Wem gehört die Stadt, Herr Maas?

Cornelia Ganitta
26. gennaio 2022
Winy Maas vor dem neuen Kunstdepot in Rotterdam (Foto: © Martin Dijkstra)
Herr Maas, Ihr Kunstdepot ist medial eingeschlagen wie eine Bombe. Wie erklären Sie sich den immensen Erfolg des Gebäudes?

Das Lob der Medien ist sicherlich eine sehr angenehme Überraschung für uns. Es zeigt, dass viele Menschen in einer Welt, die von der Angst vor dem Klimawandel, sozialen Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheit beherrscht wird, nach einer neuen Richtung dürsten. Natürlich kann dieses Gebäude nicht alles lösen. Das Depot ist aber wahrlich eine Manifestation bezüglich der Hinzufügung von Natur in die Stadt und der Veränderung hinsichtlich der Wahrnehmung von Kunst – eine völlig neue Typologie. Ich denke, wir müssen uns in die Kunst des Bauens dieser Art von „Bomben“ vertiefen, um die oben erwähnten Dringlichkeiten anzugehen.

Die Shenzhen-Terrassen bilden den Kern des neuen Universitätsviertels in Longgang, dem zweitgrößten der zehn Stadtbezirke der chinesischen Metropole.  (Visualisierung: © MVRDV)
Die ökologische und soziale Transformation einer Stadt ist teuer, doch Städte und Kommunen haben kaum Geld. Gibt es Überlegungen, wie der Wandel sich finanzieren ließe?

Ja, Grün, ökologische und soziale Beiträge, aber auch städtebauliche und architektonische Beiträge kosten Geld im klassischen wirtschaftlichen und kapitalistischen Sinn. Aber wenn man bedenkt, wie viel wir in einer Stadt in nur zwei Jahrzehnten verändern, was Renovierung, Umnutzung usw. angeht und wir all diese Mittel nutzen, um die Gebäude in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft zu verändern, setzen wir sie sinnvoll ein.

Was meinen Sie, wem gehört die Stadt?

Wenn Sie mir erlauben, grob zu verallgemeinern: Ich glaube, die Stadt gehört uns allen. Wir müssen sie teilen, um sie zu einem lebenswerten und ganzheitlichen Ort zu machen. In dem Moment, in dem einer der Interessenvertreter dominant wird, steht die Stadt vor zusätzlichen Herausforderungen, die sie in Bezug auf Klimawandel, soziale und wirtschaftliche Probleme ohnehin schon hat. Dies bedeutet auch, dass ein ausgewogenes Gleichgewicht erforderlich ist, das beibehalten werden muss. In diesem Sinn wird die Stadt auch nie fertiggestellt – sie wird immer Entwicklung, Instandhaltung und Politiken einfordern, die das Zusammenleben ermöglichen.

Franklin Mitte, Mannheim (Visualisierung: © MVRDV)
In Rotterdam wird seit 2012 an der Umnutzung und -gestaltung der Dächer gearbeitet. Mittlerweile werden 18 km2 Dachfläche als Gärten genutzt oder Gastronomie hat sich etabliert. Jetzt gibt es Ideen für eine Verbindung der Dächer – MVRDV ist daran beteiligt. Was ist Ihr Plan?

Um es vorweg zu nehmen: Der Boden der Niederlande und Rotterdams ist in Bewegung. Er ist unsicher und wacklig und der Anstieg des Meeresspiegels bedroht das Land. Es gibt Erdbeben, die durch die Gasförderung im Norden der Niederlande verursacht werden. Doch bevor wir Niederländer in den Schweizer Alpen Zuflucht suchen, sollten wir versuchen, die Niederlande zu einem der besten Arbeitsorte zu machen in friedlicher Koexistenz mit dem Meer. 

Was die Dächer betrifft, kann ich ganz allgemein sagen, dass es ziemlich dumm von uns ist, sie nicht besser zu nutzen. Ihre Oberflächen sind riesig, aber sie tragen aktuell in keiner Weise zur Bekämpfung des Klimawandels bei. Ich sehe viele Möglichkeiten: Dächer können die Basis für Wälder, Wasserbecken, Energiekraftwerke, urbane Treffpunkte und neue Gebäude sein. 

In Rotterdam arbeiten wir mit Rotterdamse Dakendagen zusammen, einer lokalen Stiftung, die Dachfestivals, Dachkonferenzen und Dachforschungen veranstaltet. Gemeinsam haben wir den Dachkatalog erstellt, der mehr als 130 Vorschläge zur besseren Nutzung unserer Dächer enthält. Derzeit arbeiten wir an einem Projekt, in dem wir eine neue Serie von Dächern mit neuen Funktionen entwickeln. Diese Dächer können besichtigt werden und werden erstmals teilweise durch Brücken miteinander verbunden sein. Sie werden wie die Installation New Babylon des niederländischen Künstlers Constant aussehen und sind einmalig während der Rotterdamer Dächertage (vom 26.5. bis 24.6.22, Anm. d. Redaktion) begehbar. Sie sollen den Besuchern auf einer neuen Ebene eine neue Perspektive der Stadt bieten. Der nächste Schritt zu unserem zukünftigen New Babylon.

Vom 26. Mai bis 24. Juni 2022 können Rotterdamer und Touristen einen spektakulären Spaziergang über den Dächern der Innenstadt unternehmen. (Visualisierung: © MVRDV)
Sie lehren an der TU in Delft, an der Sie selbst studiert haben. Wie hat sich der Blick auf den Städtebau verändert?

Gut ist, dass das Bewusstsein für Umweltfreundlichkeit und Inklusion im Allgemeinen gestiegen ist. Auch ist Verantwortung wichtiger geworden, jedoch fehlt es teilweise an Klarheit. Das könnte zu einer Architektur führen, die nur noch „Kästchen abhakt“ und die wieder zu einer Art Mittelweg-Architektur wird, schön anzusehen, aber zu ruhig und nicht gut genug. Diese Tendenz wird das Bemerkenswerte töten und ausschließen – aber gerade die braucht es, um die Öffentlichkeit zu alarmieren und Architektur und Städtebau in neue Richtungen zu lenken.

In Delft haben Sie die Why Factory als global think tank ins Leben gerufen. Was geben Sie Ihren Student*innen als architektonisches Muss für die Zukunft mit?

Jedes Element, das du entwirfst, muss im weitesten Sinn zu einer besseren Welt beitragen. In der extremsten, extrapoliertesten Form. Mit einer strikten, aber erforschendenAgenda. In jedem Maßstab, vom Türgriff bis zur Toilette. Vom Haus zur Stadt. Von einer Region zu einem Land. Lasst uns diese Dinge vom Design bis zur Forschung vereinen. Es gilt, den Planeten zu retten und ich verstehe, ehrlich gesagt, das Zögern nicht. Große Biennalen wie die in Venedig und auch die nationalen Architekturverbände sollten sich dafür einsetzen.

Sie stehen für unkonventionelle Schritte bei der Stadtplanung. Auch beim Ausbau des einstigen Militärareals mit mehr als 500 Hektar in Mannheim mussten Sie für eine mutige Gestaltung werben. Wie sind Ihre Erfahrungen mit Städtebau in Deutschland?

Ich glaube, die Stadtplanung in Deutschland wird von „Dinos“ dominiert. Die Big Five der deutschen Stadtplaner sind alle sehr nett, sie erfüllen alle Kriterien. Aber es fehlt ihnen an Inspiration, Spannung, Abenteuer, Enthusiasmus, Relativierung, Humor, Ironie, Übertreibung und so weiter. Warum nimmt Deutschland das hin? Welche Selbstbestrafung findet hier statt? Was ist so gut an dieser Besonnenheit? Was hat das Land zu verlieren? Ich bin besorgt über diese Entwicklung. Und ich liebe Deutschland zu sehr, um diese Kritik nicht zu äußern.

Entwurf für die Umgestaltung des Heuvel-Einkaufzentrums in Eindhoven in ein grünes Kulturzentrum. Der Entwurf zeigt auf seinem Dach nicht nur einen Park, sondern auch einen aufgestapelten Kulturbau unter einem „gläsernen Berg“. (Visualisierung: De Heuvel – render Genderplein, © MVRDV)
Sie sprechen sich deutlich für das vertikale Bauen aus. Erläutern Sie das doch bitte.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Zersiedelung der Landschaft unglaublich problematisch und extrem schlecht für den Planeten ist. Sie wirkt sich schlecht auf den Verkehr, den Energieverbrauch, den sozialen Zusammenhalt, den Verlust von Ackerland etc. aus. Städtische Dichte ist immer noch die richtige Wahl. Sicher, Covid-19 ist ein großes Problem, vor allem in dicht besiedelten Städten. Aber es wird eine Zeit nach der Pandemie geben, und unsere Ideale einer dichten Stadt, die menschlich ist und soziale Begegnungen ermöglicht, sind genau das, was wir alle wollen. Wichtig ist, dass wir die Stadt auf eine gute Art und Weise verdichten, als eine echte dreidimensionale Stadt, mit zugänglichen Dächern sowie einer Mischung aus Programm und Parks auch in Gebäuden. Wir fördern und realisieren dies aktiv. Städtische Dichte sollte mit mehr Grün und mehr Qualität einher gehen.

Ich denke, dass eine Evolution des Wohnens erforderlich ist. Wir müssen anfangen, die Höhe der Städte mehr und mehr zu nutzen. Mit unseren Projekten wollen wir auch zeigen, dass eine Verdichtung in bestehenden Städten möglich ist. Sie können der Stadt Wohnungen und andere Einrichtungen inmitten eines Geschäftsviertels oder sogar eines Vergnügungsviertels hinzufügen, um zwei Beispiele zu nennen. Wir müssen vertikale Dörfer schaffen, in denen sich die Bewohner*innen und die Menschen, die dort arbeiten, wohlfühlen, und in denen Begegnungen durch das Hinzufügen öffentlicher Räume ermöglicht werden. Mit ein wenig Phantasie ist vieles möglich.

Kunstdepot Rotterdam, 2020. (Foto: Ossip van Duivenbode)
Wie sollte moderne Architektur diese heutigen immensen Herausforderungen angehen?

Als Architekten müssen wir uns bei allen Projekten gemeinsam mit unseren Kunden und Nutzern mit dem Klimawandel befassen, denn wir sind Teil eines Kreislaufs. Wir nutzen Gebäude weiter, anstatt sie abzureißen, wir verwenden recycelte Produkte und integrieren die Natur im Gebäude. Ein aktuelles Projekt in China – nicht gerade die nachhaltigste Region – ist ein gutes Beispiel: In Shenzhen haben wir eine ehemalige Fabrik in einen kulturellen Hotspot verwandelt und dabei die ursprüngliche Betonstruktur erhalten. Die Materialien werden wiederverwendet, aber bei dieser Renovierung geht es auch um soziale Nachhaltigkeit, um den Aufbau einer Gemeinschaft, in diesem Fall durch den Einbau einer öffentlichen Treppe und einer Dachterrasse mit verschiedenen Aktivitäten für die Nachbarschaft. Das ist eine interessante Entwicklung: Die Hyperstadt Shenzhen befindet sich jetzt in einer Phase, in der die Stadt auch das Alte wiederverwendet und erneuert, mit dem Ergebnis eines „neuen Alten“. 

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