Zentrum angeschlossen. Es ergibt sich eine offene Atmosphäre, die von zahlreichen Blickbeziehungen zwischen den Flächen und Ebenen geprägt ist. Durch die Ausbildung unterschiedlicher Ebenen entstehen Orte, die sich auch für konzentrierteres Arbeiten anbieten.

Grundriss 1. Obergeschoss (Zeichnung: Max Dudler)
Schnitt A-A (Zeichnung: Max Dudler)
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?

Der skulptural gedachte, landschaftlich angelegte Innenraum steht im Mittelpunkt des Entwurfs. Er schafft atmosphärische Räume mit unterschiedlichen Qualitäten und eröffnet ein Gebäude, dass sich hervorragend für das ruhige konzentrierte Arbeiten eignet und gleichzeitig zu einem der wichtigen Treffpunkte und öffentlichen Plattformen des Campus wird. Die Raumfigur, die sich durch das gesamte Gebäude zieht, für Variation in den Grundrissen der Geschosse sorgt und dabei auch den besonderen Reiz des Baus ausmacht, erlaubt gleichzeitig eine stringente und wirtschaftliche Grundstruktur. Es entsteht ein vollständig genutzter Raum, der weder Nischen noch Hinterräume oder lange Flure ausbildet. Gleichzeitig fördert die Organisation des Innenraums die intuitive Orientierung und Erschließung des Gebäudes. Das Wegesystem zu den Seminarbereichen läuft selbstverständlich über die Gemeinschaftsflächen und sorgt so für ein besonders kommunikatives Gebäude, in dem sich Studierende in ihrem Uni-Alltag begegnen und sich austauschen.

Schnitt B-B (Zeichnung: Max Dudler)
Schnitt C-C (Zeichnung: Max Dudler)
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?

Neben den gestalterischen Überlegungen war für uns beim Materialeinsatz leitend, ein robustes und somit in der Nutzung, genau wie in der Gestaltung langlebiges Gebäude zu schaffen. Der Bau ist als Stahlbetonskelettkonstruktion konzipiert. Aus gleichmäßig über die Fläche verteilten großflächigen Fensteröffnungen entsteht ein abstraktes Fassadenbild als Gewebe vertikaler und horizontaler Linien. Großformatige Elemente aus gesägtem Kunststein mit grobkörnigen Zuschlägen vermitteln Lebendigkeit und Materialgefühl.

Die in ihrer Schlichtheit elegante und zeitlose Fassade bildet einen gewollten Kontrast zum vielschichtigen Raumkontinuum im Inneren des Gebäudes. Die Innenraumgestaltung spiegelt dabei die Klarheit und Stringenz der Fassade und entwickelt ihre Atmosphäre aus den roh verbauten Materialien. Das sichtbare Tragwerk wird zum prägenden Element des Raumcharakters und macht das Gebäude dabei intuitiv verständlich. Der sich ergebende Materialkontrast schafft ein modernes und bei aller Rauheit behagliches Interieur.

Auch die besondere Lichtkonzeption prägt den Charakter des Ortes. Der Zentralraum wird durch zwei Oberlichter mit Tageslicht gespeist. Über zwei Glasbaustein-Oberlichter im Boden des Raums wird das Licht bis in das Erdgeschoss weitergeleitet.

Innenraum (Visualisierung: Max Dudler)
Neubau des Seminargebäudes I der Justus-Liebig-Universität Gießen
Nichtoffener Wettbewerb
 
Auslober/Bauherr: Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen, Niederlassung Mitte, Bad Nauheim
Betreuer: Faltin+Sattler FSW Düsseldorf GmbH, Düsseldorf

Jury
Prof. Zvonko Turkali, Vors. | Prof. Stephan Birk | Volker Giezek | Prof. Gesche Grabenhorst | Bernadette Heiermann | Prof. Dr. Michael Koch | Stefan Haub
 
1. Preis
Architekt: Max Dudler, Berlin, Zürich, Frankfurt am Main, München
 
2. Preis
Architekt: Bez+Kock Architekten Generalplaner GmbH, Stuttgart
 
3. Preis
Architekt: h4a Gessert + Randecker + Legner Architekten, Stuttgart, München, Düsseldorf
 
4. Preis
Architekt: agn Niederberghaus & Partner, Ibbenbüren, Düsseldorf, Halle/Saale, München, Ludwigsburg, Münster, Hamburg, Wiesbaden, Delmenhorst 
 
5. Preis
Architekt: Nickl & Partner, München, Berlin, Zürich (CH)

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