Das Piranesi-Prinzip

Ulf Meyer
22. giugno 2021
Piranesi, Colosseum in Rom 1770 (© Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz)

Als das „Museum für Architekturzeichnungen” in Berlin 2013 eröffnet wurde, war zur Einweihung eine Ausstellung feinster Stiche von Giovanni Battista Piranesi zu sehen. Die Arbeiten des Italieners gelten bis heute als Goldstandard der Architekturgraphik. Die dunklen Zeichnungen sind faszinierende und kostbare Blätter von großer Ausdruckskraft. Die 15 Zeichnungen, die Piranesi 1777 von den Tempeln in Paestum gezeichnet hatte, wären sonst wohl nie nach Berlin geschickt worden. Die kleinen, dunklen Radierungen und Kupferstiche passten perfekt zu den fensterlosen Ausstellungsräumen des neuen Museums in Berlin. Nur ein Jahr später jedoch entdeckte ein Praktikant im Kupferstichkabinett der Kunsthalle Karlsruhe 300 „neue“ Zeichnungen und Grafiken von Piranesi. Stoff für neue Ausstellungen!

Francesco Polanzani, Porträt Piranesi, Radierung, o.J. (© StaatlicheMuseen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz)
Piranesi, Rekonstruktion des Circus Maximus in Rom, 1751 (© Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Volker-H. Schneider)

Seitdem gibt es eine erfreuliche Konkurrenz zwischen staatlichen und privaten Institutionen in Berlin, die sich der Pflege von Piranesis Werk und Angedenken widmen. Das Berliner Kupferstichkabinett präsentiert derzeit eine sehenswerte Ausstellung von Piranesis Meisterstichen, Büchern und Streitschriften aus den Beständen der Berliner Kunstbibliothek. Die Kuratoren haben die Schau in fünf leicht verdauliche Kapitel gegliedert: Die Ausstellung beginnt mit einer Zeitreise in Rom: Während Touristen in Rom heute die antiken Ruinen in einer urbanen Umgebung bestaunen, erlebte Piranesi Rom als Stadt in einer Ruinenlandschaft, in der überwucherte Monumente aus dem Erdreich ragten. Der Tourismus in der heiligen Stadt kam damals gerade erst auf. Hier fand er die Anregungen für seine Architekturfantasien, sammelte Artefakte für sein „Museo“ und betrieb baugeschichtliche Forschungen, deren Ergebnisse er in den „Antichità Romane“ (1756) publizierte, die auch genaue Aufmaße vieler antiker Gebäude enthielten. Sie sind das Fundament für Piranesis zweite Karriere als Archäologe. Seine Studien und Entwürfe zur Innenarchitektur sollten später in England große Verbreitung bekommen.

Piranesi, Ansicht des Sibyllentempels in Tivoli, um 1761 (© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz)
Piranesi, Überreste eines überdeckten Portikus oder Kryptoportikus, 1766 (© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Anna Russ)

Piranesi, der schon in seiner Zeit in seiner Heimatstadt Venedig nicht nur mit dem Tiefbau, sondern auch mit der Welt des Theaters in Berührung gekommen war, griff die Ideen der zeitgenössischen Bühnenbildner auf und nutzte sie für die Dramatisierung seiner Kompositionen. Piranesis Veduten, die Vorläufer der Postkarte, und die berühmten „Carceri“ genannten Architekturphantasien von einsamen Kerkern verdanken ihre Kraft dem Einfluss des Theaters, wie das zweite Kapitel der Ausstellung beleuchtet.
Bilder der Wissenschaften übten Faszination auf Piranesi aus, der in seiner Werkstatt mit neuen Bildtechniken experimentierte, um die Ergebnisse seiner Forschungen in die Gelehrtenwelt und Öffentlichkeit zu kommunizieren. In der Sektion „Piranesis Labor“ richtet die Ausstellung ihren Blick auf Schautafeln, Rekonstruktionen und Karten, die Piranesi auch in den Wissenschaften berühmt machten. An der Spanischen Treppe, wo Piranesi residierte, betrieb er eine Werkstatt und sein „Museo“ genanntes Verkaufslager antiker und selbst gefertigter Objekte. 
Die in der Kunstbibliothek in Berlin aufbewahrten Handzeichnungen Piranesis geben Aufschlüsse über seine Arbeitsweise. Piranesi verwertete die Antike ebenso wie die ägyptische, etruskische und griechische Kunst. Unter dem Titel „Piranesis Arena“ wirft die Ausstellung ein Schlaglicht auf ihn als einflussreiche Person der Kunstszene. 
Die Berliner Schau wurde von Studenten, Kuratoren und Forschern der Kunstbibliothek und dem Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt Universität zu Berlin konzipiert. Piranesi war produktiv – der Stoff geht der Piranesi-Forschung einstweilen nicht aus!

Ausstellung bis 11.7. in der Kunstbibliothek Matthäikirchplatz Berlin, Täglich außer Mo  10 – 18 Uhr, Sa 11 – 18 Uhr, Eintritt 6,- Euro. Katalog im E.A. Seemann Verlag Leipzig erschienen, 144 Seiten, 27 Euro

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