Alpiner Beton und welkende Postmoderne

Ulf Meyer
22. gennaio 2020
Gottfried Böhm, 2018 (Foto: Christian Schaulin)

Dass in Deutschland eine derart umfassende Würdigung eines lebenden Architekten organisiert wird, dürfte einmalig sein. Die Veranstaltungsreihe mit 35 Symposien, Ausstellungen und Exkursionen findet auch an unterschiedlichen Orten und mit 16 Institutionen statt. In einer Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums wird die Wallfahrtskirche in Neviges präsentiert. Die Schau fragt zugleich, wie die gefährdeten Betonbauten der Nachkriegsmoderne erhalten werden können. Das Museum für Angewandte Kunst in Köln hat Hélène Binet eingeladen, Böhms Sakralbauten fotografisch neu zu porträtieren. Den Fotos werden Kohle-Zeichnungen von Böhm gegenübergestellt.

Mehrere Böhm-Bauten haben Architekturgeschichte geschrieben. Denn vor den klobigen postmodernen Exkursen knüpfte Böhm an die skulpturale Tradition seines Vaters an. Dominikus Böhm war einer der führenden Kirchenbaumeister der Zwischenkriegszeit in Deutschland. Im väterlichen Büro hat Gottfried Böhm, geboren 1920 in Offenbach, sein Handwerk erlernt. Böhm Juniors fast vier Dutzend (!) Kirchen haben ihre Qualitäten über die Jahrzehnte bewiesen.

Gottfried Böhm: Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“, Neviges / 1963–68 (Foto: Inge und Arved von der Ropp /Irene und Sigurd Greven Stiftung, ca. 1976)
Gottfried Böhm: Wallfahrtskirche „Maria, Königin des Friedens“, Neviges / 1963–68 (Foto: Steffen Kunkel, 2015)

Die Godesburg in Bonn (1959) und das Rathaus Bensberg (1969) verbanden meisterhaft „das Erbe mit neu Erworbenem“ (wie es in der Laudatio der Pritzkers hieß). Bis zum Tod seines Vaters 1955 arbeiteten beide Architekten in Köln eng zusammen. Das erste eigene Werk war die Kapelle St. Kolumba in Köln (1947), die später in Peter Zumthors Diözesanmuseum „Kolumba“ aufging. Die Kapelle, rings um eine verschonte Madonnenfigur errichtet, wurde zur Ikone der Nachkriegszeit. Gestaltungs-Kraft bewies Böhm mit dem Entwurf der Kirche „Maria, Königin des Friedens“ in Velbert-Neviges. Der Mariendom gilt als Böhms bedeutendster Kirchenbau und wirkt wie ein Zelt oder Betongebirge. 

Nachdem die Kirchenbau-Konjunktur der Nachkriegszeit endete, widmete sich Böhm verstärkt Wohn- und Geschäftshäusern. Von den Beton-Skulpturen des Frühwerks führte der Weg zu Stahl und Glas. Mit den WDR-Arkaden in Köln, der Ulmer Stadtbibliothek, dem Hauptsitz eines Baukonzerns bei Stuttgart oder der Filiale der Deutschen Bank in Luxemburg hat sich Böhm als Künstler-Architekt der (schnell verwelkten) deutschen Postmoderne profiliert.

Bezirksrathaus Köln-Kalk (Foto: D. Heiermann, 2011)
WDR-Arkaden, Köln (Foto: D. Heiermann, 2011)

Das Hans-Otto-Theater in Potsdam von 2006 hingegen kann im Vergleich nicht überzeugen. Es ist ein Beispiel für Böhms Liebe zur sakralen Symbolik, die sich durch sein Œuvre zieht wie ein roter Faden: Drei rote, rosenblattförmige Dächer bekrönen den Theater-Bau an der Havel. Dass der Bau dieser „barocken“ Formen mühsam war, sieht man dem Gebäude leider an vielen Stellen an. Die große Geste wirkt zu ambitioniert und es erstaunt, wie qualitativ schlecht ein Pritzker-Preisträger im Alter baut. Den „Nobel-Preis der Baukunst“ hat die Hyatt-Foundation aus Chicago nach der Auszeichnung des „Kölner Kirchenbauers“ erst ein weiteres Mal an einen deutschen Architekten vergeben, an Frei Otto. Gottfried Böhm erscheint seit diesem Ritterschlag über Kritik erhaben zu sein. Warum jedoch feuermelder-rote Blütenblätter, die an die Rose als ur-katholisches Mariensymbol erinnern sollen, als Logo des Potsdamer Theaters herhalten mussten, erschließt sich nicht.

Stammhaus des Potsdamer Hans-Otto-Theaters vom Tiefen See aus, 2007 (Foto: Suse via Wikimedia Commons [CC BY-SA])

Das Programm aus Anlass des 100. Geburtstags will deutlich machen, dass Böhm „mehr ist als ein Kirchen-Architekt“. Von den skulptural-expressiven Béton-Brut-Burgen des Frühwerks bis zum heillos verschwurbelten Spätwerk – die geplanten Veranstaltungen und Ausstellungen zu Böhms Schaffen beleuchten alle Aspekte seines Schaffens. Böhm ist ein Einzelgänger, gilt als eigensinnig und wandelbar. Und er ist eine „Ausnahmeerscheinung der deutschen Nachkriegsarchitektur“, dessen oft anti-moderne Haltung in der Tradition von Poelzig, Taut, Finsterlin und Scharoun steht. 
Seit 2006 führen Böhms Söhne Stephan, Peter und Paul das Büro und setzen in dritter Generation das Wirken der Böhms in Deutschland fort. Nach Dominikus Böhms Kirche Christkönig in Bischofsheim von 1925 und Gottfried Böhms Mariendom in Neviges von 1968 steht mit der DITIB-Zentralmoschee Kölns nun wieder ein Schlüsselbau für das architektonische Selbstverständnis der Bundesrepublik im Land. 

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