Österreich: Die Bauten der Grazer Schule

Ulf Meyer
10. aprile 2023
Szyszkowitz-Kowalski, Institut für Biotechnologie, Graz (Foto: © Alexander Krischner)

Das Haus der Architektur (HDA) in Graz gehört zu Österreichs acht Architekturhäusern, die sich in den Bundesländern um die Architekturvermittlung und die Förderung einer qualitätsvollen Baukultur kümmern. Getragen wird das HDA von einem gemeinnützigen Verein. Zum Programm gehören Ausstellungen, Vorträge, Workshops, Diskussionsveranstaltungen und Symposien, aber auch Exkursionen und Publikationen. Immer wieder sucht das HDA-Team dabei den Austausch mit Vertreter*innen aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft.

Die aktuelle Ausstellung zur Grazer Schule ist überaus sehenswert. Sie dauert noch bis zum 28. Mai dieses Jahres. Am 19. April um 19 Uhr findet eine Podiumsdiskussion mit Anna Wickenhauser (docomomo, Wien), Robert Walle (Stellvertretender Landeskonservator für die Steiermark) und Olaf Gisbertz (Institut für Baugeschichte, TU Braunschweig) statt. Moderiert wird sie von Anselm Wagner (TU Graz).

Karl Lebwohl, Christine und Walther Kordon, WIFI / FH Campus, Graz (Foto: © Anselm Wagner)
Der bisweilen vergessene Teil der österreichischen Avantgarde

„Die Grazer Schule ist ein Fake“, behauptete der österreichische Architekt Manfred Wolff-Plottegg einst im Rahmen einer Expertenrunde an der TU Graz. Fakt ist: Was der Begriff genau umfasst, ist bis heute offen. Die Grazer Schule wurde lange Zeit mit den expressiv-gestischen Entwürfen von Günther Domenig und der Architektur der 1980er-Jahre identifiziert. Doch die Utopien der Avantgardisten der 1960er-Jahre und der Strukturalismus gehören nach Meinung verschiedener Architekturhistoriker ebenso dazu. Gerne werden die Protagonisten der Grazer Schule wie Günther Domenig, Volker Giencke oder Helmut Richter gegen die Wiener Aktionisten und international noch bekanntere Zeitgenossen wie Coop Himmelb(l)au, Haus-Rucker-co, Zünd-up und Hans Hollein abgegrenzt. Geprägt, aber nicht näher definiert wurde der Begriff von Friedrich Achleitner (1930–2019), einem der bekanntesten und einflussreichsten Architekturkritiker und -theoretiker Österreichs. Später tauchte er in Peter Blundell Jones’ Buch „Dialogues in Time. New Graz Architecture“ (1998) auf.

Während die erste Generation der Architekten der Grazer Schule programmatisch entworfen hat und Utopien nacheiferte, suchte die zweite eine individuelle Handschrift und ein formalistisches Repertoire. Der Begriff Grazer Schule mag zwar vergleichsweise unscharf sein, doch die Strömung gehört zweifellos zu den bekanntesten Phänomenen der jüngeren österreichischen Architekturgeschichte und wurde international rezipiert. 

Volker Giencke, Wohnhaus in der Carl-Spitzweg-Gasse, Graz (Foto: © Andrea Singer)
Bedrohtes Erbe

Abseits der Debatten um Begrifflichkeiten steht fest, dass die Bauten der Grazer Schule das Bild der Stadt und der Steiermark prägen wie Gestaltungen kaum eines anderen Stils. Und doch sind heute viele dieser Bauwerke vom Abriss bedroht oder sogar schon zerstört. Mit der Ausstellung „Grazer Schule. Stil und Wert eines Phänomens – Betrachtungen der Bauepoche 1960–2000“, die noch bis zum 28. Mai dieses Jahres läuft, widmet sich das Haus der Architektur (HDA) dem Umgang mit dem baukulturellen Erbe der Grazer Schule. Zu sehen sind in der Schau neun ikonische Gebäude, die mit Plänen, Modellen und Fotografien präsentiert werden. Einige davon erfüllen die heutigen energetischen Standards nicht, sind in einem schlechten baulichen Zustand oder wurden nachteilig verändert. Das Haus Fuchs von Heinz Wondra zum Beispiel wurde bereits zerstört, und die WIFI Werkstätten aus der Feder von Karl Lebwohl, Christine und Walther Kordon werden bald abgebrochen. 

Als Grundlage für die Ausstellung diente die Publikation „SOS Grazer Schule“, die 2021 am Institut für Architektur, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz entstanden ist. Sie ist online frei verfügbar.

Heinz Wondra, Haus Fuchs, Graz (Foto: © Michael Schuster)

Wichtig für die Grazer Schule ist die Stimmung in den Zeichensälen der TU zu jener Zeit, die sowohl als gegenkulturell als auch als elitär beschrieben wird. Sie waren ein Freiraum für experimentelle Architektur. Die Studierenden wurden dort auf das flexible, vernetzte und bisweilen auch prekäre Arbeitsleben vorbereitet. 

Solange nicht klar definiert ist, was die Grazer Schule eigentlich war, bleibt es schwer zu sagen, worin ihre Zukunft liegt. Doch gewiss ist, dass die Bauten, die der Grazer Schule zugerechnet werden, ein wichtiger Teil der österreichischen Architekturgeschichte und der Identität einer ganzen Region sind. Darum sollten sie pfleglich behandelt und erhalten werden. Die Schau im HDA, die für diesen Teil des architektonischen Erbes sensibilisiert, dürfte dabei einen wichtigen Beitrag leisten.

Konrad Frey, Haus Rosegger, Hart bei Graz (Foto: © Emilian Hinteregger)

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